Freitag, 8. Juli 2022

Ich habe das 9-Euro-Ticket gestreckt. Teil 6: Am Wochenende wird’s eng

 Am Samstag füllen sich Bahnhöfe und Züge, als ob sich das ganze Land in Bewegung gesetzt hätte. 


Ich ergattere zwar jedes Mal (ich steige dreimal um) einen Sitzplatz, viele bleiben jedoch in den Gängen stehen. Die Stimmung ist trotzdem gut. Es wird gefeiert: Junggesellinnen und Junggesellen trinken, lachen und singen laut und meist falsch, Fremde aus verschiedenen Bundesländern lernen sich kennen, der und die Eine oder Andere erzählt genau, wohin  er oder sie  unterwegs ist und dass nächste Woche wieder losgeht. 

„Das ist das Beste am 9-Euro-Ticket, dass es egal ist, ob man im richtigen Zug sitzt“, antwortet ein Mann im besten Alter seiner besorgten Frau und lacht laut.

In diese Leichtigkeit platzt hinein wie ein Stein die Forderung eines stämmigen Herrn (ich überlege flüchtig, wie alt er im Zweiten Weltkrieg gewesen wäre): „Setzen Sie Ihre Masken auf!“

Es geht nicht um mich (ich schwitze brav unter der vorschriftsmäßigen FFP2-Maske), daher bemühe ich mich ihn nicht anzuschauen (er sitzt mir gegenüber), auch nicht seine Frau im schwarzen Kleid (sie sitzt neben mir) und beobachte intensiv die liebliche Landschaft hinter dem Fenster.

Die angesprochenen zwei Damen auf der anderen Seite des Ganges versuchen zuerst ruhig zu erklären, wieso sie ihre Masken zum Kinn hinuntergeschoben haben – sie sind soeben eingestiegen, mussten von einem zum anderen Bahnsteig hetzen, wegen einer falschen Angabe an der Anzeigetafel, und ringen immer noch nach Luft.

Den Herrn interessiert das alles nicht: „Da müssen Sie den Zug verlassen.“

Wie denn?! Während der Fahrt?! 

„Misch dich da nicht ein“, ermahne ich mich selbst und sage gleichzeitig laut: „Lassen Sie die Frauen in Ruhe!“

Es entwickelte sich eine hitzige Diskussion zwischen mir und dem Stämmigen, in der unter anderem Luxemburg erwähnt – dort laufen Leute ohne Masken („Da gehen Sie doch nach Luxemburg“, ruft er, „Gerne, wenn man dort nur einen Platz für mich hätte“, antworte ich genervt) und sogar der zweite Weltkrieg von mir erinnert wird (Wohin das stramme Befolgen von Befehlen führt, hat man damals gesehen).    

Das war ein Schuss mit der Kanone auf den Spatzen, aber dadurch wurde die Diskussion  endgültig beendet. 

Nach einer langen Pause  seufzte die Frau, die neben mir saß, nachdenklich und leise: „Es gibt solche und solche“.

Wenig später steigt das Paar aus. Und das Thema ist für mich (wenigstens an diesem Tag) erledigt. 

Lieber stöbere ich in meiner Sammlung von Eindrücken. 

Aus Luxemburg:


Die Aussichtsplattform Pfaffenthal in Luxemburg:





Aus Trier: 
Porta Nigra - das Stadttor wurde um 170 nach Christus erbaut, dafür verbrauchte man ungefähr 7200 Steinquadern. Marcus Aurelius herrschte zu der Zeit über das Römische Reich (von 161 bis 180). Er setzte sich für die Benachteiligten ein, besonders Sklaven und Frauen.




Gleich nebenan wohnte Karl Marx in diesem Haus:


Ob er heute mit der Nachbarschaft zufrieden wäre? (Nichts für ungut, aber das ist doch ein Ramschladen.)



Besuchte der kleine Karl den Dom? Er wurde mit sechs Jahren evangelisch getauft. Vielleicht also doch nicht.

Der Trierer Dom ist die älteste Kirche Deutschlands, entstanden "auf den Resten eines großen römischen Wohnhauses".









Und außerdem vergesst bitte nicht:



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Teil 1 Trier
Teil 5 gemischte Wurzeln


Dienstag, 5. Juli 2022

Ich habe das 9-Euro-Ticket gestreckt. Teil 5: gemischte Wurzeln

 Von Luxemburg kehre ich über die unsichtbare Grenze zurück nach Trier und zu den Wurzeln. Zu unser aller Wurzeln. Und die sind bekanntlich christlich. Waren wir aber davor nicht alle ein bisschen Römer?

