Donnerstag, 12. September 2024

Donald Tusk und der Bär

 Die Funkstille in deutschen Medien über Polen ist relativ laut. Auch wenn man zuletzt doch erfahren durfte, dass der polnische Premier unzufrieden mit deutschen Grenz-Plänen sei. Darüber, dass im Nachbarland seit Monaten, genaugenommen seit dem Machtwechsel am 15.10.23, der Bär steppt, und zwar ein tollkühner, berichten die deutschen Medien herzlich wenig. Als ob hiesige Journalisten fürchteten, etwas Kritisches über die neuen Machthaber sagen zu müssen. 

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Kriterien im Dilemma

Am Dienstag, dem 10.09., fand im polnischen Senat eine Konferenz statt über Wege aus der Verfassungskrise ("Drogi wyjścia z kryzysu konstytucyjnego"). Was Donald Tusk dort zum Besten gab, lässt nicht nur mich erschaudern:

"Wir müssen als kämpferische Demokratie (demokracja walcząca) handeln, d. h. wir werden bestimmt Fehler machen und uns dem Vorwurf aussetzen müssen,  gegen das Gesetz  zu verstoßen, oder nicht ganz gesetzeskonform agieren. Wir müssen dies trotzdem tun. Meine Entscheidungen lassen sich leicht juristisch kritisieren oder anfechten. Dennoch glaube ich nicht, dass der Ausweg aus dieser Situation in den juristischen und gesetzgeberischen Vorschlägen liegt (…) Da uns rechtliche Mittel fehlen,  müssen wir die Kraft und die Entschlossenheit in uns finden, um Risiken einzugehen, wohl wissend, dass sie nicht immer Kriterien der Rechtsstaatlichkeit erfüllen. (…) Ich möchte mich rechtskonform verhalten, aber ich stehe oft vor einem Dilemma: Was soll ich tun, wenn kein rechtliches Werkzeug vorhanden ist?" 

 Tomasz Sakiewicz, Chefredakteur von "Gazeta Polska" erinnerte auf TV Republika an die frühere "sozialistische Demokratie" ("demokracja socjalistyczna").

"Was ist der Unterschied? Die "sozialistische Demokratie" bedeutet die Negation einer echten Demokratie. Über den gleichen Unterschied reden wir im Fall der sog. "kämpferischen Demokratie“ (demokracja walcząca). Sie ist auch keine Demokratie."

Auf den Knien um Gnade bitten

Vielleicht erinnert sich der eine oder die andere an den EU-Aufschrei über die angeblich oder wirklich bedrohte Rechtsstaatlichkeit in Polen in den Zeiten der PiS-Regierung. Donald Tusk, damals erst der Präsident des Europäischen Rates und später Vorsitzender der Europäischen Volkspartei, nutzte gekonnt seine Position und Kontakte in der EU und heizte eine hysterische Anti-PiS-Kampagne an.  In dieser Atmosphäre war eine sachliche Diskussion unmöglich. 

Jetzt haben wir den Salat und verschiedene Sorten von Richtern: die einen heißen Neo-Richter (ernannt nach 2018), die anderen - Alt-Richter. Die Tusk-Regierung beabsichtigt die Neo-Richter so schnell wie möglich aus der Justiz entfernen, danach wird sie neue benennen, die dann aber nicht Neo-Richter heißen, sondern gleich Alt-Richter werden. 

Es klingt idiotisch? Wartet nur, es wird noch krasser.  Denn Adam Bodnar, Justizminister und Generalstaatsanwalt, unterbreitet den Neo-Richtern am vergangenen Donnerstag einen Vorschlag: Wenn sie sich öffentlich als Sünder bekennen (samokrytyka) und zugeben, dass sie einen Lebensfehler („błąd życiowy“) begangen haben, und ihn auch aktiv bereuen ("czynny żal"), dann dürfen sie auf die Absolution hoffen. 

Fliegende Unterschriften 

Damit das Chaos perfekt wird, hat Tusk zuletzt ein Dokument gegengezeichnet, um kurz darauf seine Unterschrift zurückzuziehen. Es geht dabei um die Ernennung, von Präsidenten Andrzej Duda vorgenommen, des Richters Wesołowski für den Vorsitzenden  der Zivilkammer-Versammlung vom Obersten Gericht. Verfassungsgemäß soll der Premier die Gegenzeichnung leisten, was er zuerst auch tat und anschließend annullierte. Weil er auf einmal begriff, dass es sich hier um einen sog. Neo-Richter handelt.

Darf er überhaupt zuerst unterschreiben und dann erklären, ich habe das nicht so gemeint? 

