Sonntag, 28. November 2021

Manipulation, du altes Miststück!

Manipulation ist eine sehr gefährliche Waffe. Diese These betone ich besonders hier und jetzt. Weil die Manipulation aus den Krisen Kapital schlägt. Sie blüht in den schwierigen Zeiten auf, oder eher wuchert gewaltig, denn sie ist keine hübsche Erscheinung. Dieses alte Miststück! 


Ob jung oder alt, der Mensch ist nach wie vor manipulierbar.

Zweck und Mittel


Grundsätzlich macht sich der Manipulant oder die Manipulantin selbst die Hände nicht schmutzig. Die dreckige Arbeit erledigen für ihn oder sie die nützlichen Idioten oder willigen Nutznießer. Die Ahnungslosen und die Bescheidwissenden handeln nach dem gleichen Motto „Der Zweck heiligt die Mittel“. Die ersten kann ich noch entschuldigen, die zweiten nicht. Wer sehendes Auge mitmacht, der verdient kein Verständnis. 

Das Ziel der Manipulation erscheint uns klar: die Macht über die anderen zu erobern und zu behalten, wobei jedes Mittel, das den Erfolg verspricht, wird genutzt, nach dem obigen Motto.

Die Manipulanten sind im Allgemeinen erbärmliche Figuren, die ihre eigene innere Leere mit dem Leid der Mitmenschen auffüllen müssen. 

Auf die Schwachpunkte drücken


Manipulanten sind nicht an einer Debatte interessiert. Das logische Argumentieren meiden sie wie der Teufel das Weihwasser. Sie appellieren schließlich nicht an den Verstand (den wollen sie ausschalten), auch wenn sie dies vortäuschen und den Anschein der Sachlichkeit erschaffen wie auch die Autorität der Wissenschaft ausnutzen.

Sie spielen stattdessen mit Gefühlen, weil sie – selbst kaltblütig – dadurch die Kontrolle über die anderen erlangen. Wer Gefühle zeigt, der entblößt sich, der offenbart seine Schwachpunkte.  

Antwort auf den Einwand


Manipulation ist bestimmt genauso alt wie der Mensch; jede und jeder von uns manipuliert – lautet der wichtigste Einwand. Die Alltagsmanipulation bestreite ich mitnichten, ich lasse sie auf diese Stelle aber außer Acht. Da sie sich im Rahmen des Anstands hält und grundsätzlich nicht die Ausbeutung oder die Zerstörung des anderen voraussetzt . Ein bisschen Manipulation darf doch sein.

Was jedoch die Machthaber (auf allen Stufen der Hierarchieleiter) oder diejenigen, die sich auf dem Weg zur Macht befinden, betrifft, sieht die Situation ganz anders aus. Eine Machtposition eröffnet andere Perspektiven und Möglichkeiten.

Nach wie vor manipulierbar


Im allbekannten Experiment von Stanley Milgram aus 1961 bringt der Versuchsleiter die Teilnehmer ohne Mühe dazu, Folter als Strafe für Fehler anzuwenden. Seitdem wiederholte man mehr oder weniger ähnliche psychologische Versuche in verschiedenen Variationen, die allesamt bestätigen, was wir schon ohnehin wussten: Der Mensch ist manipulierbar.

Auf erschütternde Weise veranschaulichte der Film "Das Experiment" von Oliver Hirschbiegel, wozu der manipulierte Homo sapiens fähig ist.

Eine Machtposition verführt von Manipulation Gebrauch zu machen. Daher wächst exponentiell mit der Erweiterung des Machtbereichs die Verantwortung eines Politikers, einer Politikerin, eines Chefs, eine Chefin, Redakteurs und Redakteurin usw. 

Mittwoch, 20. Oktober 2021

Das Märchen über Angela, Donald und Friede

Wer glaubt, dass die Entscheidungen in der Politik leicht nachvollziehbar wären, wenn man doch die Akteure kennt und weiß, aus welcher Partei sie kommen, der ähnelt einem Kind, das noch den Weihnachtsmann für wahr hält.

Nichts ist einfach im politischen Betrieb. Dass es auch dort menschelt, versteht sich von selbst. Darüber hinaus wird es fies gespielt, manipuliert und erpresst.  Alles der Macht wegen, der härtesten Droge. Was für ein Stoff für Verschwörungstheorien!

Na dann bastele ich mir nun eine Verschwörungstheorie oder ein Märchen – es kommt aufs Gleiche hinaus. Die früheren Fabeln hatten evident das Potenzial dazu.  Sie strotzten vor Kühnheit und Grausamkeit. 

Es war einmal eine Freundschaft.

Dicke Seile


Am Anfang stehen zwei Freundschaften, die stark sind wie dicke Seile, also Seilschaften. 

Junge Angela und junger Donald wohnen in zwei Ländern, trotzdem kennen sie sich in der vordigitalen Welt persönlich, treffen sich und wandern auch zusammen. Angela macht nach der Wende eine steile politische Karriere. Sie vergisst ihren Freund Donald dabei nicht und verschafft ihm ein hohes Pöstchen im europäischen Reich. Er soll dafür bloß als ihre Marionette agieren.

Die zweite Freundschaft-Seilschaft mit Friede ergibt sich als Nebenprodukt der Macht und dient auch deren Erhalt. Friede sorgt für die richtige Berichterstattung so überzeugend, dass die sogenannten seriösen Medien den lakaienhaften Ton und Inhalt übernehmen.  Seitdem wird nur Gutes über Angela in Medien erscheinen. Das Volk hört die beschönigten Erzählungen so oft, dass es sich nicht mehr traut, daran zu zweifeln.

Friede hat Geld. Das erleichtert die ganze Sache enorm. Angela hat es auch, aber sie kann bei weitem nicht mithalten. Im Vergleich mit Friede besitzt sie lediglich Peanuts. 

Appetit auf mehr


So weit, so gut. Angela herrscht, Friede wacht medial darüber. Es läuft wie geschmiert. 

Die Märchen (besonders die alten) bevölkern ebenfalls Monster. Dazu häufen sich darin auch Hindernisse und Verluste. So nähert sich unaufhörlich der Moment, indem sich Angelas Macht im Land dem Ende neigt. Was macht man in solcher Situation? Findet man sich damit ab? Man tut es jedenfalls, als ob. Und peilt ein größeres Ziel an. Was ist schon ein Land gegenüber von vielen Ländern? Angelas Appetit ist mit der Zeit gewachsen, ihr schwebt jetzt die Herrschaft über das große europäische Reich vor, in dem sie die wenigen Auserwählten selbst auswählen will und für den Rest gnädig die Reste vom Tisch vorsieht.

Dafür braucht sie jetzt Donald. Er muss ihr helfen ans Ziel zu kommen und dafür in sein Land zurückkehren. Seine Aufgabe ist klar. Donald solle die dortige Regierung ablösen, die Macht zurückerobern. Damit es dann im europäischen Reich alles nach dem Plan läuft. Der Auftrag lässt sich aber nicht von heute auf morgen erledigen.

Obendrein scheint Friede ihren Laden nicht mehr im Griff zu haben. Denn es gibt auf einmal Kritik über Angela.

Sie holt sich zwar Rat aus dem Osmanischen Reich und dem Land der Morgenröte. Das reicht jedoch nicht.