Die Kopie einer Grabinschrift für eine clarissima femina 
(Museum am Dom in Trier)
"Romula (?), Frau senatorischen Stands, liegt hier, eine Mutter, die es verdiente mit Gottes Erbarmen, das bittre Begräbnis ihres Kinds nicht zu sehen, das bald in Frieden gefolget. Trost ward ihr im Gedanken ans Weiterleben der Tochter, hoffend für sie auf ein Leben mit vielen glücklichen Jahren."

Das Grabgedicht von höchster literarischer Qualität ist Ausdruck des hohen Bildungsniveaus in den Familien des Adels, der Traditionell zur Mitgliedschaft im römischen Senat qualifiziert war. *)

In Trier kann man sich eine große an drei Orte verteilte Ausstellung ansehen, die die verschiedenen Facetten des Untergangs des Römischen Reiches zeigt (bis 22. November). Ich entscheide mich für das Museum am Dom mit der Präsentation: "Im Zeichen des Kreuzes - eine Welt ordnet sich neu".



„Weder Dekadenz noch Gegner wie die Hunnen (haben) das Römische Reich zu Fall gebracht. In Wahrheit zerstörte sich das Imperium durch innere Machtkämpfe selbst. (in: Rom gegen Rom, Frank Thadeusz, Der Spiegel, Nr. 26)

Flapsig gesagt: Den Rest hat dem Römischen Reich Konstantin der Große, einer der römischen Kaisers, gegeben. 


Woher kam sein Sinneswandel? Tja, er hatte eine Vision:

„Um die Stunde der Mittagszeit, ..., habe er, so sagte der Kaiser, mit eigenen Augen oben am Himmel über der Sonne das Siegeszeichen des Kreuzes, aus Licht gebildet und dabei die Worte gesehen: "Durch dieses siege!" (Eusebius von Caesarea, Vita Constantini) *)

Graffito mit Christogramm, Mitte 4. Jh.

„Von der abgelehnten und verfolgten Religion hat sich nach der Konstantinischen Wende von 312/313 das Christentum stufenweise zur geduldeten, geförderten, privilegierten und schließlich zur einzig akzeptierten Religion emanzipiert. Das Christogramm wird Bestandteil kaiserlicher Propaganda. Die Huldigung des Kreuzes und die Verehrung der Reliquien werden in öffentliche Bauprogramme aufgenommen. Nach dem Wegbrechen der römischen Staatsmacht im 5. Jahrhundert und der Auflösung der Verwaltungsstrukturen übernahmen Bischöfe politische Verantwortung als Amtsträger, Richter und Feldherren.

Die Taufe Chlodwigs um 500 n Chr. bietet den zweiten entscheidenden Wendepunkt. Im ehemals gallischen Raum können sich die Kirchlichen Würdenträger auf die Unterstützung jetzt christlicher germanischer Fürsten verlassen. Eine Kontinuität von der Antike zum frühen Mittelalter hat auf deutschem Boden allein die ehemals römische Metropole Trier aufzuweisen.“ *)

Was für ein Siegeszug! Bildlich führt uns diese rekonstruierte Statue den Umbruch vor Augen:

Zerschlagene Statue des Kriegsgottes Mars 
aus Kalkstein, 2. Hälfte 2. Jh

"Einige Denkmäler römischer Zeit, vor allem Götterbilder, weisen Spuren absichtlicher Zerstörung auf. Die Statue des römischen Kriegsgottes Mars ist aus zahlreichen Fragmenten wieder zusammengefügt worden. Ursprünglich hatte die Statue als Kultbild zu einem Heiligtum in dem großen Tempelbezirk im Altbachtal am Rand des römischen Trier gehört. Die sehr kleinen Bruchstücke sind wiederverbaut aus Mauern von zwei späteren Häusern geborgen worden. In zerstörerischer Absicht muss das Götterbild kleingeschlagen worden sein.“ *)

Woraus bestand die Anziehungskraft des neuen Glaubens?

