Mittwoch, 17. Mai 2023

Die Schwerkraft von Jan Böhmermann

 Niemand kann mir vorwerfen, dass ich grundsätzlich Jan Böhmermann feindlich gegenüber stehe. Ich habe ihn sogar in meinem Blog verteidigt, als die ehemalige Kanzlerin seinem Erdogan-Song eine politische (!) Abfuhr erteilte. Den Song fand ich und finde immer noch unterirdisch. Es ging mir aber nicht um den Text, sondern ums Prinzip. Wie auch diesmal.  

Screenshot 


Die Sache mit der Wissenschaft


Im Gespräch mit Stern „Aber wirklich weinen? Nein!“ (Nr. 19, 04.05.23) behauptet Böhmermann allen Ernstes folgendes: 

„Wenn Dieter Nuhr sagt, der Wissenschaft blind zu folgen sei eine demokratiefeindliche Grundhaltung, weil ihm irgendetwas nicht in den Kram passt, dann können wir auch versuchen, über Schwerkraft abzustimmen: Wie finden Sie es, dass ein Amboss Ihnen, wenn Sie ihn fallen lassen, auf den Fuß knallt? 80 Prozent aller Deutschen sind dagegen! Steht aber nicht zu Debatte, tut mir leid.“

Doch, das tut es; es steht zur Debatte. Denn wir wissen nicht, welche Definition der Schwerkraft Böhmermann meint. Jene aus dem XVII Jahrhundert von Isaac Newton oder einer aus der Gegenwart? 

"Befürworter der „Modifizierten Newtonschen Dynamik“ führen an, dass die Newtonsche Gravitationstheorie von 1686 bereits drei Modifikationen erfahren hat. Bei sehr kleinen Abständen verwenden Physiker ausschließlich die Quantenmechanik, bei sehr großen Geschwindigkeiten Einsteins spezielle Relativitätstheorie und nahe sehr großer Massen seine allgemeine Relativitätstheorie." (Wikipedia)

Nein, ich bin keine Physikerin und ich werde hier nicht dozieren. Allerdings will ich betonen, dass ich mich offen für neue Fakten und Argumente zeige, weil ich weiß, dass Wissenschaft keine Diktatur ist, die das Denken zu kontrollieren oder zu verbieten versucht, sondern im Gegenteil zum Denken und zum Zweifeln auffordert. 

Außerdem weise ich auf den Umstand hin, dass es selten im Leben etwas alternativlos ist und schon gar nicht in der Wissenschaft. Sie ähnelt einem Fluss, ständig in Bewegung und im Entstehen.

Der böse Wolf namens Dieter


Wieso definiert sich Böhmermann als ein Gegenpart von Dieter Nuhr? Diese Frage hat eine zentrale Bedeutung für die Dechiffrierung seiner Überlieferung. Zum einen spielt ein gelungenes Feindbild eine große Rolle bei der Disziplinierung eigener Fangemeide. Zum anderen scheint Dieter Nuhr einen wunden Punkt bei Böhmermann getroffen zu haben. Und der wäre? Ich habe da eine Vermutung, die behalte ich aber für mich.

In Dieter Nuhr sehe ich keinen bösen Wolf, obwohl er mich oft mit seinen Ansichten erschreckt. Besonders störe ich mich an seinem absolut unzulässigen Urteilen nach dem Äußeren, wie er einmal zu Protokoll gab: 

„Ich glaube, dass eine gesunde Beamtenerziehung dazu führt, dass man sich eben nicht mit zwölf einen Delfin auf die Stirn tätowiert und mit 17 Molotowcocktails auf Polizisten wirft.“

Mein Gott, wie oberflächlich!  Apropos Gott: Im Stern-Interview erzählt Böhmermann:

„Ein guter Freund hat mir kürzlich nachts in Suff diesen schönen Satz per SMS geschickt: Am Ende bleiben nur Kunst und Liebe.“

Schön isses. Und christlich. Wäre das nicht ein guter Ausgangspunkt für ein Treffen der beiden auf der Bühne? Stellt ihr euch dieses Duell nur vor!

Donnerstag, 4. Mai 2023

Der Fuchs in Uniform

 Eigentlich ist das eine ergreifende und herzerwärmende Geschichte, dazu noch gut erzählt und gespielt.


Der kleine Franz Streitberger muss seine kinderreiche Familie mit nur 8 Jahren verlassen und auf dem Hof von Seiwaldbauer arbeiten. Dass seine Eltern aus Not handeln, was heißt: die bittere Armut zwingt sie zu diesem Schritt, versteht Franz nicht. 


Auch als Erwachsener findet er keine Rechtfertigung für die Tat der Eltern, daher kehrt er nicht nach Hause, sondern geht zum Bundesherr. 

Dabei war sein Schicksal kein Einzelfall:
„Wenn die Armut besonders hart zugeschlagen hat, musste das Kind schon in sehr jungen Jahren das Zuhause verlassen. Tausende solcher Fälle hat es in Österreich und Deutschland gegeben", erklärt der Salzburger Regisseur und Drehbuchautor Adrian Goiginger.

 

Nicht politisch?


Goiginger erzählt eine wahre Geschichte seines Urgroßvaters. Im Vorfeld recherchierte er jedoch gründlich, sprach mit den Zeitzeugen und las Tagebücher von Soldaten. Auf diesem Weg kommt er zum Fazit, dass sich jene Soldaten am wenigsten für die Politik interessierten. 

Anscheinend übernimmt Goiginger diese Einstellung. Auch seine Sichtweise deckt sich mit jener von den damaligen Wehrdienstleistenden. Es sind doch ganz gute und tapfere Kammeraden, sodass der Zuschauer oder die Zuschauerin fast glauben kann, sie kämpften für eine richtige Sache.

Auf der Seite der Täter


Richtige Sache?! Bei diesem Gedanken läuft mir der kalte Schauer über den Rücken. Wir reden doch über den Zweiten Weltkrieg und das österreichische Bundesherr, das bereits 1938 den Eid auf Hitler leistete und ein Teil der verbrecherischen Kriegsmaschinerie wurde.

Goiginger weiß natürlich das alles. Und stellt sich trotzdem auf die Seite der Täter. Ein harter Vorwurf? Gewiss, und doch gerecht, wie ich denke. Denn diese Art der Erinnerungen lässt keine Aufarbeitung der Vergangenheit zu. Die familiäre Geschichte wird aus dem historischen Kontext herausgerissen, als ob es die bloße Zugehörigkeit zur Familie  von Schuld befreite. 

Das ist ein Mafia-Prinzip. Nach diesem Prinzip hütet man die Familienerinnerungen aus den Nazizeiten auch in Deutschland. Dafür benutzt man sowohl die Relativierung des Verbrechens, als auch die Täter-Opfer-Umkehr. Auf der familiären Ebene sind viele, viel zu viele in der braunen Vergangenheit steckengeblieben. 

Und der Fuchs? Der kann natürlich nichts dafür. 


Alle Fotos sind  Screenshots.