Posts mit dem Label minderwertig werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label minderwertig werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Mittwoch, 13. Oktober 2021

Rassismus, Sexismus, Diskriminierung - der Mechanismus ist gleich

Ihr glaubt, dass Ihr im Recht seid, wenn Ihr mal die einen, mal die anderen ausschließt? Weil Ihr am längeren Hebel sitzt und damit an der Macht (so klein sie auch sein mag) seid und die Regeln aufstellen könnt? Obacht Leute! So fängt es an. Bitte also nicht die Unschuldigen spielen. Ihr seid womöglich Mittäter, wie in dieser Szene aus dem Film "Blue Eyed".

"Jane Elliott: Warum haben Sie sie nicht verteidigt?
Teilnehmer des Experiments: Wenn Sie diese Frau schikanieren, dann trifft's nicht mich, so sind die Regeln. Ich lehne mich zurück und gehe in Deckung. 
Jane Elliott: Und überlassen sie ihrem Schicksal. Das ist es doch, warum Rassismus funktionieren kann, Leute. Darum kann Sexismus funktionieren, darum kann Diskriminierung alter Menschen funktionieren. Sich zurücklehnen und nichts unternehmen heißt. mit den Unterdrückern gemeinsame Sache machen."

Über dieses Experiment schrieb ich 2008 den nachfolgenden Artikel unter dem Titel „Experiment mit blauen Augen“ für suite101.de (eine nicht mehr existierende Plattform). Die Zeiten ändern sich, der Text bleibt aktuell:

"Das ist kein Spiel. Wenn das ein Spiel wäre, 
hätte jeder die gleichen Chancen." 


Aus einem an Schülern durchgeführten Experiment entwickelte Jane Elliott ein Trainingsprogramm. Das Ziel der Übung ist es, die Mechanismen des Rassismus zu begreifen. Wie sich das anfühlt, ausgeschlossen zu sein, soll endlich jede und jeder am eigenen Leib erfahren. So oder so ähnlich musste sich die amerikanische Lehrerin Jane Elliott gedacht haben, als sie nach der Ermordung von Martin Luther King (04.04.1968) ihre Schüler unterrichtete.

Zuerst spalten


Sie führte folgendes Experiment durch: Dafür teilte sie zuerst ihre Klasse in zwei Gruppen auf: die Blauäugigen und die Braunäugigen. Die Schüler mit den blauen Augen erhielten blaue Kragen um den Hals, damit man sie von den anderen auf den ersten Blick unterscheiden konnte. Die Lehrerin erklärte hierbei die Blauäugigen als minderwertig. Die Schüler mit den braunen Augen sollten als sowohl geistig wie auch körperlich überlegen gelten. Danach schlüpften die Kinder in ihre Rollen. Wobei die einen sich erniedrigen ließen und die anderen erniedrigt haben.

Vom Experiment zum Training


Aus diesem Experiment entwickelte Jane Elliott ein Trainingsprogramm und tingelte seit 1984 durchs Land. Im Jahr 1996 kam sie mit ihrem Programm zum ersten Mal nach Europa. Ihre Tätigkeit wurde von Anfang an dokumentiert. Der erste Film entstand im Jahr 1970 in ihrer Schulklasse. Einer ihrer Erwachsenen-Workshops wurde auch von den deutschen Filmemachern unter dem Titel „Blue Eyed. Blauäugig“ 1996 verfilmt*).

Darin erfahren wir, warum gerade diejenigen mit den blauen Augen diskriminiert werden sollten: Der Grund dafür war die bewusste Umkehrung des Nazi-Prinzips, nach dem die blauäugigen Arier zu selbsternannten Übermenschen zählten.

Der Film "Blue Eyed" lässt die Zuschauer dem Experiment beiwohnen und beobachten, wie Jane Elliott die Blauäugigen mit Hilfe von Braunäugigen maßregelt. Die Braunäugigen erreichten den Status von Verbündeten und viele Vorteile. Ihnen wurden unter anderem auch die Lösungen von IQ-Tests diktiert, damit sie sich als intelligenter erweisen. Sie sollten als Dank dafür nur mitmachen. Und sie machten mit.