Ziemlich beste Freunde


Wozu hat man aber Freunde? Die mit dem Geld sind die besten. Sie schaffen nämlich neue Freunde im weiten europäischen Reich. Die alten und die neuen Freunde machen sich an die Arbeit und schießen sich bereitwillig auf die Gegner von Donald regelrecht ein. 

Friede wird auch mit Kritikern fertig. Gekonnt verwischt sie ihre Spuren und lässt die Amis, mit denen sie längst Geschäfte macht, die schmutzige Arbeit vollenden. 

Wer oder was kann jetzt Angela aufhalten? Die sieben Zwerge? Oder Schlümpfe? Teletubbies? Wenn sich aber die Zwerge und die Schlümpfe vereinen … Stopp! Da beginnt bereits ein anderes Märchen.

Mittwoch, 13. Oktober 2021

Rassismus, Sexismus, Diskriminierung - der Mechanismus ist gleich

Ihr glaubt, dass Ihr im Recht seid, wenn Ihr mal die einen, mal die anderen ausschließt? Weil Ihr am längeren Hebel sitzt und damit an der Macht (so klein sie auch sein mag) seid und die Regeln aufstellen könnt? Obacht Leute! So fängt es an. Bitte also nicht die Unschuldigen spielen. Ihr seid womöglich Mittäter, wie in dieser Szene aus dem Film "Blue Eyed".

"Jane Elliott: Warum haben Sie sie nicht verteidigt?
Teilnehmer des Experiments: Wenn Sie diese Frau schikanieren, dann trifft's nicht mich, so sind die Regeln. Ich lehne mich zurück und gehe in Deckung. 
Jane Elliott: Und überlassen sie ihrem Schicksal. Das ist es doch, warum Rassismus funktionieren kann, Leute. Darum kann Sexismus funktionieren, darum kann Diskriminierung alter Menschen funktionieren. Sich zurücklehnen und nichts unternehmen heißt. mit den Unterdrückern gemeinsame Sache machen."

Über dieses Experiment schrieb ich 2008 den nachfolgenden Artikel unter dem Titel „Experiment mit blauen Augen“ für suite101.de (eine nicht mehr existierende Plattform). Die Zeiten ändern sich, der Text bleibt aktuell:

"Das ist kein Spiel. Wenn das ein Spiel wäre, 
hätte jeder die gleichen Chancen." 


Aus einem an Schülern durchgeführten Experiment entwickelte Jane Elliott ein Trainingsprogramm. Das Ziel der Übung ist es, die Mechanismen des Rassismus zu begreifen. Wie sich das anfühlt, ausgeschlossen zu sein, soll endlich jede und jeder am eigenen Leib erfahren. So oder so ähnlich musste sich die amerikanische Lehrerin Jane Elliott gedacht haben, als sie nach der Ermordung von Martin Luther King (04.04.1968) ihre Schüler unterrichtete.

Zuerst spalten


Sie führte folgendes Experiment durch: Dafür teilte sie zuerst ihre Klasse in zwei Gruppen auf: die Blauäugigen und die Braunäugigen. Die Schüler mit den blauen Augen erhielten blaue Kragen um den Hals, damit man sie von den anderen auf den ersten Blick unterscheiden konnte. Die Lehrerin erklärte hierbei die Blauäugigen als minderwertig. Die Schüler mit den braunen Augen sollten als sowohl geistig wie auch körperlich überlegen gelten. Danach schlüpften die Kinder in ihre Rollen. Wobei die einen sich erniedrigen ließen und die anderen erniedrigt haben.

Vom Experiment zum Training


Aus diesem Experiment entwickelte Jane Elliott ein Trainingsprogramm und tingelte seit 1984 durchs Land. Im Jahr 1996 kam sie mit ihrem Programm zum ersten Mal nach Europa. Ihre Tätigkeit wurde von Anfang an dokumentiert. Der erste Film entstand im Jahr 1970 in ihrer Schulklasse. Einer ihrer Erwachsenen-Workshops wurde auch von den deutschen Filmemachern unter dem Titel „Blue Eyed. Blauäugig“ 1996 verfilmt*).

Darin erfahren wir, warum gerade diejenigen mit den blauen Augen diskriminiert werden sollten: Der Grund dafür war die bewusste Umkehrung des Nazi-Prinzips, nach dem die blauäugigen Arier zu selbsternannten Übermenschen zählten.

Der Film "Blue Eyed" lässt die Zuschauer dem Experiment beiwohnen und beobachten, wie Jane Elliott die Blauäugigen mit Hilfe von Braunäugigen maßregelt. Die Braunäugigen erreichten den Status von Verbündeten und viele Vorteile. Ihnen wurden unter anderem auch die Lösungen von IQ-Tests diktiert, damit sie sich als intelligenter erweisen. Sie sollten als Dank dafür nur mitmachen. Und sie machten mit.

Den Vorgang mit dem IQ-Tests-Verrat begründete Elliott so: Das ist keine Mogelei, sondern lediglich eine Verstärkung der Machtposition. Und sie ergänzte sofort, dass es in Amerika genauso in den Schulen zugehe. Sie kenne sich ja aus; sie arbeite schließlich über 20 Jahren als Lehrerin.

Pech, der falschen Gruppe anzugehören


Die blauäugigen Pechvögel mussten vor allem warten. Sie warteten isoliert von den anderen. Der Raum, in dem sie sich aufhielten, war klein und besaß keine Fenster. Für 17 Personen standen nur drei Stühle zur Verfügung.

Wenn sie später den Übungsraum betraten und sich setzen durften, reichten die Stühle auch nicht aus. So landeten sie wortwörtlich auf dem Boden. Die Hierarchie wurde damit anschaulich verdeutlicht. 

Vor allem aber sollten sie spuren. Ihnen wurden strenge Regeln auferlegt. Sie sollten ohne zu zögern gehorchen. Ihre Fehler wurden ausgiebig in der Gruppe besprochen, um sie zu verunsichern. Sie wurden ausgelacht und rüpelhaft getadelt. Bis die Tränen flossen.

Im Spiel hätte jeder und jede gleiche Chancen


Jane Elliott wunderte sich selbst, wie leicht es ihr fiel, ihre Macht während der Übung durchzusetzen. Die Einschüchterung funktioniert, verkündete sie abschießend. Den Einwand eines Teilnehmers, es wäre nur ein Spiel, erwiderte sie mit einer bitteren  Erkenntnis: "Das ist kein Spiel. Wenn das ein Spiel wäre, hätte jeder die gleichen Chancen." Und sie setzt noch eins drauf: "Glauben sie, dass es draußen gerecht zugeht?"

Wer unter den Blauäugigen jammerte, wurde sofort zurechtgewiesen: „Können Sie nicht einmal zweieinhalb Stunden aushalten, was die Schwarzen in diesem Land ihr ganzes Leben lang erdulden müssen?“ Ein weißer Blauäugiger-Teilnehmer gestand daraufhin verunsichert, dass es ihm Angst mache, selbst ein Teil dieses Systems zu sein.

Wozu das Ganze?


Was wollte Jane Elliott mit ihrem radikalen Experiment erreichen? Die Menschen sollten begreifen, was Rassismus sei. Sie sollten begreifen, was den Schwarzen, Schwulen, Lesben, Migranten, Frauen und anderen Benachteiligten jeden Tag zustoße.

Lassen sich aber auf diese Weise Verständnis und Einfühlungsvermögen beibringen? Lässt sich sogar die Realität ändern? Kann man Rassismus exorzieren?