Nein, behaupten viele Juristen. So betont Prof. Marek Chmaj, Experte im Verfassungsrecht, dass die Gegenzeichnung durch die Verfassung geschützt sei und nicht zurückgezogen werden könne. Aleksander Stępkowski, Sprecher des Obersten Gerichtshofs, vertritt dieselbe Meinung: eine Gegenzeichnung darf nicht zurückgezogen werden.

Doch, sagen andere, wie zum Beispiel Professor Ewa Łętowska, ehemalige Richterin des Verfassungsgerichts und frühere Beauftragte für Bürgerrechte. Für die tvp.info (polnischer ÖRR) sagte sie: 

 „Tusk hat zuerst unterschrieben, jetzt zieht er seine Gegenzeichnung zurück. In solch einem Fall kann der Premier seine Unterschrift nicht einfach zurückziehen und sagen: Ich habe mich anders entschieden, oder: Ich wurde in die Irre geführt. Wenn aber seine Gegenzeichnung vor dem Verwaltungsgericht angefochten wird (zwei Richter haben tatsächlich eine Klage eingereicht), darf er dies tun.“

Habt Ihr verstanden?  

Donnerstag, 5. September 2024

Wer oder was wurde eigentlich ausgetauscht?

 Die polnische Zeitung„Rzeczpospolita“, im Westen am liebsten zitiert, informiert heute über neue beunruhigende Erkenntnisse in einem nicht ganz neuen Fall.

Abhorchapparat aus dem I. Weltkrieg, Deutsches Spionagemusem, Berlin

Waschechter Skandal


Vor einem Monat lief über die Bühne der bis dato größte nach dem Ende des Kalten Krieges Gefangenenaustausch. Polen nahm auch daran teil, jedoch evident einseitig: es ließ auf Wunsch der Amerikaner den russischen Agenten Pawel Rubzow frei, bekam aber nichts dafür. Die Opposition erhob gleich schwere Vorwürfe: man hätte unbedingt die Freilassung von Andrzej Poczobut, einem Polen im belarussischen Gefängnis, verlangen müssen.  

Durch  heutige Enthüllungen der „Rzeczpospolita“ wächst der missratene Austausch zu einem waschechten politischen Skandal. Präsident Andrzej Duda, der zusammen mit dem Präsidenten  von Litauen, Gitanas Nausėda,  vor die Medien trat, erinnerte an den Kooperationsvertrag von 2012, der damalige (und aktuelle) Premier Tusk mit dem russischen Geheimdienst FSB unterschrieben hat. „Man gewinnt den Eindruck, dass der Vertrag immer noch gilt“, kommentiert Duda.

Einsicht ohne Rücksicht


Von Putin persönlich empfangener Pawel Rubzow scheint nicht mit leeren Händen gekommen zu sein.

Vor seiner Auslieferung an Russland erhielt der russische Spion Pawel Rubzow uneingeschränkten Zugang zu Ermittlungsakten, darunter auch geheimen, obwohl die Staatsanwaltschaft die Einsicht verweigern konnte, aufgrund des vorrangigen Staatsschutzes, lesen wir in der „Rzeczpospolita“. 

Woher kam diese herzliche Offenheit der Staatsanwaltschaft gegenüber jemandem, dem man Spionage vorwirft? 

Piotr Niemczyk, ehemaliger Vize-Chef des Staatsschutzes UOP, mutmaßt, dass für Russen besonders interessant wären Informationen zum Verlauf der Enttarnung, wie also die polnischen Geheimdienste arbeiten. Ebenso wertvoll wären Profile der Mitarbeiter, auch ohne persönliche Daten. Alles das konnte man wahrscheinlich aus den Akten herauslesen.  

Mit einer klaren Vorstellung, wie sich die Staatsanwaltschaft verhalten sollte, meldete sich zu Wort Kazimierz Olejnik, früherer stellvertretender Generalstaatsanwalt (von 2003 bis 2006):

„Lediglich ausgewählte Beweise, auf die sich die Anklage stützte, sollte man Rubzow zur Verfügung stellen.“

Die ungewöhnliche Transparenzlust der Staatsanwaltschaft findet er befremdlich:

„Und wenn in den Akten der Name eines im Kreml sitzenden Hauptinformanten stände, hätte man dem Verdächtigen der Spionage für Russland diesen Namen auch gezeigt?“, fragt Olejnik


Update am 6.09.24

Jacek Siekiera, Chef des Büros für Nationale Sicherheit in Polen, widerspricht am Freitag, den 6.09., in einem Radiointerview der Behauptung, dass die Untersuchungsakten, die der russische Spion Pawel Rubzow einsehen durfte, nichts wichtiges enthalten. Im Gegenteil, derartige Dokumente seien für jeden Geheimdienst-Agenten eine Quelle vom "außergewöhnlichen Wissen".