Den Vorgang mit dem IQ-Tests-Verrat begründete Elliott so: Das ist keine Mogelei, sondern lediglich eine Verstärkung der Machtposition. Und sie ergänzte sofort, dass es in Amerika genauso in den Schulen zugehe. Sie kenne sich ja aus; sie arbeite schließlich über 20 Jahren als Lehrerin.

Pech, der falschen Gruppe anzugehören


Die blauäugigen Pechvögel mussten vor allem warten. Sie warteten isoliert von den anderen. Der Raum, in dem sie sich aufhielten, war klein und besaß keine Fenster. Für 17 Personen standen nur drei Stühle zur Verfügung.

Wenn sie später den Übungsraum betraten und sich setzen durften, reichten die Stühle auch nicht aus. So landeten sie wortwörtlich auf dem Boden. Die Hierarchie wurde damit anschaulich verdeutlicht. 

Vor allem aber sollten sie spuren. Ihnen wurden strenge Regeln auferlegt. Sie sollten ohne zu zögern gehorchen. Ihre Fehler wurden ausgiebig in der Gruppe besprochen, um sie zu verunsichern. Sie wurden ausgelacht und rüpelhaft getadelt. Bis die Tränen flossen.

Im Spiel hätte jeder und jede gleiche Chancen


Jane Elliott wunderte sich selbst, wie leicht es ihr fiel, ihre Macht während der Übung durchzusetzen. Die Einschüchterung funktioniert, verkündete sie abschießend. Den Einwand eines Teilnehmers, es wäre nur ein Spiel, erwiderte sie mit einer bitteren  Erkenntnis: "Das ist kein Spiel. Wenn das ein Spiel wäre, hätte jeder die gleichen Chancen." Und sie setzt noch eins drauf: "Glauben sie, dass es draußen gerecht zugeht?"

Wer unter den Blauäugigen jammerte, wurde sofort zurechtgewiesen: „Können Sie nicht einmal zweieinhalb Stunden aushalten, was die Schwarzen in diesem Land ihr ganzes Leben lang erdulden müssen?“ Ein weißer Blauäugiger-Teilnehmer gestand daraufhin verunsichert, dass es ihm Angst mache, selbst ein Teil dieses Systems zu sein.

Wozu das Ganze?


Was wollte Jane Elliott mit ihrem radikalen Experiment erreichen? Die Menschen sollten begreifen, was Rassismus sei. Sie sollten begreifen, was den Schwarzen, Schwulen, Lesben, Migranten, Frauen und anderen Benachteiligten jeden Tag zustoße.

Lassen sich aber auf diese Weise Verständnis und Einfühlungsvermögen beibringen? Lässt sich sogar die Realität ändern? Kann man Rassismus exorzieren?

Kritik oder wir wissen es besser


Wohl kaum, meinen viele Kritiker. Die Psychologen unter ihnen beanstandeten die schwarz-weiße Abbildung der Wirklichkeit. Susanne Lang und Rudolf Leiprecht kritisieren: „im praktischen Trainingshandeln ist ein konservativ-autoritäres Verständnis von Bildungsprozessen erkennbar. Darüber hinaus herrscht in der konkreten Interaktion mit den Teilnehmer(inne)n ein anti-dialogischer Kommunikationsstil vor“. (Susanne Lang, Rolf Leiprecht, Autoritarismus als antirassistisches Lernziel? 2001)

Rassismus „ist mehr als ein Set gängiger Vorurteile, Klischees und Stereotype gegenüber Migrant(inn)en bzw. ethnischen Minderheiten“, lautet der Vorwurf von Christoph Butterwegge (in „Rechtsextremismus als Herausforderung für Politik und Sozialpädagogik“ 2002). „Sinnvoller erscheint da schon ein `Argumentationstraining gegen Stammtischparolen`“, führt er weiter aus.

Trotz Kritik wurde das Konzept von Jane Elliott aufgegriffen und verbreitete sich auch in Europa. In Deutschland wurde der Eye-to-Eye-Verein gegründet. Nach Elliots Vorbild leiten deren Trainer Übungen, die den Teilnehmern das Gefühl des Machtmissbrauchs und die Ohnmacht der Unterdrückten nachempfinden lassen sollen.


