Mittwoch, 31. August 2022

Das 9-Euro-Ticket kurz vorm Ende? Ein Blick zurück und in das Weltall. Teil 4B

 Die Vergangenheit holt uns an verschiedenen Orten ein. Diesmal ist das der kleine Bahnhof in Heringsdorf, der ihr eine Bühne bietet. Es wird erinnert an Friedrich Simon Archenhold, den Astronomen und Gründer der Treptow-Sternwarte, der in der Gegend – in Bansin – ein Sommerhaus hatte. 



"Friedrich Simon Archenhold erforschte Himmelskörper nicht nur für die Fachwelt, sondern verschrieb sich früh Bildungsangeboten für die breite Öffentlichkeit. Dazu lud er Forscher ein, ihre Erkenntnisse vorzutragen. Alber Einstein (1879-1955) stellte seine Relativitätstheorie am 2. Juni 1915 erstmals in der Treptow-Sternwarte dem breiteren Publikum vor. Einstein und Archenhold, beide wissensdurstig, technikbegeistert, aber als Zeitzeugen des Krieges (1914-1918) auch gegen Gewaltverherrlichung und für Verständigung der Völker und Fortschritt zum Nutzen aller, wurden enge Freunde. Einstein stand nicht nur fachlich mit Archenhold in Beziehung. Er verbrachte manche Stunde mit dem einen oder anderen Mitglied der Familie." (Infotafel)




"Das Betreten der Strände war Juden ab 1935 verboten. Eine kleine jüdische Pension in Ahlbeck bot Jüdinnen und Juden bis zum Betriebsverbot 1938 Bademöglichkeiten am Privatstrand." („Das Weltall in Bansin – Astronomie und Antisemitismus auf Usedom“)



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Dienstag, 30. August 2022

Das 9-Euro-Ticket kurz vorm Ende? An der Grenze. Teil 4A

 Die Unbekannte begrüßt mich fröhlich auf Polnisch, deswegen antworte ich auch so. Gleich jedoch merke ich, dass sie nur wenige Brocken beherrscht. Wir unterhalten uns weiter auf Deutsch, im fast leeren Zug, früh am Morgen.

Die Rollen im Gespräch scheinen von Anfang an unmissverständlich verteilt zu sein: ich bin die Zuhörerin, sie erzählt von der Gegenwart und Vergangenheit auf dem Weg nach Heringsdorf. Von dort stammt ihre Mutter.

„Wohnen Sie da?“ – eher vergewissere ich mich, als frage.
„Nein“ – sie schüttelt den Kopf. – „Ich lebe in Berlin.“

Genau wie ihre 98-jährige Mutter, die sie jeden zweiten Tag besucht und der es zuletzt nicht gut geht. Zu Hause wartet auf sie ihr Mann, krebs- und herzkrank.

 Es wurde ihr alles zu viel. Sie musste einen klaren Kopf kriegen, auf andere Gedanken kommen. Deswegen tat sie, was sie jedes Jahr getan hat, und fuhr nach Świnoujście, wo sie sich immer im gleichen Hotel erholt.

Mein Plan sah ganz anders aus: ich wollte bereits an der ersten Haltestelle aussteigen und die ehemalige Grenze aus der Nähe betrachten. 

Ich verwerfe den Plan bereitwillig und höre mir die Lebensgeschichte der Unbekannten.

Dank ihrem Vater hat sie den Beruf Elektrotechniker gelernt. Der Vater überzeugte sie mit dem Argument: „Du wirst immer Geld haben.“ Er unterstützte sie – beide arbeiteten im gleichen Betrieb – bei ihrem Fernstudium. Zu der Zeit hatte sie schon ihre Zwillinge. Später folgten noch einmal Zwillinge. Ihr Studium dauerte sieben Jahre.

