Freitag, 15. Januar 2021

Die Wiederentdeckung der Psyche

Etwas so winzig wie das Coronavirus verändert die ganze Welt. In diesem Drama sind wir sowohl Akteure als auch Zuschauer.  Wir versuchen es zu begreifen und stoßen dabei an unsere Grenzen. 


Geist findet sich nicht im Code


Devora Kestel, die WHO-Direktorin für psychische Gesundheit, erinnerte letztes Jahr, an den wichtigen „Aspekt von COVID-19“ - die Psyche. 

In der Tat wirkt sich das Virus auch auf unseren Geist aus und beweist spektakulär, dass uns die Geschehnisse und Umstände formen und verformen. Unsere Psyche lässt sich nicht mit dem DNA-Code definieren. Sie entsteht im Interagieren mit der Welt. 

Damit bekräftige ich einmal mehr meine Abneigung gegen starre biologische Betrachtungen der Psyche. 

Jagen und mit Vorwürfen überziehen


Jede und jeder kann psychisch zusammenbrechen, wenn es auf sie oder ihn genug Druck ausgeübt wird. Eine persönliche Belastungsgrenze hängt von vielen Faktoren ab.

Vor unseren Augen spielt sich soeben ein unwürdiges Spektakel ab, das wie ein Belastbarkeitsexperiment aussieht: Wie lange wird er noch aushalten? Er, der Journalist Julian Assange.

Sein „Verbrechen“ sieht zusammengefasst folglich aus:

"Assange enthüllte Kriegsverbrechen der USA im Irak („Collateral Murder“), Kriegstagebücher aus Afghanistan, Berichte über Foltermethoden in Guantánamo, schließlich noch diplomatische Depeschen und Informationen über geheimdienstliche Überwachungsprogramme.“1)

Die Naiven unter uns glauben, dass alles das zu den Aufgaben des wahren Journalismus gehört. 

Es gibt aber auch eine andere Sichtweise, die in Assange eine öffentliche Bedrohung erkennt und eine entsprechende Vorgehensweise  empfiehlt:

„Genug also um ihn (Assange), wie es Mitarbeiter der Schatten-CIA „Stratfor“ in einem Mailwechsel mal vorschlugen, „von Land zu Land zu jagen und mit Vorwürfen und Klagen zu überziehen“.2)

Es ist so viel versäumt worden


Wie umgehen mit den schweren und zu schweren Erfahrungen, die unsere Psyche beanspruchen?

Nach dem Krieg wollte sich Mietek Pemper, der Helfer von Oskar Schindler, selbst in die Psychiatrie einweisen. Als persönlicher Schreiber von Amon Göth im KZ Płaszów musste er jahrelang ums Leben fürchten. Sein Freund, ein Psychiater, riet ihm von der Hospitalisierung ab; Wenn du das tust, wirst du ständig dorthin wiederkehren. Mietek Pemper folgte diesem Rat und kam in der Freiheit doch zurecht. In seinem Buch „Der rettende Weg. Schindlers Liste – die wahre Geschichte“ appellierte er an die zukünftigen Generationen:

„Es ist so viel versäumt worden bei der Erziehung des Menschen zum Menschen! Wir müssen diese Versäumnisse aufarbeiten und mit gutem Beispiel vorangehen. Wir müssen uns vor allem der Verlockung widersetzen, Gewalt und Rücksichtslosigkeit mit ‚gesundem‘ Durchsetzungsvermögen und Gefühlskälte mit Vernunft zu verwechseln.“

Wir haben nicht mal richtig damit begonnen.


1) https://miloszmatuschek.substack.com/p/assangeprozess
2) ebenda 

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