*) Buch und Regie, Bertram Verhaag, 1996.

Weiterführende Links:

Donnerstag, 3. September 2015

Eine überfällige Diskussion

Der nicht endende Strom der Flüchtlinge zwingt uns zur Diskussion über ein Thema, das uns stets begleitet, dennoch zu wenig öffentliche Beachtung fand und immer noch findet: über den Rassismus. Das Problem ist umso größer, weil wir alle dazu neigen, die anderen in irgendeine Schublade zu stecken und mit einer Überschrift zu versehen, was uns hilft, die komplizierte Welt zu ordnen. Hand aufs Herz: Wer tut das nicht? Niemand ist frei von Vorurteilen.


                                                                                       Karikatur: Kostas Koufogiorgos

Gefährliche Waffe


Was als hilfreiches Ordnungssystem durchaus seine zweifellose Berechtigung hat, mutiert jedoch zu einer gefährlichen Waffe, zu einem Vernichtungswerkzeug, wenn wir es nicht mehr für die Orientierung gebrauchen, sondern für die Stimmungsmache, das Schüren des Hasses, das Hetzen. Vom Orientieren geht man zum Bewerten über, wo es nichts zu bewerten gibt. Wie wollt Ihr überhaupt den Wert abschätzen, wenn es sich um das Menschenleben handelt? Darf man in diesem Zusammenhang über ein unwertes Leben sprechen? Die Nazis haben diese Frage bejaht. Sie sprachen den ganzen Nationen das Recht auf Leben ab. Die bloße Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe entschied über Leben und Tod.

Vor allem Feiglinge


Unser aller Problem  sehe ich darin, dass wir besser sein wollen. Eigentlich ein hehres Ziel. Der Haken an der Sache ist aber, dass es uns nicht reicht, aus Freude am Machen dies zu tun. Wir wollen besser als die anderen sein. Schön wäre es, wenn wir diejenigen trotzdem als Menschen achten würden. Außerdem: Wer in einem gut ist, muss nicht unbedingt in allem glänzen. Manchen von uns ist solch eine Fairness jedoch zuwider. Sie brauchen einen Abstand zum Rest. Dafür müssen die anderen – logischerweise – schlechter sein. Es reicht demnach irgendeine Gruppe mit dem Merkmal „minderwertig“ zu versehen, schon fühlt man sich besser. Die Auswahl geschieht nicht unüberlegt. Man wird sich nicht mit den Stärkeren anlegen. Die Schwachen sollen für diese Aufgabe herhalten. Denn Rassisten sind vor allem Feiglinge. 

Anständige ohne Anstand


Ich behaupte, dass nicht die überzeugten Rassisten das Hauptproblem sind. Die tragen- wenn man so sagen darf - wenigsten ihren Hass offen. Vielmehr muss man sich vor den vielen angeblich Guten vorsehen – ich meine hier nicht die Aber-Rassisten - „Ich habe nichts gegen Ausländer, aber…“. Es geht mir um die wortkorrekten Werteschützer, die Wasser predigen und Wein trinken – also diejenigen, die immer das Richtige sagen, aber das Falsche tun. Sie lassen uns verzweifeln, weil man von ihnen den Anstand erwartet, stattdessen aber den hinterhältigen Rassismus bekommt.

Wie kann man sich vor diesen Anständigen ohne Anstand schützen? Sie sind überall: in der Schule geben sie ihren ausländischen Schülern schlechtere Noten, in der Arbeit lassen sie keine Bewerbungen von den Migranten zu, als Vermieter lügen sie, dass die Wohnung schon leider vergeben ist. Sie warnen gern vor den gefährlichen Pflastern aus einem einzigen Grund: Dort wohnen „Zigeuner“, Türken, Ausländer. Als Politiker täuschen sie Besorgnis vor und prangern ganze Gruppen von Menschen an (wie beispielsweise die sog. Wirtschaftsflüchtlinge), die sich nicht wehren können. Sie alle würden schwer beleidigt, wenn man sie mit Nazis verglichen hätte. Dennoch ist dieser Vergleich berechtigt. Sie handeln in diesem Geist und ihre anders lautenden fadenscheinigen Bekundungen machen dies nicht besser.