„Nicht fünf?“ – hake ich nach.
„Das war ein Fernstudium, deswegen dauerte es sieben Jahre und jedes Wochenende musste ich zu Pflichtseminaren hinfahren.“
„Jedes Wochenende? Und unter der Woche haben Sie gearbeitet?“ 
„Ja. Ganze sieben Jahre. In der DDR haben alle Frauen gearbeitet, nicht wie im Westen, wo bis in die 70-ger Jahre der Ehemann oder Vater darüber entschieden hat, ob die Frau eine Beschäftigung aufnehmen durfte oder nicht.“

Danach arbeitete sie als Lehrerin. Schließlich landete sie in der Akademie der Wissenschaften, in der sie für die Organisation von Dienstreisen verantwortlich war. Die wurden gelegentlich zweckentfremdet und unter einem Vorwand für die touristischen Trips genutzt.

„Aber nicht in den Westen“ – murmele ich ungläubig.
„Doch“ – widerspricht sie und schildert, wie es funktionierte. Dafür wählt sie aber kein westliches Beispiel.

So verhalf sie ihrem Mann zur Erfüllung seines Traums. Er befolgte ihrem Rat, sammelte Fahrräder und transportierte sie als Spende nach Vietnam, das er besichtigen wollte.

Bevor sich unsere Wege in Heringsdorf trennen ...



... verrät sie mir, wie man solch ein hohes Alter (sie sei 80) erreicht:

„Dafür braucht man viel Humor. Deswegen fahre ich auch nach Świnoujście, wo die Menschen lachen, und nicht nach (hier fällt ein deutscher Name, den ich mit Absicht verschweige), wo man nur grimmig guckt.“

Vielleicht liegt es zum Teil daran, dass in Polen niemand (auch nicht die Deutschen, die dort verweilen) eine Maske trägt.

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Montag, 29. August 2022

Das 9-Euro-Ticket kurz vorm Ende? Der Rundblick. Teil 3B

 Auf dem Weg zum zweiten Leuchtturm passiert man in wenigen Minuten die Świna/Swine mit der Fähre, die für das Fußvolk (und Radfahrer) kostenlos ist. 

Vor der Stadtfähre erinnert ein Stein an die Streiks vom August 1980 - der Anfang vom Ende des Ostblocks: "Die Erinnerung ist unsere Kraft":



Es ist immer noch früh, daher setzen nicht viele auf die andere Seite von Świnoujście über.




Was im Vorbeilaufen ins Auge springt:



Gerhard hat hier sein Fort: 




Der Leuchtturm steht endlich vor mir. Zu seiner Zeit  (gebaut vom 1854 bis zum 1857) galt er als höchster der Welt (68 m) und hatte zuerst eine achteckige Form.



Seht Ihr das weiße Pünktchen am Ende des Wellenbrechers? Das ist die Stawa Młyny/Mühlenbake.


Weit- und Rundblick:






Auf dem Weg zum Ausgang ...


... verewige ich zufällig einen deutschen Touristen. Da er nicht protestiert, ist er jetzt hier zu sehen (wenn man genau hinschaut):


Am Abend zieht mich ans Meer:






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Sonntag, 28. August 2022

Das 9-Euro-Ticket kurz vorm Ende? Vom Leuchtturm zum Leuchtturm. Teil 3A

 Die Möwen lachen mich sehr früh aus dem Schlaf aus. Um dieser Zeit ist der Strand wenig besucht.



Ich laufe nach rechts zum Wahrzeichen von Świnoujście -  Stawa Młyny (Mühlenbake).

„Wonach suchen Sie, wenn ich fragen darf?“, erkundige ich mich bei einem Mann mit dem Metalldetektor in der Hand.
„Nach allem“, antwortet er nichtssagend. 



Die Möwen begleiten mich auf dem Weg. Hoppla, von woher bist du hierher geflogen?



Eine Ente kommt selten allein.



Auf einer engen Landzunge (Wellenbrecher) schreite ich zu einem einzigartigen Leuchtturm. 




