Sonntag, 18. September 2016

Kraftprobe zwischen einer Umfrage und Bautzen

In einer Umfrage sprechen sich über zwei Drittel der Deutschen dafür aus, dass Flüchtlingskinder gleiche Rechte wie die hiesigen bekommen. Während sich Medien und das Publikum darüber entzückt zeigen, sehe ich keinen Grund zur Freude.

                                                               So weit darf es nicht kommen. Screenshot

Das steht nicht zur Debatte!


Wieso habe ich mit diesem durchaus positiven Ergebnis Probleme? Was stört mich daran, dass sich eine Mehrheit für das Selbstverständliche ausspricht? Eben dieser Umstand, dass es sich um ein elementares und selbstverständliches Recht handelt. Müssen wir wirklich erst ermitteln, was jedem Menschen von Beginn an gebührt? 

Was wäre, wenn wir auf einmal darangingen zu fragen, ob wir Unbequeme, Andersdenkende, Schwache und Kranke töten dürfen? Klingt das entsetzlich und bescheuert? Ist es auch. Diese Frage stellt sich für redliche, fühlende und denkende Menschen überhaupt nicht! Weil wir uns längst darauf geeinigt haben, dass wir menschlich bleiben wollen und dass alle Menschen frei und gleich an Würde und Rechten geboren sind. Es steht also nicht zur Debatte, ob es einigen von uns auch gleiche Rechte zustehen oder nicht!

Raus aus dem Rahmen


Für ein Land wie Deutschland – zivilisiert und hochentwickelt – lege ich die Messlatte wesentlich höher als für sonstige mit Demokratie nicht vertraute Staaten. Umso größer ist meine Frust. Stets aufs Neue schlagen mir aus den unerwarteten Seiten dreiste Versuche entgegen, Menschenrechte auszuhöhlen. 

Einerseits helfen aufopferungsvoll und selbstlos unzählige Ehrenamtliche die sogenannte Flüchtlingskrise zu meistern. Ohne diese wunderbaren Menschen wäre der deutsche Staat zusammengebrochen. Anderseits machen andere –nicht nur die Rechten, sondern auch nicht wenige Politiker und die eigentlich zuständigen Behörden – diese Bemühungen zunichte. Es fehlen Konzepte, es fehlen schnelle Entscheidungen, es fehlt oft der gute Wille, die Verantwortung für diejenigen zu übernehmen, die man ins Land hereingelassen hat.

Und dann gibt es noch Bautzen. Bautzen ist – Gott sei Dank – nicht überall, aber Bautzen ist nicht ein einziger Ort, wo sich Nazis und Rassisten stark fühlen und die Polizei überfordert ist. Oder sogar gibt sie sich geschlagen, wie Maik Baumgärtner in seinem Kommentar zu den Konsequenzen der gewalttätigen Auseinandersetzungen am Mittwoch, 14.09.16, meint:

„Tatsächlich hat sie (die Polizei, Anm. GG) den Rechtsextremen das Feld überlassen, indem sie die Flüchtlinge in ihre Unterkünfte sperrt.“

Gleiche Rechte? Vergiss es!

Dass es sich um eine durchaus schwierige Situation handelt, muss man nicht sonderlich erklären. Nicht mal der wahre Verlauf der Ereignisse lässt sich rekonstruieren. Flüchtlinge gegen Deutsche oder Deutsche gegen Flüchtlinge – je nachdem, wer darüber berichtet, ändert sich der Blickwinkel. Die Polizei verlautet, dass Gewalt von Asylsuchenden ausging. Einige Zeugen sahen das Gegenteil vor Augen.

Unterdessen sind neue Demonstrationen von den Rechtsextremisten angekündigt. Es sieht nach einer Kraftprobe aus. Schon am besagten Mittwoch haben die Nazis gebrüllt: „Das ist unser Nazikiez.“

Jetzt kommt es darauf an, wie sich die Polizei präsentiert und agiert. Denn eine Polizei, die sich unter Rechtsextremen nicht nur wohlfühlt, sondern auch mit ihnen identifiziert, passt nicht in den Rahmen eines demokratischen Staates. 

Freitag, 9. September 2016

Angeblich geht es uns gut. Wirklich?

Nein, früher war nicht alles besser. Und heute ist nicht alles schlecht. Angeblich geht es uns außerdem gut. Besonders denjenigen, die die ordentlichen Scheuklappen tragen und nur das sehen, was sie sehen wollen. Einige Politiker gehören natürlich auch zu dieser Klasse: Sie blenden Probleme aus und sprechen stattdessen über ihre Erfolge. Das ist schlecht für die Probleme: sie werden nicht gelöst, sondern verschleppt, also im Endeffekt verschlimmert. Was uns allen schadet.