Kritik oder wir wissen es besser


Wohl kaum, meinen viele Kritiker. Die Psychologen unter ihnen beanstandeten die schwarz-weiße Abbildung der Wirklichkeit. Susanne Lang und Rudolf Leiprecht kritisieren: „im praktischen Trainingshandeln ist ein konservativ-autoritäres Verständnis von Bildungsprozessen erkennbar. Darüber hinaus herrscht in der konkreten Interaktion mit den Teilnehmer(inne)n ein anti-dialogischer Kommunikationsstil vor“. (Susanne Lang, Rolf Leiprecht, Autoritarismus als antirassistisches Lernziel? 2001)

Rassismus „ist mehr als ein Set gängiger Vorurteile, Klischees und Stereotype gegenüber Migrant(inn)en bzw. ethnischen Minderheiten“, lautet der Vorwurf von Christoph Butterwegge (in „Rechtsextremismus als Herausforderung für Politik und Sozialpädagogik“ 2002). „Sinnvoller erscheint da schon ein `Argumentationstraining gegen Stammtischparolen`“, führt er weiter aus.

Trotz Kritik wurde das Konzept von Jane Elliott aufgegriffen und verbreitete sich auch in Europa. In Deutschland wurde der Eye-to-Eye-Verein gegründet. Nach Elliots Vorbild leiten deren Trainer Übungen, die den Teilnehmern das Gefühl des Machtmissbrauchs und die Ohnmacht der Unterdrückten nachempfinden lassen sollen.


*) Buch und Regie, Bertram Verhaag, 1996.

Weiterführende Links:

Dienstag, 21. September 2021

Wie frei ist unsere Meinung?

Zuerst plappern Kinder den Eltern und Erziehern nach. Eigenes Köpfchen zeigen sie aber ziemlich früh. Dennoch dauert die mentale Abnabelung manchmal sehr lange und manchmal gelingt sie nie. Meinen wir also wirklich selbst das, was wir meinen? Hochtrabend könnte man sagen: Ob wir frei denken und eigene Meinung äußern können und wollen, hängt von vielen Faktoren ab.


                                                                           Meinen wir, was wir meinen?


Wir können nicht ohne die

Der Mensch braucht andere Menschen, auch ein Einzelgänger kommt nicht ganz ohne sie aus. Das ist gleichzeitig die Quelle all unserer Probleme.  Eine Gesellschaft, die zwar „Leistung“ auf ihre Fahnen schreibt, aber den Konkurrenzkampf zum wichtigsten Prinzip erklärt, findet keine richtige Formel für das Miteinander. Die hohlen Parolen ausgenommen. Diese Gesellschaft ist von verschiedenen Zwängen geplagt und preist Werte, die sie tagtäglich missachtet.

Eigentlich müsste unsere Gesellschaft in die Klapse.

Geist der Unterwerfung

Was hat das mit der freien oder unfreien Meinung zu tun? Eine ganze Menge. Denn es wird von uns der Teamgeist angefordert, aber tatsächlich eine absolute Anpassung erwartet.  In einem derartigen System braucht man keine Zensur, weil sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen selbst zensieren. Nach dem Motto: Entweder bist du mit oder gegen uns. Wie in einer Sekte, wo sich Mitglieder mehr oder weniger freiwillig ihrem Guru oder Gurin unterwerfen. Hauptsache, man gehört dazu.

Manipulierte Denkfaulheit

Werden wir bei dieser Unterwerfung bloßgestellt, weisen wir die Schuld vor uns. Wir wurden manipuliert, lautet unsere Verteidigungsstrategie.  

Der Begriff „Manipulation“ machte in den letzten Jahren eine beachtliche Karriere. Die Anklage der Manipulation wird schnell erhoben und in den wenigsten Fällen begründet.  Zudem lässt man ein kleines Detail außer Acht: dieser Vorgang setzt eine aktive Beteiligung vor. Anders ausgedrückt: nur derjenige oder diejenige wird manipuliert, der und die es zulässt. Die Mittäterschaft kann man hier nicht verneinen. Aus Denkfaulheit lassen wir uns auf die Manipulation ein. Oder aus Angst vor der Ausgrenzung. Oder aber versprechen wir uns verschiedene Vorteile, wenn wir mit der Manipulatorinnen und den Manipulatoren Hand in Hand mitlaufen.

Simply die Macht

Stelle ich die Sachverhalte zu simpel dar? Die Manipulation gehört zu den komplexesten Phänomenen? Ja, ja, schon gut. Wo gibt sie denn nicht? Sie trägt viele Kleider und versteckt ihre Karten – eine Meisterin der Täuschung. Brandgefährlich wird sie als Werkzeug der Machthaber. Ihr Ziel ist dann zwar sonnenklar: an der Macht zu bleiben und Gegner zu bekämpfen, ihre Methoden keineswegs. Sie lernt stets dazu und nutzt die neuen digitalen Möglichkeiten. 

Heiß kochen

Nein, ich meine jetzt nicht die omnipotenten (angeblich) Russen, die Monster der Manipulation, wenn man den deutschen Medien glaubt. Die Russen mischen sich genauso ein, wie die Deutschen oder Amerikaner. Und außerdem bespitzeln sich alle gegenseitig. Ein ziemlich verrücktes Durcheinander. 

Worum es mir geht, ist die zynische Machtelite, die so tut, als ob sie sich für die ganze Gesellschaft eingesetzt hätte, aber in Wirklichkeit nur eine dreiste Klientelpolitik betreibt. Nach dem Motto, wer mich bezahlt, dem diene ich.  Sie appelliert stets an Gefühle und kocht sie heiß. Denn aufgeregte Leute lassen sich viel leichter manipulieren. 

Das Gedachte und Gesagte

Zurück zum Thema: Schaffen wir unter diesen Umständen die tatsächliche Meinung des anderen auszufiltern? Wir sagen doch nicht gleich, was wir denken. Wie hätte unsere Welt ausgesehen, wenn wir das Gedachte sofort offenbarten? Gewiss gaaanz anders. 

Zuerst also sperren wir selbst unsere Meinung ein. Wir entziehen uns der Verantwortung für die unbequemen Wahrheiten und wählen den abstoßenden aber sicheren Stallgeruch.  Dagegen verlangt die freie Meinung nach Mut. Der – wie alle unbequemen Dinge – lohnt sich in der ökonomisierten gesellschaftlichen  und politischen Landschaft selten. Flapsig formuliert: freie Meinung ist zwar schön, aber nutzlos. 

Frei, aber

Natürlich gibt es Grenzen, die das Gesetz bestimmt. Außerdem ist die freie Meinung nur dann frei, wenn sie andere Meinungen zulässt, statt sie aus einem einzigen Grund zu bekämpfen, weil sie anders sind. 



Mittwoch, 25. August 2021

Heikel, heikler, das Vermögen

Ein Blick reicht es, um die Vermutung, Radosław Sikorski könnte ein Freund der PiS-Regierung sein, kategorisch auszuschließen. Trotzdem verteidigt er ihre letzte Entscheidung. Sein beinahe einziger Vorwurf lautet, sie vermittle eigenes Handeln schlecht.