Die 10 m hohe Stawa Młyny/Mühlenbake "wurde im Rahmen der Modernisierung des Navigationssystems und des Fahrwassers in den Jahren 1873-1874 gebaut. (...) Das Projekt wurde von einem Bauberater namens Severin implementiert." (Infotafel)





Auf diesem Fleck treffe ich auf eine Polin, die den Leuchtturm seit vielen Jahren im Urlaub besucht. Sie kommt um verschieden Tageszeiten, aber am liebsten ganz früh. Da ist sie meist allein hier. Ihr Mann schläft noch, während sie sich auf den Weg macht. Vor drei Jahren habe man den Leuchtturm neu gestrichen, erzählt sie, denn er war beschmiert mit unzähligen Unterschriften und Botschaften. Jetzt drohe dafür eine hohe Strafe.

„Das ist auch gut so“, denke ich und lasse meinen Blick über den weißen Anstrich gleiten. 
„Ein Leuchtturm ist ein Symbol …", beginnt die kleine Frau mit einem großen Herzen für Stawa Młyny.

Wofür? Ich warte auf die Auflösung, die aber nicht kommt. Es bleibt also dabei: „Ein Leuchtturm ist ein Symbol.“ Punkt.

                                                            Rechts steht meine Gesprächspartnerin.

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Teil 1
                       

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Samstag, 27. August 2022

Das 9-Euro-Ticket kurz vorm Ende? Świnoujście: wer ist wer? Teil 2

 Ich wollte eigentlich in der Jugendherberge in Heringsdorf übernachten und Tagesausflüge von dort aus machen. Es gebe keinen Platz mehr, informierte mich jedoch eine weibliche Stimme am Telefon. Daher suche ich eine Bleibe in Świnoujście.


Nein, nein, in Hilton gehe ich nicht hinein. Und auch nicht in die vielen Häuser und Pensionen, für die man wesentlich weniger berappen muss … 


… sondern vorbei an den Baumkletterern …



… und einem Stifte-Haus (falls jemand etwas zum Schreiben braucht) ….


... in ein eher unauffälliges und sympathisches Hostel, wo ich vor dem Tiefkühlfisch, den man ab und zu als ganz frisch anbietet, gewarnt werde. Ich mache mich hier frisch …



... und gehe zum lediglich ein paar Meter entfernten Strand an einem romantischen Paar vorbei (Der Mann lacht ansteckend laut. Das ist bestimmt ein gutes Zeichen).


Wir sind viele unterwegs und am Strand.




Das Deutsch und das Polnisch mischen sich auf den Schildern und auf den Straßen. Ich versuche zu erraten: Wer ist wer? Ich tippe auf eine polnische junge Familie: Mutter, Vater, ein Kind im Kinderwagen, ein kleiner Junger läuft daneben. Allesamt wirken etwas angespannt. Dann höre ich den Vater im perfekten Deutsch zum Sohn reden: „Wir haben 15 Euro mehr bezahlt.“ Er wiederholt nochmals, dem ausgegebenen Geld nachtrauend: „15 Euro!“ Wofür? Nicht so wichtig, aber ich lag falsch.

Ein zweiter Versuch: eine Frau sitzt am Eingang zum Strand, vor ihr steht der Partner. Diesmal, vermute ich, sind das die Deutschen. Und schon wieder falsch. Auf Polnisch sagt die Frau: „Geh bitte zur Seite, du verdeckst mir die Sonne.“

Ich höre mit dem Ratespiel auf. Hier sind alle gleich. Ich laufe einfach vor mich hin, barfuß natürlich. 

Die surft doch! 



Zum Schluss meines Spaziergangs wird ein spontanes Spektakel dargeboten:



Ob das Futter artgerecht ist, frage ich nicht. Ich habe keine Lust, eine Spaßverderberin zu sein.