                                                                                             Geht es uns gut? Screenshot

Oh, wie ist das schön über 200 Burkas zu diskutieren


Was sollen wir als Gesellschaft tun? Wir können gebetsmühlenartig so lange „Oh, wie ist das schön“ wiederholen, bis alle daran glauben. Auch die Obdachlosen, auch die verarmten Alleinerziehenden, auch die Rentner, die sich von der Tafel die Essensreste abholen müssen. Ein unrealistisches Szenario? Es nennt man Propaganda. Sie funktioniert doch nach wie vor erstaunlich zuverlässig. Wir lassen uns viel einreden und uns einlullen. 

Wir können aber auch über sage und schreibe 200 bis 400 Burkas in Deutschland in allen Gremien und auf allen politischen Ebenen diskutieren und Dampf ablassen. Gibt es noch jemanden, der sich nicht darüber geäußert hat (mich selbst eingeschlossen)? Sollte einer in der Zukunft über diese Tage in Archiven forschen, muss er der Intensität der Auseinandersetzung entnehmen, dass es sich um eine echte Invasion von Burkas gehandelt hat. 

Sind das Peanuts? 


Schauen wir lieber mutig der Wahrheit in die Augen. Den Mut braucht man dazu unbedingt. Weil die Wahrheit – oh! – nicht schön ist. Zu ihr gehören nicht nur die Schokoladenseiten der Gesellschaft. Die nicht geliebten Mitglieder unserer menschlichen Familie zählen auch dazu. Die versteckt man gerne und schweigt sich über sie aus. In diesem Fall handelt sich nicht wie bei Burkas um läppische zweihundert oder vierhundert. Wir reden hier über viele Millionen von abgehängten Menschen.  Wie zum Beispiel Hartz-IV-Empfänger, deren Zahl sich seit Jahren nur geringfügig verändert. Im April dieses Jahres bezogen 4,4 Millionen Deutsche und 1,5 Millionen Ausländer – zusammen 5,9 Millionen - Hartz-IV-Leistungen. Darunter sind 2,6 Millionen Menschen, die seit mindestens vier Jahren (!)auf Hartz-IV angewiesen sind. 

Und die ganze Nation schreit nicht auf und diskutiert nicht darüber, wie es überhaupt dazu kam und wieso wir uns damit abfinden? Sind das vielleicht nur Peanuts? 

Vermögensverteilung und Gewissen


In der mit großer Aufmerksamkeit von Medien aufgenommen Studie „Generation Mitte 2016“ halten 64% der Befragten im Alter von 30 bis 59 Jahren die Einkommens- und Vermögensverteilung in Deutschland für ungerecht und 66% finden den gesellschaftlichen Zusammenhalt schwach oder sehr schwach. Die Solidarität ist also ein politisches Mythos, die Wirklichkeit spiegelt ein dschungelähnliches Bild wider. 

Dieser traurige Befund stellt gleichzeitig eine Quelle der Hoffnung dar. Das Gewissen der Gesellschaft scheint gesund zu sein und erkennt die Ungerechtigkeit.

Jetzt müssen endlich Taten folgen! Wenn Deutschland, das reichste Land in Europa, das nicht schafft, wer denn sonst?

Donnerstag, 1. September 2016

Wir schaffen das. Oder doch nicht?

Das war ein Satz, der unter die Haut ging. „Wir schaffen das“, sagte die Bundeskanzlerin Merkel vor einem Jahr und eroberte damit unsere Herzen.

„Noch im Juli hatte Merkel dem palästinensischen Flüchtlingsmädchen Reem gesagt: "Wir können nicht alle aufnehmen." Was ist seitdem in Merkel gefahren? – wunderte sich damals zeit.de - Die Antwort lautet: die Realität. Plus ein großer Schuss Weltgeschichte – die Krisen im Nahen und Mittleren Osten sind auch Folgen der europäischen Kolonialpolitik, die Umbrüche auch ein Echo auf den 11. September. Plus vielleicht ein Schuss Gefühle. Beinah stündlich kommen in der Woche danach Flüchtlinge in München an.“


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Was bedeutet „das“?


Nach einem Jahr ist die Frage berechtigt, was wir eigentlich schaffen sollen und wollen. Das ist eben der Knackpunkt in dem schönen Satz von Merkel. Wenn wir nicht konkretisieren, worum uns geht, bleibt nur eine zynische Wischiwaschi-Aussage übrig: irgendwas schaffen wir doch immer.