                                                                          Um die Korruption zu bekämpfen

Ein Fehler und eine Behauptung


Unter dem Titel „Privatvermögen hat keinen Glaubenscharakter“ (Mienie prywatne nie ma charakteru wyznaniowego“, Dziennik Łódzki“, 21-22.08.2021) erschien ein Interview mit dem ehemaligen Außenminister unter Donald Tusk. Darin bemerkt Radosław Sikorski, dass man anscheinend in Israel nicht verstanden hat, worum es geht bei der Änderung des polnischen Verwaltungsgesetzes (nowelizacja Kodeksu postępowania administracyjnego). Hauptsächlich handele es sich um die kommunistischen Enteignungen nach dem Krieg und nach dem Holocaust. 

„Schade, dass man das nicht erklärt hat, aber Israels Außenminister beging einen Fehler, weil man in dieser Sache Polen nicht besiegen kann. Er kalkulierte dennoch, dass er Polen auf der internationalen Arena beleidigen darf.“

Zu seiner Zeit (in der Regierung) wäre das nicht möglich, behauptet Sikorski selbstsicher.

Eine Frage und eine Antwort


Besitzangelegenheiten gehören zu den kompliziertesten.  In Polen noch ein bisschen mehr. Der Journalist Roman Laudańsk stellt dennoch eine direkte Frage:

„Haben wir jemals für das jüdische Vermögen bezahlt?“
Sikorskis Antwort ist ausführlich:
„Jüdisches Vermögen das ist das Vermögen der jüdischen Verbände und Gemeinden – Synagogen, Friedhöfe, Besitz der Vereine. Sie wurden großzügig zurückgegeben, genauso wie den anderen Glaubensgemeinschaften, darunter auch der katholischen Kirche. Das Vermögen verwalten verschiedene Organisationen, auch aus den USA. Ein Teil der Gelder verwendete man für die Pflege des jüdischen Kulturerbes in Polen, der andere Teil wurde ins Ausland transferiert. Das ist das wahre jüdische Vermögen. Das Privatvermögen hat in Polen keinen Glaubenscharakter. Gewiss hat die Mehrheit von uns mal eine Immobilie gekauft oder verkauft und weiß, dass wir im Grundbuch keine Religionszugehörigkeit deklarieren. Das ist eine Angelegenheit zwischen Polen und seinen jetzigen oder ehemaligen Bürgern, unabhängig von der Religion.“

Gegen Mafia, für Gerechtigkeit


Radosław Sikorski bezieht auch eine klare Stellung zur sogenannten „Wilden Privatisierung“, die erst die PiS-Regierung beendet und die Täter gerichtlich belangt hat. Über diese „Wohnungsmafia in Warschau, die sich auf die fiktiven jüdischen Erben berief“ (Roman Laudańsk) sagt Sikorski:
„Das war organisierte Kriminalität, die Täter gehören ins Gefängnis. Derartiges Prozedere konnte diese Intensität erreichen aus vielen Gründen wie Zerstörung  der Hauptstadt, Bierut-Dekrete und Verworrenheit Warschauer Besitzangelegenheiten. Im Konsens der politischen Kräfte beschloss man dem ein Ende zu setzen. Es gab 30 Jahre Zeit für die Lösung der Streitigkeiten. Immer noch möglich ist aber ein Zivilprozess. Ich bin davon überzeugt, dass diese Entscheidung keinen antisemitischen Charakter hat. Sie wurde herbeigeführt, nicht um den polnischen Juden Unrecht zu tun, sondern um die Korruption zu bekämpfen. Daher sind die Anschuldigungen des israelischen Ministers verfehlt.“ 
Dem ist nichts hinzuzufügen. 

Sonntag, 22. August 2021

Berichterstattung über Polen – ein Ärgernis

Kann man anders über Polen berichten? Bestimmt, aber nicht in Deutschland. Hier ist die Marschroute vorgegeben: haut auf die polnische PiS-Regierung drauf! Wobei sich die schimpfenden Journalistinnen und Journalisten nicht entscheiden können, in welche Ecke sie Polen zur Strafe stellen sollen. Der Ton ist aber klar: herablassend, feindlich und einseitig bis an die Schmerzgrenze. Der „Spiegel“-Artikel „Jenseits des Rechts“ von Maximilian Popp und Jan Puhl (Nr. 33) passt perfekt in das Schema.


                                                                            Kann man anders über Polen berichten?


Pauschal und generalisiert

Man nimmt also ein paar Unzufriedene und generalisiert zu einem Gesamtbild. Ich versuche diese Vorgehensweise an einem deutschen Beispiel veranschaulichen. Dafür hätte ich einen Richter gebraucht, der laute und medienwirksame Kritik über Frau Merkel und ihre Regierung äußert. Gibt es solch einen nicht? Wieso? Sind alle mit Merkel zufrieden? Wohl kaum. Die Richter entweder trauen sich nicht, ihre Meinung zu sagen, oder wollen sich nicht politisch einbringen, weil ein Richter unparteiisch bleiben soll. Nicht wahr? Für Polen darf diese Regel dennoch nicht gelten, laut deutschen Medien.

Dämonen an der Weichsel

Zum gängigen Mittel derartigen „Journalismus“ gehört Dämonisierung des Gegners, weil es hier eigentlich nicht um die Berichterstattung, sondern um eine ideologische Mission geht. Dafür konstruiert man ein Monster. 

Das Monster heißt in diesem Fall Jarosław Kaczyński. Er wird als gefährlich und allmächtig dargestellt. Wer die polnische politische Landschaft ein wenig kennt – stets in Bewegung, mit vielen Parteien und sich andauernd verändernden Allianzen – der wird mit dem Kopfschütteln nicht mehr fertig.

Verschwörung mit dem Traum der Schwiegermutter

Wieso tun das die deutschen Medien? Die Antwort auf die obige Frage wäre höchst interessant, würde sie eine ehrliche. Die naive Hoffnung lassen wir lieber beiseite.  In der Zwischenzeit versuche ich mich in Spekulationen und Verschwörungstheorien.

Die Wurzeln der heutigen Situation reichen tief in die Vergangenheit. Seit der Okkupation scheinen die Nachfolgegenerationen von faschistischen Mördern ihren Opfern nicht verzeihen können, dass sie keine Opfer mehr sein und auf Augenhöhe mitreden wollen. 

Die Kriegsrechnung ist immer noch offen und die Nazipropaganda quicklebendig. Die gezielte Vernichtung von Eliten, Kulturen und Gesellschaften deuten heute Propagandisten dreist um. Die Nazis hätten vor Freude über die vielen folgsamen Schüler gehüpft.

Es wundert in diesem Kontext nicht, dass sich einer wie Jarosław Kaczyński, der sich aufrichtet und Forderungen stellt, bestens als Zielscheibe jeglicher Attacken eignet. Ganz anders als der Traum aller Schwiegermütter Donald Tusk, Jungendfreund von Angela Merkel und ihr späterer Protegé. 

Der unersättlichen Machtbesessenheit von Frau Merkel steht einer wie Jarosław Kaczyński einfach im Weg – sie will die EU unterjochen, ihr Appetit ist enorm. Donald Tusk, ihre Marionette, erweist sich hierfür als nützlicher Idiot.  

Merkel selbst darf sich jedoch nicht mit Katharina der Großen (ihrem Vorbild) vergleichen. Denn sie hängt an den Schnürchen der mächtigen deutschen Familien. Familien mit langer Tradition. Auch Nazi-Tradition. Da ist man nicht wirklich wählerisch.

Darf ich überhaupt derartige Thesen fabrizieren? Wieso nicht? „Spiegel“ tut es schließlich auch.