„Durch den Zugang zu den Untersuchungsakten konnte er (Pawel Rubzow) erfahren, welches Material gesammelt wurde, ob sich darunter zum Beispiel seine SMS oder Signal- und Whatsapp-Gespräche befinden oder nicht. Nach der Rückkehr nach Moskau könnte er dann seinem Chef, Admiral Igor Kostujukow, beispielsweise melden: Die Polen haben über mich SMS, Anrufe und Rechnungen gesammelt, aber nicht die mit Signal verschickten Nachrichten. Darauf folgt dann in der Meldung die Schlussfolgerung: Sie besitzen keine entsprechende Spionagesoftware, deswegen sollte man in Polen Weg der Kommunikation nutzen.“

Rubzow gehört zu den hochrangigen Offizieren der GRU (russischer Militärnachrichtendienst), betont Jacek Siekiera. 

„Er (Rubzow) verfügte über ein breites angeworbenes Netz und stand hinter einer ganzen Reihe der FSB-Operationen. Solch einen Offizier kann man mit einer Waffe der Geheimdienste vergleichen. Für ihn sind Dokumente mit Informationen die Munition.“


Meine früheren Posts zum Thema:

Mittwoch, 4. September 2024

Was Kamala Harris macht, kann ich auch, sagt Beata Szydło

 Im heutigen Interview für den Privatsender TV Republika bejaht zwar Beata Szydło nicht die Frage nach ihrer Präsidentschaftskandidatur in 2025. Die frühere Ministerpräsidentin von Polen stellt jedoch unmissverständlich fest, es müsse mitnichten ein junger, attraktiver Mann sein. Und argumentiert mit einem Beispiel von Übersee: Kamala Harris kandidiere doch soeben für das höchste Amt der stärksten Großmacht. Das soll heißen, sie könne das auch tun.

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Auf dem Boden scheuern


Beata Szydło beschreibt sich als eine Teamplayerin und wirbt für eine bodenständige, pragmatische Politik. Sie warnt von gefährlichen Entwicklungen in der EU und in Polen. 

Die Richtung, in die die EU steuert, beschreibt sie als Föderalismus oder eine Art des Neo-Kommunismus. Dass diese Mahnung aus Polen kommt, einem Land mit langjährigen verheerenden Erfahrungen mit diesem System, darf nicht wirklich wundern. Die Vision, die Beata Szydło stattdessen vorschwebt, ist eine Allianz von unabhängigen Staaten, die sich gegenseitig unterstützen. Zu den wichtigsten Voraussetzungen zählt sie die Gleichwertigkeit aller Mitgliedsstaaten, die auf Augenhöhe kommunizieren.

Zurzeit gehe es der EU nicht gut. Den schlechten Zustand merke man am Markt. „Die EU-Wirtschaft scheuert auf dem Boden (szoruje po dnie)“, konstatiert Szydło.

Das Spalten des Geldes


Auch Polen kränkelt. Dafür sei die aktuelle Regierung von Donald Tusk verantwortlich,  urteilt die PiS-Politikerin. Tusk veranstalte Spiele und zerstöre gleichzeitig staatliche Institutionen und Menschen. Er wolle konservative Politiker zugrunde richten. „Unsere einzige Chance ist zurzeit die Wahl des Präsidenten“, meint Beata Szydło.  Die Konservativen müssen sich konsolidieren, nur gemeinsam können sie gewinnen, betont sie.

„Wenn wir das Recht und die Verfassung (Konstytucja) so, wie Donald Tusk, stets gebrochen hätten, würden in Brüssel alle Sirenen heulen“, führt sie weiter aus, „Tusk macht, was er will, die EU reagiert trotzdem nicht.“

Inzwischen  sind die Konservativen mit ihren Zweifeln, die die Rechtmäßigkeit des Vorgehens von der Regierung betreffen, nicht allein. In „Rzeczpospolita“, einer Tusk-affinen Zeitung, diagnostiziert  Kazimierz Groblewski, dass die Aggression in der polnischen Politik unerträglich sei.

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„Die Politiker, die wir mit unserem Geld unterhalten, spalten uns.  Sie sind unfähig, eine parteiübergreifende Einigung zu erzielen, selbst bei den wichtigsten Themen für Polen, für das polnische Volk.“

Über die kontroverse Entscheidung der Staatlichen Wahlkommission (PKW), die zur Streichung von Finanzmitteln für die PiS-Partei führen kann, schreibt Groblewski:

„Es waren Politiker der Bürgerplattform (PO, Tusk-Partei), die die Staatliche Wahlkommission  (PKW) über die finanziellen Vergehen seines politischen Rivalen informierten. Dieser Umstand ist abnormal und verwerflich.”

Alle Ähnlichkeiten mit den hiesigen Personen und Handlungen sind natürlich rein zufällig.