Am Fall Esken zeigt sich wie in einem Brennglas die deutsche Eigenart im Verständnis und in der Behandlung von Frauen.
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Deutsches Privileg
Vor allem sei die Frau schutzbedürftig. Diese Behauptung lese ich heraus aus den vielen Aufrufen von Männern, die unbedingt "unsere Mütter, Töchter und Schwestern" vor den Angreifern verteidigen wollen. Unter einer Bedingung: die Gefährder und Gewalttäter kommen von außerhalb - Migranten, Flüchtlinge oder Illegale. "Finger weg von unseren Frauen!" – lautet der Schlachtruf. „Frauen zu schlagen und zu drangsalieren ist unser deutsches Privileg“, möchte man wahrheitsgemäß gleich ergänzen.
Diese besitzergreifende Einstellung bezeugt ein sachliches Verhältnis zum sogenannten schwachen Geschlecht. Sachliches, weil man die Frau als Objekt betrachtet; ein Objekt, das man vorm Diebstahl bewahrt, und nicht ein Subjekt, das über sich selbst entscheidet,
Es reicht ein Blick auf den Lebenslauf von Saskia Esken, um zu begreifen, dass sie sich nicht im oben erwähnten Sinne objektivieren lässt. Sie zeigt Charakter. In Deutschland gehört sich das für eine Frau nicht. Sie sei theoretisch gleichberechtigt, praktisch solle sie sich aber ein bisschen ducken und nicht zu sehr auffallen. Um jegliche Missverständnisse in diesem Punkt zu vermeiden, eile ich gleich zu erklären, dass Angela Merkel keineswegs zu gleicher Kategorie wie Esken gehört. Sie witterte stets, aus welcher Seite der Mainstream-Wind kommt, und richtete sich danach.
Chancen außerhalb des Männer-Spiels
Eine Frau wie Esken, mit Ecken und Kanten, ist eine Zumutung für die Herren, die zwar oft über die Gleichberechtigung schwafeln, aber nur im begrenzten Rahmen, den sie von Fall zu Fall definieren. In der SPD, die sich zwar Chancengerechtigkeit als Ziel auf die Fahne schreibt, sieht die Situation auch nicht viel besser aus, als in dem Rest des nicht nur politischen Landes. Ich hätte sogar gesagt, dass es dort eine versteckte, aber verbreitete, männliche verachtende Grundhaltung Frauen gegenüber herrscht. Olaf Scholz war eine leuchtende Ausnahme in dieser Hinsicht. Und unbedingt muss ich noch hinzufügen, dass in dieser Auseinandersetzung auch einige Frauen Hand in Hand mit Männern ihre nicht angepassten Kolleginnen bekämpfen.
Denjenigen, die jetzt protestieren wollen, dass ich Scholz in diesem Zusammenhang nenne, weil er Esken doch einfach stehen ließ, als sie mit ihm reden wollte und alle haben es gesehen und boshaft kommentiert, möchte ich sagen, dass ich Scholz glaube. Danach gefragt, antwortete er, dass er sie nicht wahrgenommen habe und den Vorfall sehr bedauere.
Im Fall Esken geht es mir weniger um Inhalte, die sie formuliert und durchzusetzen versucht. Ich gestehe sogar, dass sie mir nicht selten mächtig auf den Keks geht und oft bin ich nicht mit ihren Meinungen einverstanden. Über Themen, die sie vorbringt, kann man und soll man streiten. Ich erkenne aber dahinter einen Menschen, eine Frau, die sich traut, als solche ihre Stimme zu erheben und nicht lediglich das Männer-Spiel mitzutragen, und wirkt dabei authentisch. Wir - Frauen und Männer - sind unterschiedlich und hoffentlich auch bleiben. Wir verdienen jedoch die gleichen Chancen, die das Männer-Spiel nicht zulässt. Das Spiel mieft schon sehr, ist uralt und größtenteils frauenverachtend. Weder Männer noch Frauen kommen daraus als Gewinner. Es schadet beiden Geschlechtern. Vor allem schadet es auf dem Weg zu einer echten demokratischen Gesellschaft.
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