Donnerstag, 29. Juli 2021

Henryk Broder, lautstarke Gesinnung und die Lippen von Jan Kasprowicz

Regelmäßig arbeiten sich die Hüter der politischen Korrektheit an Henryk M. Broder ab.  Er bietet die beinahe perfekte Projektionsfläche für die Wettbewerber um die größte Empörung im Dienste „der guten Sache“, weil er gerne provoziert und die von jenen Hütern festgelegten Grenzen überschreitet. Wieso tut er das? Was veranlasst ihn zu den Äußerungen wie diese: "Sagen wir, wie es ist: Der Antifaschismus ist der Faschismus des 21. Jahrhunderts"? 

Von mir bekommt Ihr keine Antwort darauf, weil ich die Motive von Herrn Broder nicht kenne. Ich freue mich aber, dass es ihn gibt. Lieber jemand, der über die Stränge schlägt, als eine Armee von Konformisten. 

 Wir dürfen ihn nie aus den Augen verlieren. 
Egal in welcher Verkleidung er erscheint.

Ein Fass Salz

Zurück zum oben zitierten Satz über Faschismus und Antifaschismus. Müssen wir jene Begriffe neu und zeitgemäß definieren? Tun wir das aber nicht andauernd? Diesbezüglich beschäftigt mich stets die Diskrepanz zwischen mehr oder weniger lautstark geäußerten Gesinnung und oft verborgenen und widersprüchlichen Einstellungen. Denn auf die Lippenbekenntnisse bin ich stark allergisch, genauso wie Jan Kasprowicz (1860 - 1926), ein polnischer Poet, der sich über geheuchelten Patriotismus ärgerte:  


"Selten berührt meine Lippen - 

Was ich hier heute bekenne -

Der mit Blut getränkte und

Kostbarste Klang: Vaterland.


Ich sah Händler im Wettstreit,

Auf den Plätzen versammelt,

Wie sie sich gegenseitig überbieten,

Wer es lauter herausschreit.“

Und nochmals das Original:

„Rzadko na moich wargach 

Niech dziś to warga ma wyzna -

Jawi się krwią przepojony,

Najdroższy wyraz: Ojczyzna.

 

Widziałem, jak się na rynkach

Gromadzą kupczykowie,

Licytujący się wzajem,

Kto Ją najgłośniej wypowie.”


Knapp und platt könnte man sagen, dass das Gelaber kaum zählt, die Gefühle und das Herz umso mehr. Die springen jedoch nicht sofort ins Auge. Darin besteht also die größte Schwierigkeit, das wahre Gesicht der lieben Nächsten zu enthüllen. Um einen Menschen wirklich kennenzulernen, muss man mit ihm gemeinsam ein ganzes Fass Salz aufessen, sagen die Polen und meinen damit, die unendliche Zeit, die man dafür braucht. 

Meister der Täuschung

Und was ist mit dem Faschismus? Er ist ein Meister der Täuschung, schon immer gewesen. Somit muss ich Henryk Broder in diesem Punkt recht geben: der Faschismus zögert nicht, die Maske des Antifaschismus aufzusetzen, wenn es ihm nützt. 

Er ist ein lebensgefährlicher Gegner. Mit gutgemeinten Aufrufen und Ritualisierung des Denkens lässt er sich kaum bekämpfen. Unsere Bequemlichkeit im Denken und Handeln ist seine persönliche Freundin. 

Indessen dürfen wir ihn nie aus den Augen verlieren. Egal in welcher Verkleidung er erscheint. Mit der Stärkung der Demokratie und dem ununterbrochenen Einsatz für Menschenrechte und Freiheit können wir ihn in Schach halten. 



Mittwoch, 28. Juli 2021

Plakate im Wahlkampf

 Sie freuen sich auf uns, aber stehen nicht zur Wahl.




Die Vorderseite ...




... und das Gegenteil.




Eine kommentierte Ausgabe.




Abgerutscht?




Geister der Vergangenheit?




Gute Preise, gute Besserung.




Rot wie die Kunst.




... weil Ihr es seid.



Freitag, 23. Juli 2021

Die Anmaßung maßt sich viel zu viel an

Nichts gedeiht so prächtig wie die Anmaßung, was so viel bedeutet wie Überheblichkeit und Arroganz oder unberechtigte Inanspruchnahme. Diese nüchterne Auflistung von Duden schildert natürlich keine gesellschaftlichen Folgen, die dieses Phänomen verursacht. Dabei denke ich kaum an die strafrechtlich relevante Amtsanmaßung (§ 132 StGB: Wer unbefugt sich mit der Ausübung eines öffentlichen Amtes befasst oder eine Handlung vornimmt, welche nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.) 

Mir geht es um die nicht strafbare und um unsere alltägliche allgegenwärtige Überheblichkeit, die uns Steine in den Weg legt und an den Rand der Verzweiflung bringt, während sie uns auf Schritt und Tritt begleitet. 

                                                                  Es muss mitnichten die oberste Stelle sein.

In voller Hässlichkeit


Die Voraussetzungen sind überall wirklich günstig. Wenn eine Gesellschaft streng hierarchisch aufgebaut ist (zeigt mir aber bitte eine Gemeinschaft, die keine Hierarchie kennt), entsteht fruchtbarer Boden für Überheblichkeit und Arroganz. Von oben blickt man einfach leichter herab. Es muss mitnichten die oberste Stelle sein, um das Phänomen auszulösen. Eine kleine Erhöhung, eine winzige Stufe höher und schon zeigt sich die Arroganz in voller Hässlichkeit.  

Die Anmaßung will stets mehr und begnügt sich nicht mit dem Vorhandenen. Das ist in sich keine schlechte Eigenschaft. Die Überheblichkeit täuscht aber lediglich eine gesunde Ambition vor. Denn sie ist krank vor Missgunst und Eifersucht. Sie ist an einem fairen Match nicht interessiert. Nicht im Geringsten. Sie will herrschen, der Rest hat sich gefälligst unterzuordnen.

Chamäleons Mäntelchen


Kommt die Anmaßung an die Macht, sind die Konsequenzen gravierend, mitunter vernichtend. Denn sie will immer recht haben; koste es, was es wolle. Ihre Entscheidungen wirken dementsprechend oft sprunghaft und lassen sich selten nachvollziehen. Das angestrebte Ziel können die Beobachter nicht wirklich erkennen. Sie suchen doch nach logischen Voraussetzungen. In meisten Fällen vergeblich. Weil die Anmaßung nur ein Ziel hat – sich selbst.

Sie ist ein Chamäleon und verkleidet sich dauernd. Dabei hängt sie ihr Mäntelchen stets nach dem Wind.  Damit weicht sie jeder ernsthaften Debatte aus. Sie liebt stattdessen die Inszenierung – das A und O ihrer Geltungssucht.

Weg von Auto-


Die Anmaßung blendet und verblendet diejenigen, die sich nach Autoritäten sehnen und auf die Autokraten reinfallen. Beide Begriffe beginnen mit dem Präfix "Auto-", das die Aufmerksamkeit auf sich selbst lenkt. Darin verbirgt sich auch die Gefahr und die Verlockung, das Nachdenken den anderen zu überlassen.

Gibt es denn ein Gegengift? Das wichtigste wäre die Immunisierung gegen Hypokrisie und Heuchelei.

Bis es so weit ist, nicht aufhören zu fragen! Wer fragt, irrt nicht. Oder wenigstens seltener. Und wer hinterfragt, der ist besser gegen die Anmaßung gewappnet. Sie hält sich nämlich an keine Spielregeln.