"In den Krisen des 3. Jahrhunderts scheinen besonders Erlöserreligionen die Menschen angesprochen zu haben. Neu bei den Christen waren die Taufe als Initiationsritus, das unblutige Kultmahl, die Armenfürsorge, die Sorge für ein würdiges Begräbnis aller, die Jenseitserwartung sowie die Wertschätzung eines jeden Menschen unabhängig von Geschlecht oder sozialem Status. Zudem kannten die Christen, wie auch die Juden, nur einen Gott." *)

Huch, was für eine Idee! -  „die Wertschätzung eines jeden Menschen unabhängig von Geschlecht oder sozialem Status“. Klingt das nicht wirklich revolutionär?

Zum Schluss meines Ausstellungsbesuchs habe ich noch eine Anmerkung: die ersten Christen waren ausschließlich Juden, nicht wahr? 


*) Zitate stammen aus den Infotafeln der Ausstellung "Im Zeichen des Kreuzes - eine Welt ordnet sich neu", Museum am Dom.


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Teil 1 Trier

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Montag, 4. Juli 2022

Ich habe das 9-Euro-Ticket gestreckt. Teil 4: Lässt sich Politik aus den Reisen heraushalten?

 Auch wenn man sich Politikabstinenz vornimmt – keine Nachrichten, keine Kommentare, egal, ob dafür oder dagegen, keine Stellungnahmen, ganz gleich, wie dumm oder klug -, lässt sich die Konfrontation mit den aktuellen Themen nicht vermeiden. Besonders,  wenn  man das Politikum im Gesicht trägt oder auch nicht. Wie zum Beispiel In Luxemburg, was ich mit eigenen Augen wahrnahm.  

Haben die Luxemburger keine Angst vor Corona? Oder kommen sie womöglich von einem anderen Planeten? Dafür könnte man sogar einen Beweis liefern, wie diese furchtlosen Lebewesen auf die Erde kamen:

In einem Park in Luxemburg

Ich will meine Fabel nicht weiter spinnen, aus Angst, es fände sich doch noch jemand, der/die daran echt glauben könnte. Man weiß ja nie.

Meine Beobachtungen fasse ich folglich zusammen: die Luxemburger gehen damit sehr entspannt um, die Deutschen – sehr verkrampft.

Das überwältigende Gefühl der Freiheit, der aufrechte Gang des Menschen, der selbst entscheiden darf, scheinen hierzulande der Spielball von zum Teil absolut gewissenlosen politischen und journalistischen „Triebtätern“ geworden zu sein. Jene "Spieler" schüren gezielt und manchmal auch wirklich gekonnt Panik und täuschen Empathie vor, obwohl das einzige, was sie empfinden, die Sucht nach Geltung und Macht ist.

Sie berufen sich auf Wissenschaft, in Wirklichkeit jedoch verachten sie sie abgrundtief. Denn Wissenschaft verlangt niemals Anbetung auf den Knien. Im Gegenteil sie zwingt zum Zweifeln als Prinzip und fordert uns auf, das Organ zwischen den Ohren anzuschalten und das Denken nicht den anderen zu überlassen. 

Was sind das für Politiker, die die Regierung um diktatorische Instrumente anbetteln, damit sie seine Untertanen nach chinesischem Vorbild drangsalieren können?

Ihr Gejammer ist schlimmer, als das von den zwei kleinen Buben in der Jugendherberge, wo ich in Trier übernachtete (diese Reise war doch nicht an einem Tag zu schaffen). Deren überforderter junger Vater zischte, noch bevor überhaupt etwas passierte, in Richtung des kleineren Rabauken (3-4 Jahre alt): „Halts Maul!“. Das hat zwar die "Katastrophe" danach (mit Scherben auf dem Boden) nicht verhindert (vielleicht sie sogar ausgelöst?), für einen flüchtigen Moment dem gestressten Erwachsenen eine Genugtuung dennoch beschert. 

Ich versuche die ewigen Panikmacher zu verstehen, es gelingt mir trotz Anstrengung nicht (in den Vater wie auch in die genauso gestresste Mutter fühle ich mich dagegen sofort ein). Was mich bei den Politikern und Journalisten, die das tote Pferd verbissen weiter reiten, besonders stört, ist der diktatorische Ansatz.

In Luxemburg sah ich einige chinesische Banken …





… spürte aber keinen (totalitären) chinesischen Geist. In Deutschland schlägt er mir förmlich ins Gesicht.