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Freitag, 26. August 2022

Das 9-Euro-Ticket kurz vorm Ende? Na dann schnell auf die nächste Fernreise mit dem Nahverkehr! Teil 1

 Nachdem ich das 9-Euro-Ticket im Nahverkehr ausgiebig genutzt habe, starte ich kurz vor dem Ende „einer der besten Ideen“ (laut Olaf Scholz) nochmals eine Fernreise. Dafür bin ich bereit mitten in der Nacht aufzustehen.

                                                                 Seine Reisen waren wesentlich teurer. 


Pünktlich um 6:05 fahre ich vom Hauptbahnhof in Hannover los. Diesmal erwarten mich unzählige Umstiege. Das kann erfahrungsgemäß richtig schief gehen, ist aber kein Grund aufzugeben. 

Im Zug bleibt noch viel Platz:


Nach fast einer Stunde steige ich im Wolfsburg aus:


Die Strecke von Wolfsburg nach Stendal bestreite ich ebenso problemlos. Von dort soll ich mich nach Rathenow begeben.

„Ich wusste es!“, denke ich, als die Durchsage ertönt, dass heute ausnahmsweise nicht das Gleis 6, sondern das Gleis 1 für meinen Zug vorgesehen wird.
Es hört sich aber schlechter an, als es aussieht: denn das Gleis 1 befindet sich „direkt gegenüber“ vom 6.

Ich habe die Nummerierung-Strategie  der Bahnsteige noch nie verstanden.

Jetzt stockt es. Zuerst müssen wir – inzwischen sehr viele Passagiere – einen IC nach Berlin vorbei ziehen lassen. Still wohnen wir der An- und Abfahrt eines beinahe menschenleeren Zuges bei. Ein echter Geisterzug. Nach Berlin muss ich heute auch, aber nicht mit dem IC. 
Unser Zug verspätet sich aus diesem Grund und meine Umsteigezeit verkürzt sich.

In Rathenow angekommen drehe ich mich entsprechend gestresst am Bahnsteig um und frage einen dort wartenden Mann (der muss es doch wissen): „Was für ein Gleis ist das?“
„Das ist …, das ist  - beginnt er stotternd und schießt mit der Gegenfrage: „Wollen Sie nach Ludwigsfelde?“
Tatsächlich will ich in diese Richtung, aber nur bis Berlin. Und der Zug steht hier, „direkt gegenüber“. Was für ein Glück! 

In Berlin läuft alles nach Plan, ich setze meine Reise Richtung Stralsund fort: 


Meine Station heißt Züssow, jedoch noch nicht die Endstation.
Ich habe auch diesmal einen Sitzplatz ergattert. Viele stehen in den Gängen, oder sitzen auf den Treppen des Doppelstockwagens. 

Bevor wir losfahren, hat der Zugchef eine Bitte: „Der tätowierte Arm, bitte vom Türbereich zurücktreten“. Danach rollt der Zug endlich. 
Eine ältere Dame drängt sich durch, sie peilt dabei einen Milchbubi an.
„Ich will mich hinsetzen“, verkündet sie laut und deutlich.
„Ich sitze hier aber schon“, entgegnet der junge Mann unverfroren. 
„Sie haben aber zwei Plätze besetzt“, die Dame meint damit den heiligen Rucksack, der einen ganzen Platz annimmt und soeben widerwillig von jenem geräumt wird.
Ach, diese Jugend von heute! 

Von Züssow fahre ich zu meinem Ziel: Świnoujście. Ich überquere die deutsch-polnische Grenze, während ich mich nach einem Schaffner oder Schaffnerin umschaue, um für die polnische Strecke zu bezahlen, da kommen wir schon in Świnoujście an. Das 9-Euro-Ticket gilt bis hierher. Ha, ich habe es wieder gestreckt!

                                                                               Station Świnoujście

Apropos, ich bin begeistert, wie mutig die deutschen Bahnangestellten den Namen Świnoujście auszusprechen üben. 


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