Mittwoch, 30. Juni 2021

Wahlen 2021: ich wünsche mir …

Im September dürfen wir wählen. Ich freue mich darauf und hoffe, dass sich danach viel ändert. Dass die Wahlen kein Wunschkonzert sind, weiß ich natürlich. Wünsche habe ich trotzdem. Wer hat sie nicht?

                                                                       Im September dürfen wir wählen.


Märchen über die Würde

An erster Stelle wünsche ich mir nicht mehr und nicht weniger, als dass das ganze existierende neoliberale System auf den Prüfstand gestellt wird. Ich denke dabei nicht an eine Revolution, weil ich die Gewalt als Mittel der Veränderungen  absolut ablehne, sondern an die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz und den Menschenrechten. 

Denn das Grundgesetz wird oft wie eine Märchenerzählung behandelt – schön, aber ohne Bezug zur Wirklichkeit. So in der Art: Es war einmal ein Land, in dem die Würde des Menschen als höchstes, unantastbares Gut galt und wo jede und jeder das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit hatte …  .

Wer das Grundgesetz mit seinen Grundrechten ernst nimmt, muss die herrschenden Strukturen von Grund auf umbauen. Sie beinhalten nämlich viele eindeutig rassistische, antisemitische und diskriminierende Bauteile.

Der Fehler liegt im System. 

Ungesunde Vermengung

Wieso sollen wir aber überhaupt am System rütteln, wenn wir doch in einem der reichsten Länder leben? Eben deswegen, weil wir es können und müssen. „Nach uns die Sintflut“ eignet sich nicht für eine Gesellschaft, die  die Zukunft in Erwägung zieht.

Die Pandemie ist ein Wendepunkt. Sie läutet das Ende des alten Weges ein, was viele leider überhören, oder nicht verstehen.  

Schauen wir uns beispielsweise das Gesundheitssystem an. Theoretisch sollte es darum gehen, die Abwehrkräfte des Menschen zu stärken, damit er ohne Hilfe auskommt. Wenn man aber die Gesundheit mit der Ökonomie vermengt und alle Teilnehmer – Ärzte, Apotheker, Pflegedienste, Pharmaindustrie usw. – an Patienten verdienen wollen, dann sind die Verdienenden nicht an der Genesung, sondern am  Erhalt des Status quo – lange konstante Erkrankung – interessiert.  So wurden in Deutschland 2018 fast 17 Millionen Operationen durchgeführt. 2010 waren es noch 13 Millionen.

Im Grunde genommen ist das kein Gesudheits-, vielmehr ein Krankheitssystem. 

Zeitpunkt für den Geist

Zurzeit hört man das Wort "Arbeitsplätze" andauernd und bis zu den Wahlen wird das auch so bleiben. Besonders in der Wirtschaft. Wer mehr davon verspricht, der hofft mehr Stimmen zu bekommen. 

Da es aber genauso leidenschaftlich um die Digitalisierung und Automatisierung gerungen wird, frage ich laut, wie man diese verschiedenen Richtungen verbinden will. Die Arbeitsplätze werden doch dadurch wegfallen. Einfach verschwinden.

Daher wäre gerade jetzt der richtige Zeitpunkt, das Bedingungslose Grundeinkommen einzuführen. Dadurch hätte sich die Bürokratie wesentlich verringert (vom Abbau der Überproduktion und Zerstörung der Umwelt ganz zu schweigen). Dazu käme ein völlig anderer Geist im Land. Fast märchenhaft. Wie der im Grundgesetz. 



Montag, 14. Juni 2021

Freiheit ist die beste Freundin der Demokratie

Was ist eigentlich Freiheit? Ein Gefühl, ein Zustand, ein Recht oder eine Selbstverständlichkeit? 

Wahrscheinlich beinhaltet sie all das und noch mehr. Nur einfach ist sie nicht.

                                                                          Frei wie ein Vogel. Eigenes Foto.

Neu verhandeln


Ihre Bedeutung begreifen wir meist erst dann, wenn sie uns fehlt. Wie jetzt in der Pandemie:

„Es ist Zeit, sich auf die große Freiheit vorzubereiten: den bangen Blick von den Inzidenzen lösen, den ewigen Wechsel von Schließungen und Lockerungen beenden, die Expertokratie auslaufen lassen und Christian Drosten sowie Karl Lauterbach wieder zu Nebendarstellern machen. Es ist Zeit für große Politik, die Politik der Freiheit.“1)

In diesem Sinne bietet die Pandemie eine große Chance, nicht zum alten Zustand zurückzukehren, sondern neu über die Freiheit zu verhandeln. 

Bildlich ernst


Denn wir waren in den Vor-Corona-Zeiten mitnichten frei; eher im alten Trott und in den sozialen Konventionen gefangen. Grob skizziert sah das alte Bild ungefähr folglich aus: In dem größten Bordell des Europas, auf der größten Drehscheibe für die organisierte Geldwäsche schwadronierten einige herrschenden Politiker über "ein Land, in dem wir gut und gern leben".  

Das ist kein Bild, sondern eine Karikatur? Da muss ich widersprechen. Laut Duden bedeutet Karikatur „Zeichnung o. Ä., die durch satirische Hervorhebung bestimmter charakteristischer Züge eine Person, eine Sache oder ein Geschehen der Lächerlichkeit preisgibt.“ Ich sehe hier aber nichts zum Lachen, besonders wenn ich noch ein paar Ergänzungen hinzufüge, wie moderne Sklaven (Wenig-Verdiener und Hartz-IV-Empfänger) oder sich selbst überlassene Alleinerziehende.

Alter Trott


Wenn wir die alte Welt einfach hinter uns lassen könnten! Man wird doch träumen dürfen, ehe die harte Wirklichkeit uns aufrüttelt. Vor allem der Gestank.  Der Gestank des Nazismus mieft bis heute überall dort, wo die Grundrechte und die Freiheit ungerechtfertigt beschnitten werden. Wobei schaut man gewöhnlich in die Richtung einer Partei. Wer jedoch reflexartig die AfD des Faschismus bezichtigt und dadurch sein Gewissen reinzuwaschen glaubt, der irrt gewaltig. 

Der alte Trott war und ist im erschreckend hohen Maß vom Nazi-Geist durchdrungen. 

Bevor mir jemand die Übertreibung und Dämonisierung der berühmten „Einzelfälle“ vorwirft, möchte ich zu bedenken geben, dass bis in die siebziger Jahre in den Behörden und Ministerien viele Nazis munter weiterarbeiteten und die Nachwuchsführungskräfte schulten. Da darf man sich wirklich nicht wundert, dass die Nachfolgegenerationen die Seuche tüchtig immer noch verbreiten.

Gegen diese Seuche hilft kein Impfstoff. Sie hat aber keine Chance dort, wo die Freiheit blüht.

1) „Keine Angst vor der Freiheit“, Dirk Kurbjuweit, „Der Spiegel“ Nr. 23.


Montag, 24. Mai 2021

Jacek Żaba , eine Geschichte aus der Hölle der Redlichen

Jacek Żaba, nicht mal 26 Jahre alt geworden, hat keine großen Taten vollbracht und keine große Karriere hingelegt. Dennoch dürfen wir ihn nie vergessen. 