Das reicht mir nicht. Denn ich will genau wissen, was mit den Menschen, die hierher kommen, passieren wird. Wie soll sich ihr Leben in Deutschland gestalten? Welche Chancen bekommen sie und welche werden ihnen verwehrt? Ob sie mit der traditionellen Ablehnung der sogenannten Aufnahmegesellschaft stets kämpfen müssen? Ob sie ausgeschlossen und diskriminiert werden?

Was für ein Ziel verfolgt also die Politik den Flüchtlingen gegenüber? Sollen sie wie gleichwertige Bürger behandelt oder als Freiwild – billige und willige Arbeitskräfte - rausgequetscht und ausgebeutet werden? Das passiert eben zurzeit: Viele Flüchtlinge arbeiten unter schlechten Bedingungen schwarz.

Warten auf Godot?


Die, die hierher kommen, hoffen auf ein besseres Leben und wollen sich dafür auch anstrengen. Es passiert aber vorerst nichts. Sie müssen warten. Auf diese Weise vergeudet man kostbare Zeit, zerstört leichtsinnig die Träume und stellt die Neuankömmlinge auf eine unnötige und harte Probe. Sie verstehen nicht, worauf sie warten sollen. Auf Godot? Bekannterweise war das Warten im Stück von Samuel Beckett vergeblich.

Die, die hierher kommen, wissen nicht, dass Deutschland strukturelle Probleme hat und dass die hiesige Politik nicht imstande ist, sie zu lösen. Sie kennen ein schlimmeres Gesicht der Armut als die Menschen von hier und ahnen nicht, dass sie größtenteils zu den Verlierern gehören werden, was ein genauso schweres Schicksal bedeutet, wie das in ihrer Heimat.

Man lässt sich hier eben Zeit, als ob wir in der alten Epoche lebten, in der man sich nur zu Fuß und mit Kutschen fortbewegte, und nicht in der sich rasant entwickelten digitalen Welt. Man bemüht sich hierzulande die Dinge per Hand zu steuern. Man zementiert die feudalen Verhältnisse, achtet penibel, dass sich die Schichten nicht vermischen, und regiert nach Gutsherrenart.

Werden wir endlich solidarisch?


Auf welchem Weg werden wir in die Zukunft schreiten? „Weiter so“ bedeutet einen Stillstand und bringt uns nicht voran, genauso wenig wie kosmetische Veränderungen, die an existierenden Zuständen nicht wirklich rütteln.  Die Gesellschaft driftet inzwischen immer mehr auseinander. 

Wir hätten aber endlich den Kurs wechseln und die sogenannte Flüchtlingskrise zum radikalen Umbau des Staates nutzen können. 

Als Erstes lösen wir die deutschen Guantanamo-Einrichtungen – die Jobcenter – auf: Wer sie geschaffen hat, kann sie auch abschaffen.  Sie werden nicht mehr gebraucht. Jede/jeder Arbeitslose, der arbeiten will, bekommt innerhalb eines Monats ein zumutbares Angebot, sonst muss die Arbeitsagentur bezahlen: Das Arbeitslosengeld steigt monatlich um 100 Euro. Wetten, dass wir dann keine Arbeitslosigkeit haben?

Im gleichen Schritt verbieten wir sowohl ausgiebige Bewerbungsunterlagen als auch die unsinnigen entsprechenden Kurse. Ein Lebenslauf muss reichen. 

Wir erheben zum Prinzip „learning by doing“ – Lernen durch Handeln – und lassen an den Schnittstellen zu Wirtschaft, Dienstleistungen und Unis verschiedene Möglichkeiten der Weiterbildung neben dem Job und ohne Diskriminierung entstehen.

Wir führen eine Obergrenze für Managergehälter ein: 10 mal so viel wie der niedrigste Lohn dürfen sie verdienen, nicht mehr. Wetten, dass wir keine Probleme mehr mit Niedriglöhnen haben?

Wir werden endlich solidarisch, lassen alle in die Bürgerversicherung einzahlen und finanzieren menschenwürdige Renten aus den Steuern. Wir lassen niemanden hängen. 

Oder wir gehen gleich zum Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) über. Deutschland ist ein reiches Land, das diese Herausforderung schaffen kann. Ja, das können wir wirklich schaffen, statt die Neuankömmlinge gegen die „altansässigen“ Massen von Armen auszuspielen.