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Teil 1 Trier

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Sonntag, 3. Juli 2022

Ich habe das 9-Euro-Ticket gestreckt. Teil 3: Niki lockt mich an

 Man kann es nicht übersehen: das schrillfarbige Werk von Niki de Saint Phalle, einer der Hannovers Lieblingsartistinnen. 



Diese Gestalt ähnelt mir, als ich mich über den 9-Euro-Ticket-Entscheid gefreut habe. 

Ich schaue mich drinnen in der Villa Vauban in Luxemburg um und wähle willkürlich einige Stücke. 

 David Teniers der Jüngere (1610 - 1690), 
Küchenstillleben mit einer Magd und einem alten Mann
Die lüsternen alten Knacker, die sich an junge Mädels ranmachen und sie ausnutzen, finde ich zum Kotzen – Kunst hin oder her.

Jan de Bray (1626 - 1697), 
Porträt Agatha van der Horn, 
Ehefrau von Cornelis Guldewagen
Die Dame sieht doch recht punkmäßig aus, oder?




Joris van der Haagen (1615 - 1669), Familienporträt
Auf dem Familienbild (oder Foto) sieht man selten gut aus.


Andreas Schelfhout (1787 - 1870),
Winterlandschaft mit Schlittschuhläufern


Oben:
Johann Andreas Herrlein (1723 - 1796), Die Anachoreten - Eremiten beim Gebet

Unten:
Johann Andreas Herrlein, Mönche beim Kochen:




Zwei Innenansichten, die sich zum Verwechseln ähneln:

Johann Andreas Herrlein (1723 - 1796), 
Innenansicht einer Synagoge

Johann Andreas Herrlein, 
Innenansicht des Domes zu Fulda


Ferdinand Heilbuth (1826 - 1889), 
Kirchgang auf dem Land
Es ging weniger um den lieben Gott, vielmehr um den mehr oder weniger fiesen Tratsch. Wie auch heute also.






Antoine Pesne (1683 - 1757), 
Gustav Adolf Graf von Gotter im Pilgerkostüm
Oben ohne, aber mit 'nem Hut. Die Dame ist eindeutig inkognito hier.


Jacob Eduard van Hemmskerck van Beest (1828 - 1894)
Rettung eines Schiffbrüchigen durch ein Segelboot, 
Sturm auf See
Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand.


Giovanni Antonio Canal dit Le Canaletto (1697 - 1768), 
Der Canal Grande vom Campo San Vio aus gesehen

Anonymes Bild einen anonymen Maler:

Bildnis einer jungen Römerin 
(19. Jahrhundert)

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Teil 1 Trier

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Ich habe das 9-Euro-Ticket gestreckt. Teil 2B: Europa und verbotene Fotos in Luxemburg

 Die Europäische Union ist in Luxemburg stark durch zahlreiche Institutionen vertreten. Die meisten findet man im Centre Européen. Dorthin führt die Avenue John F. Kennedy:




In der Glaswand des Rats der EU spiegelt sich die Philharmonie:



Und das ist die Nachbarin, die Philharmonie:




Auf der anderen Seite der Straße muss der Gerichtshof seinen Platz haben. Da ich aber kein Schild erblicke ….



frage ich hier nach …:


… und bekomme eine klare Antwort: „This is The Court of Justice of the EU.”

Mein fröhliches Knipsen unterbricht ein Geschrei: jemand ruft hinter mir her. Ich drehe mich um und warte auf den rundlichen Herrn im roten T-Shirt. Er meint bestimmt mich, sonst gibt es hier niemanden. 

Und tatsächlich: Er erklärt mir in seiner Sprache, dass es hier verboten sei, die Fotos zu machen. Auf meine Nachfrage behauptet er, ich befände mich auf einem privaten Gelände. 

Privat?! Und wer ist der Besitzer oder die Besitzerin? Nein, diese Frage stelle ich nicht. Denn in meinem Kopf spielt sich bereits ein Szenario ab: Ich werde gleich verhaftet und meine treue Kamera beschlagnahmt. 

Es passiert aber nichts desgleichen. Wir sind schließlich nicht in Russland. Das ändert dennoch nichts daran, dass ich trotzdem gehen muss. 

Jetzt umkreise ich den riesigen Komplex, darauf erpicht irgendeine Infotafel zu finden:








Da ist es endlich - "COUR DE JUSTICE DE L'UNION EUROPÉENNE":


Und das sind nochmals die verbotenen (ähm?) Fotos:






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Teil 1: Trier

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