                                                                                    Fot. Jacek Żaba*)


Schule, Arbeit, Widerstand

Sein Leben ist schnell erzählt. In Krakau am 23.09.1963 geboren, ging er dort zur Schule. „Podstawówka”, wie man die Grundschule in Polen nennt, dauerte damals acht Jahre. Danach arbeitete er bei den Städtischen Verkehrsbetrieben. Der sympathische Einzelgänger schloss sich dem antikommunistischen Widerstand an und beteiligte sich aktiv an den Aktionen und Demonstrationen der derweil verbotenen Gewerkschaft „Solidarność“. Zu der Zeit galt das Kriegsrecht.

Vorher, am 13. Dezember 1981, erklärte General Jaruzelski den Ausnahmezustand in Polen und die Panzer rollten im kalten Winter durch die Straßen. Die kommunistische Regierung führte also den Krieg gegen das eigene Volk.

„Ein menschliches Wrack“

Ins Visier der polnischen Stasi geriet Jacek Żaba im 1982. Er wurde am zweiten September wegen der Teilnahme an der Demonstration vom 31.08.1982 verhaftet. Die Haftanstalt verließ er am 6.01.1983. Das Verfahren stellte das Gericht am 18.10.1983 ein, infolge einer Amnestie vom 21.07.1983.

Beim zweiten Mal sprach das Gericht Jacek  am 26.06.1986 schuldig und verhängte eine Freiheitsstrafe von 1,5 Jahren für eine Aktion, die zum Streik am 13. Dezember, am Jahrestag der Kriegsrecht-Ausrufung, führen sollte. 

Obwohl es sich um einen politischen Akt handelte, landete Jacek  in einer Zelle zusammen mit den harten Kriminellen. Dort wurde er erniedrigt, missbraucht, mit Exkrementen beschmiert, geschlagen und von seiner obersten Pritsche auf den Betonboden geworfen. Die Wächter ließen es zu oder machten mit. Unterdessen lehnte die Gefängnisleitung seine Bitte um Erlaubnis für die Korrespondenz mit Bekannten ab. Auf diesem verbliebenen Dokument befindet sich eine Anmerkung: "ein menschliches Wrack, debil, nicht genehmigen". 

Am 24.10.1986 ordnete man die Unterbrechung der Strafe. Da wog der Gefangene Żaba 48 kg. Sein Bekannter, der ihn damals zu sich nach Hause einlud, war geschockt: "Ich habe so etwas noch nie gesehen. Nachdem meine Frau Kartoffelpuffer serviert hat, schnappte sich Jacek noch ganz heiße Stücke, drückte sie krampfhaft in den Händen und flüchtete in die Ecke, in der er alles aufgegessen hat, mit dem Rücken zu uns gewandt."

Freiheit als Illusion

Einmal lächelte das Schicksal und Jacek  Żaba durfte den inzwischen international bekannten Oppositionellen Jacek Kuroń treffen, der ihm zusammen mit zweitausend Versammelten applaudierte. Kuroń versprach öffentlich, Jacek  Żaba vor der Rückkehr ins Gefängnis zu bewahren. Denn der Kommunismus schien sich rasant dem Ende zu nähern.

Als Jacek dann trotzdem die Aufforderung zur Fortsetzung der Strafverbüßung erreichte, sprang er vom achten Stockwerk in den Tod.

Hölle der Redlichen

Zu dieser Geschichte gehört auch der Fakt, dass die Verantwortlichen für das Verbrechen an Jacek Żaba nie bestraft wurden.

"Skizzen aus der Hölle der Redlichen" („Szkice z piekła uczciwych”) von Leon Kruczkowski, im 1963 erschienen, beschrieben die damalige polnische Realität. Der Begriff eignet sich dennoch für die Schilderungen aus jeder Diktatur. 

Die Hölle der Redlichen ist überall dort, wo man Menschen wie Jacek Żaba, unbestraft foltern und in den Selbstmord treiben kann. Und wo sie vergessen werden.


*) Fotonachweis: https://naszahistoria.pl/zlamane-zycie-jacka-zaby/ar/11440088



Freitag, 30. April 2021

Twitter, Hammer und #allesdichtmachen

Ich habe in den Social Media hauptsächlich das Positive gesehen und tue es immer noch.  Sie überwinden Grenzen und Ozeane und verbinden uns im Nu öffentlichkeitswirksam. Sie bilden ein Gegengewicht zur Macht, auch zur vierten Macht – den öffentlichen Medien, jenen Medien, die in erheblichem Maße ihren gesellschaftlichen Auftrag - die Kontrolle der Machthaber - vergessen haben und sich vom Kontrolleur zum Teilnehmer entwickelten. Wandelten sich die Sozialen Medien tatsächlich zur fünften Macht? Welche Rolle spielen sie im politischen und gesellschaftlichen  Spielraum?


                                                                           Wer dreht da an der Schraube?


Spiel mit dem Hammer


Die undifferenzierte Kritik des Establishments - der mitherrschenden Eliten -, begnügt sich demnach mit der Anklage wegen Mittäterschaft.  So einfach sieht die Realität aber nicht aus. Einerseits gibt es immer noch viele gute Journalisten, die sich der Wahrheit verpflichtet fühlen. Anderseits ist die Medien-Landschaft eine ganz andere als die aus der Zeit der "Unbestechlichen" (All the President's Men). 

Jedenfalls erzeugen Social Media einen enormen Druck auf die „alten“ Medien und zwingen sie, mitzuspielen. Es ist ein Spiel mit teilweise undurchsichtigen und wechselnden Regeln im öffentlichen Raum. Wobei viele sehen in den gewachsenen Möglichkeiten der Beeinflussung die größte Gefahr. Manipulation und Anstiftung bekamen neue Instrumente und erreichten neue Dimensionen. 

Somit wächst ungemein die Verantwortung jeder einzelnen Person, die sich auf das Spiel einlässt. Mitnichten aber haben wir hier mit einem neuen Phänomen in der Geschichte zu tun. Wie bei jeder menschlichen Erfindung hängt die Art der Nutzung vom Nutzer ab. Ein einfacher Hammer kann als Werkzeug sehr behilflich sein, als Waffe – zerstörend bis tödlich. 

Twitter mit und ohne Trump


Zum eindeutigen Gewinn der Veränderungen auf dem politischen Feld zähle ich die Möglichkeit der direkten Kommunikation zwischen den Akteuren. „Ich habs erfunden“, könnte Donald Trump sagen. Auf Twitter verkündete er als einer der intensivsten Nutzer ohne Umwege und in einer beispiellosen Manier seine Entscheidungen und Pläne und registrierte die darauf folgenden Reaktionen

„Als ich vor Jahren mit Twitter anfing, war es wie eine gescheiterte Sache, Konzept, Medienplattform. Und es wurde aufregend. Und ich denke, ich hatte damit eine Menge zu tun, um ehrlich zu sein.“

Twitter läuft jetzt bekanntlich ohne Trump weiter und wie der Chef Jack Dorsey betont, ist diese Plattform „ganz offensichtlich größer als jedes einzelne Thema und jeder einzelne Account.“

Wir dürfen (fast) alle mitspielen, solange wir uns an die Regeln halten, die wir zum Teil jedoch nicht kennen. Dabei ist es eigentlich egal, worum es uns wirklich geht,  dem Twitter geht es selbstverständlich um den Schotter.

