Donnerstag, 29. Juli 2021

Henryk Broder, lautstarke Gesinnung und die Lippen von Jan Kasprowicz

Regelmäßig arbeiten sich die Hüter der politischen Korrektheit an Henryk M. Broder ab.  Er bietet die beinahe perfekte Projektionsfläche für die Wettbewerber um die größte Empörung im Dienste „der guten Sache“, weil er gerne provoziert und die von jenen Hütern festgelegten Grenzen überschreitet. Wieso tut er das? Was veranlasst ihn zu den Äußerungen wie diese: "Sagen wir, wie es ist: Der Antifaschismus ist der Faschismus des 21. Jahrhunderts"? 

Von mir bekommt Ihr keine Antwort darauf, weil ich die Motive von Herrn Broder nicht kenne. Ich freue mich aber, dass es ihn gibt. Lieber jemand, der über die Stränge schlägt, als eine Armee von Konformisten. 

 Wir dürfen ihn nie aus den Augen verlieren. 
Egal in welcher Verkleidung er erscheint.

Ein Fass Salz

Zurück zum oben zitierten Satz über Faschismus und Antifaschismus. Müssen wir jene Begriffe neu und zeitgemäß definieren? Tun wir das aber nicht andauernd? Diesbezüglich beschäftigt mich stets die Diskrepanz zwischen mehr oder weniger lautstark geäußerten Gesinnung und oft verborgenen und widersprüchlichen Einstellungen. Denn auf die Lippenbekenntnisse bin ich stark allergisch, genauso wie Jan Kasprowicz (1860 - 1926), ein polnischer Poet, der sich über geheuchelten Patriotismus ärgerte:  


"Selten berührt meine Lippen - 

Was ich hier heute bekenne -

Der mit Blut getränkte und

Kostbarste Klang: Vaterland.


Ich sah Händler im Wettstreit,

Auf den Plätzen versammelt,

Wie sie sich gegenseitig überbieten,

Wer es lauter herausschreit.“

Und nochmals das Original:

„Rzadko na moich wargach 

Niech dziś to warga ma wyzna -

Jawi się krwią przepojony,

Najdroższy wyraz: Ojczyzna.

 

Widziałem, jak się na rynkach

Gromadzą kupczykowie,

Licytujący się wzajem,

Kto Ją najgłośniej wypowie.”


Knapp und platt könnte man sagen, dass das Gelaber kaum zählt, die Gefühle und das Herz umso mehr. Die springen jedoch nicht sofort ins Auge. Darin besteht also die größte Schwierigkeit, das wahre Gesicht der lieben Nächsten zu enthüllen. Um einen Menschen wirklich kennenzulernen, muss man mit ihm gemeinsam ein ganzes Fass Salz aufessen, sagen die Polen und meinen damit, die unendliche Zeit, die man dafür braucht. 

Meister der Täuschung

Und was ist mit dem Faschismus? Er ist ein Meister der Täuschung, schon immer gewesen. Somit muss ich Henryk Broder in diesem Punkt recht geben: der Faschismus zögert nicht, die Maske des Antifaschismus aufzusetzen, wenn es ihm nützt. 

Er ist ein lebensgefährlicher Gegner. Mit gutgemeinten Aufrufen und Ritualisierung des Denkens lässt er sich kaum bekämpfen. Unsere Bequemlichkeit im Denken und Handeln ist seine persönliche Freundin. 

Indessen dürfen wir ihn nie aus den Augen verlieren. Egal in welcher Verkleidung er erscheint. Mit der Stärkung der Demokratie und dem ununterbrochenen Einsatz für Menschenrechte und Freiheit können wir ihn in Schach halten. 



Mittwoch, 28. Juli 2021

Plakate im Wahlkampf

 Sie freuen sich auf uns, aber stehen nicht zur Wahl.




Die Vorderseite ...




... und das Gegenteil.




Eine kommentierte Ausgabe.




Abgerutscht?




Geister der Vergangenheit?




Gute Preise, gute Besserung.




Rot wie die Kunst.




... weil Ihr es seid.



Freitag, 23. Juli 2021

Die Anmaßung maßt sich viel zu viel an

Nichts gedeiht so prächtig wie die Anmaßung, was so viel bedeutet wie Überheblichkeit und Arroganz oder unberechtigte Inanspruchnahme. Diese nüchterne Auflistung von Duden schildert natürlich keine gesellschaftlichen Folgen, die dieses Phänomen verursacht. Dabei denke ich kaum an die strafrechtlich relevante Amtsanmaßung (§ 132 StGB: Wer unbefugt sich mit der Ausübung eines öffentlichen Amtes befasst oder eine Handlung vornimmt, welche nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.) 

Mir geht es um die nicht strafbare und um unsere alltägliche allgegenwärtige Überheblichkeit, die uns Steine in den Weg legt und an den Rand der Verzweiflung bringt, während sie uns auf Schritt und Tritt begleitet. 

                                                                  Es muss mitnichten die oberste Stelle sein.

In voller Hässlichkeit


Die Voraussetzungen sind überall wirklich günstig. Wenn eine Gesellschaft streng hierarchisch aufgebaut ist (zeigt mir aber bitte eine Gemeinschaft, die keine Hierarchie kennt), entsteht fruchtbarer Boden für Überheblichkeit und Arroganz. Von oben blickt man einfach leichter herab. Es muss mitnichten die oberste Stelle sein, um das Phänomen auszulösen. Eine kleine Erhöhung, eine winzige Stufe höher und schon zeigt sich die Arroganz in voller Hässlichkeit.  

Die Anmaßung will stets mehr und begnügt sich nicht mit dem Vorhandenen. Das ist in sich keine schlechte Eigenschaft. Die Überheblichkeit täuscht aber lediglich eine gesunde Ambition vor. Denn sie ist krank vor Missgunst und Eifersucht. Sie ist an einem fairen Match nicht interessiert. Nicht im Geringsten. Sie will herrschen, der Rest hat sich gefälligst unterzuordnen.

Chamäleons Mäntelchen


Kommt die Anmaßung an die Macht, sind die Konsequenzen gravierend, mitunter vernichtend. Denn sie will immer recht haben; koste es, was es wolle. Ihre Entscheidungen wirken dementsprechend oft sprunghaft und lassen sich selten nachvollziehen. Das angestrebte Ziel können die Beobachter nicht wirklich erkennen. Sie suchen doch nach logischen Voraussetzungen. In meisten Fällen vergeblich. Weil die Anmaßung nur ein Ziel hat – sich selbst.

Sie ist ein Chamäleon und verkleidet sich dauernd. Dabei hängt sie ihr Mäntelchen stets nach dem Wind.  Damit weicht sie jeder ernsthaften Debatte aus. Sie liebt stattdessen die Inszenierung – das A und O ihrer Geltungssucht.

Weg von Auto-


Die Anmaßung blendet und verblendet diejenigen, die sich nach Autoritäten sehnen und auf die Autokraten reinfallen. Beide Begriffe beginnen mit dem Präfix "Auto-", das die Aufmerksamkeit auf sich selbst lenkt. Darin verbirgt sich auch die Gefahr und die Verlockung, das Nachdenken den anderen zu überlassen.

Gibt es denn ein Gegengift? Das wichtigste wäre die Immunisierung gegen Hypokrisie und Heuchelei.

Bis es so weit ist, nicht aufhören zu fragen! Wer fragt, irrt nicht. Oder wenigstens seltener. Und wer hinterfragt, der ist besser gegen die Anmaßung gewappnet. Sie hält sich nämlich an keine Spielregeln.