„Twitter verdient sein Geld hauptsächlich mit Anzeigenprodukten – wie etwa der Möglichkeit, Tweets in Timelines der Nutzer zu platzieren. Zugleich solle auch mit nicht näher umschriebenen Abo-Ideen experimentiert werden.“

Ad absurdum zwischen den Lagern


Die Versuche, eine gesellschaftliche Diskussion extrem zu vereinfachen und angeblich politisch korrekt auf eine intolerante Weise zu führen, könnte man als die Rache der entmachteten Eliten betrachten: Wenn man die Leichtigkeit des Zugangs zum öffentlichen Raum ad absurdum führe, dann kommen vielleicht die alten guten Zeiten zurück.

Dieser Verdacht erhärtet sich  angesichts des  tonangebenden Mainstream-Denklagers, das sich als Kämpfer im Namen der Wissenschaft und der gerechten Sache sieht, aber dabei die Grundvoraussetzungen  missachtet : zweifeln statt glauben, argumentieren statt belehren.

Dass wir ganzgesellschaftliche Debatten dringend brauchen, zeigen spektakulär hysterische Reaktionen auf die eher harmlose Aktion der berühmten Schauspieler mit dem Hashtag #allesdichtmachen. Sie wagten sich, die politisch-korrekten Heiligtümer auszulachen.

Dafür danke ich ihnen!

Wir brauchen Debatten ohne Tabus! Es ist allerhöchste Zeit!   


Donnerstag, 11. März 2021

Gendersternchen im Fluss

 Mit den gekünstelt wirkenden Sprechpausen verspottet Ihr die Stotterer. Natürlich ist das ein Scherz! Jetzt im Ernst: Die immer noch aktuelle Diskussion über die Gendersternchen ist für mich nur eine weitere Nebelkerzen-Debatte. Das zweifelhafte „Aufhübschen“ der Sprache mit den Sternchen und dem Stottern verschiebt eins der wichtigsten gesellschaftlichen Themen auf den Nebenschauplatz. Das könnte man sogar zur Sabotage erklären. Vorsicht, Ironie!  

                                                                                            Duden*in


Wo ist der Mut hin?


Während Frauen einerseits öffentlich von der deutschen Scharia-Moral an den Pranger gestellt, anderseits massenhaft zu Objekten als Prostituierte degradiert werden, hätte ich mehr Mut allerseits erwartet, um die wichtigsten Probleme anzusprechen. In gleichem Maße von Frauen wie von Männern auf den beiden Seiten der Trennlinie. Weil Frauen auf den beiden Seiten vertreten sind. Ohne ihr Mittun hätte das Patriarchat keine Chance.

In ihrer Natur


Was geht mich aber Eure Mutter an, ich meine, Eure Muttersprache? Deutsch ist doch nicht meine Mutter. Eher die Stiefmutter. Mit allen aus den Märchen bekannten Konsequenzen und vielen begleitenden  Monstern unterwegs. 

Tja, sie – die deutsche Sprache – zeigt ein wesentlich freundlicheres Gesicht als ihre Wächter und Wächterinnen oder Bezwinger und Bezwingerinnen. Jede und jeder darf hineinspringen und versuchen mitzuschwimmen. Die Gastfreundlichkeit liegt in ihrer Natur. Sie will einen, nicht ausgrenzen.

Duden oder Duden*in


Dabei ist der Feminismus wichtiger, denn je. Er führt zu einer echten Demokratie. Es geht nicht darum, das Patriarchat durch das Matriarchat, ein ungerechtes System durch ein anderes ungerechtes System zu ersetzen, sondern um die Gleichwertigkeit, um die Gleichberechtigung. Solange wir einen Unterschied machen, egal aus welchem Grund – Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft usw. – also solange wir in der anderen Person nicht vor allem einen Menschen sehen, helfen uns keine Sternchen. Sie lenken nur von den wahren Problemen ab. 

Aber bitte keine (German) Angst: die Sprache wird daran nicht zerbrechen. Sie hat schon Schlimmeres erlebt und überlebt. Mit dem Duden oder der Duden*in – je nachdem. 

Freitag, 15. Januar 2021

Die Wiederentdeckung der Psyche

Etwas so winzig wie das Coronavirus verändert die ganze Welt. In diesem Drama sind wir sowohl Akteure als auch Zuschauer.  Wir versuchen es zu begreifen und stoßen dabei an unsere Grenzen. 


Geist findet sich nicht im Code


Devora Kestel, die WHO-Direktorin für psychische Gesundheit, erinnerte letztes Jahr, an den wichtigen „Aspekt von COVID-19“ - die Psyche. 

In der Tat wirkt sich das Virus auch auf unseren Geist aus und beweist spektakulär, dass uns die Geschehnisse und Umstände formen und verformen. Unsere Psyche lässt sich nicht mit dem DNA-Code definieren. Sie entsteht im Interagieren mit der Welt. 

Damit bekräftige ich einmal mehr meine Abneigung gegen starre biologische Betrachtungen der Psyche. 

Jagen und mit Vorwürfen überziehen


Jede und jeder kann psychisch zusammenbrechen, wenn es auf sie oder ihn genug Druck ausgeübt wird. Eine persönliche Belastungsgrenze hängt von vielen Faktoren ab.

Vor unseren Augen spielt sich soeben ein unwürdiges Spektakel ab, das wie ein Belastbarkeitsexperiment aussieht: Wie lange wird er noch aushalten? Er, der Journalist Julian Assange.

Sein „Verbrechen“ sieht zusammengefasst folglich aus:

"Assange enthüllte Kriegsverbrechen der USA im Irak („Collateral Murder“), Kriegstagebücher aus Afghanistan, Berichte über Foltermethoden in Guantánamo, schließlich noch diplomatische Depeschen und Informationen über geheimdienstliche Überwachungsprogramme.“1)

Die Naiven unter uns glauben, dass alles das zu den Aufgaben des wahren Journalismus gehört. 

Es gibt aber auch eine andere Sichtweise, die in Assange eine öffentliche Bedrohung erkennt und eine entsprechende Vorgehensweise  empfiehlt:

„Genug also um ihn (Assange), wie es Mitarbeiter der Schatten-CIA „Stratfor“ in einem Mailwechsel mal vorschlugen, „von Land zu Land zu jagen und mit Vorwürfen und Klagen zu überziehen“.2)

Es ist so viel versäumt worden


Wie umgehen mit den schweren und zu schweren Erfahrungen, die unsere Psyche beanspruchen?

Nach dem Krieg wollte sich Mietek Pemper, der Helfer von Oskar Schindler, selbst in die Psychiatrie einweisen. Als persönlicher Schreiber von Amon Göth im KZ Płaszów musste er jahrelang ums Leben fürchten. Sein Freund, ein Psychiater, riet ihm von der Hospitalisierung ab; Wenn du das tust, wirst du ständig dorthin wiederkehren. Mietek Pemper folgte diesem Rat und kam in der Freiheit doch zurecht. In seinem Buch „Der rettende Weg. Schindlers Liste – die wahre Geschichte“ appellierte er an die zukünftigen Generationen:

„Es ist so viel versäumt worden bei der Erziehung des Menschen zum Menschen! Wir müssen diese Versäumnisse aufarbeiten und mit gutem Beispiel vorangehen. Wir müssen uns vor allem der Verlockung widersetzen, Gewalt und Rücksichtslosigkeit mit ‚gesundem‘ Durchsetzungsvermögen und Gefühlskälte mit Vernunft zu verwechseln.“

Wir haben nicht mal richtig damit begonnen.


1) https://miloszmatuschek.substack.com/p/assangeprozess
2) ebenda