Die Funkstille in deutschen Medien über Polen ist relativ laut. Auch wenn man zuletzt doch erfahren durfte, dass der polnische Premier unzufrieden mit deutschen Grenz-Plänen sei. Darüber, dass im Nachbarland seit Monaten, genaugenommen seit dem Machtwechsel am 15.10.23, der Bär steppt, und zwar ein tollkühner, berichten die deutschen Medien herzlich wenig. Als ob hiesige Journalisten fürchteten, etwas Kritisches über die neuen Machthaber sagen zu müssen.
Kriterien im Dilemma
"Wir müssen als kämpferische Demokratie (demokracja walcząca) handeln, d. h. wir werden bestimmt Fehler machen und uns dem Vorwurf aussetzen müssen, gegen das Gesetz zu verstoßen, oder nicht ganz gesetzeskonform agieren. Wir müssen dies trotzdem tun. Meine Entscheidungen lassen sich leicht juristisch kritisieren oder anfechten. Dennoch glaube ich nicht, dass der Ausweg aus dieser Situation in den juristischen und gesetzgeberischen Vorschlägen liegt (…) Da uns rechtliche Mittel fehlen, müssen wir die Kraft und die Entschlossenheit in uns finden, um Risiken einzugehen, wohl wissend, dass sie nicht immer Kriterien der Rechtsstaatlichkeit erfüllen. (…) Ich möchte mich rechtskonform verhalten, aber ich stehe oft vor einem Dilemma: Was soll ich tun, wenn kein rechtliches Werkzeug vorhanden ist?"
Donald Tusk:
— Samuel Pereira (@SamPereira_) September 10, 2024
Jeszcze nie raz popełnimy popełnimy czyny, które według niektórych autorytetów prawnych będą niezgodne albo nie do końca zgodne z zapisami prawa, ale nas nic nie zwalnia z obowiązku działania każdego dnia. Ja, tak czy inaczej, dalej będę takie decyzje podejmował z… pic.twitter.com/bnHcGbscqh
Tomasz Sakiewicz, Chefredakteur von "Gazeta Polska" erinnerte auf TV Republika an die frühere "sozialistische Demokratie" ("demokracja socjalistyczna").
"Was ist der Unterschied? Die "sozialistische Demokratie" bedeutet die Negation einer echten Demokratie. Über den gleichen Unterschied reden wir im Fall der sog. "kämpferischen Demokratie“ (demokracja walcząca). Sie ist auch keine Demokratie."
Auf den Knien um Gnade bitten
Vielleicht erinnert sich der eine oder die andere an den EU-Aufschrei über die angeblich oder wirklich bedrohte Rechtsstaatlichkeit in Polen in den Zeiten der PiS-Regierung. Donald Tusk, damals erst der Präsident des Europäischen Rates und später Vorsitzender der Europäischen Volkspartei, nutzte gekonnt seine Position und Kontakte in der EU und heizte eine hysterische Anti-PiS-Kampagne an. In dieser Atmosphäre war eine sachliche Diskussion unmöglich.
Jetzt haben wir den Salat und verschiedene Sorten von Richtern: die einen heißen Neo-Richter (ernannt nach 2018), die anderen - Alt-Richter. Die Tusk-Regierung beabsichtigt die Neo-Richter so schnell wie möglich aus der Justiz zu entfernen, danach wird sie neue benennen, die dann aber nicht Neo-Richter heißen, sondern gleich Alt-Richter werden.
Es klingt idiotisch? Wartet nur, es wird noch krasser. Denn Adam Bodnar, Justizminister und Generalstaatsanwalt, unterbreitet den Richtern in führenden Positionen am vergangenen Donnerstag einen Vorschlag: Wenn sie sich öffentlich als Sünder bekennen (samokrytyka) und zugeben, dass sie einen Lebensfehler („błąd życiowy“) begangen haben, und ihn auch aktiv bereuen ("czynny żal"), dann dürfen sie auf die Absolution hoffen.
Fliegende Unterschriften
Damit das Chaos perfekt wird, hat Tusk zuletzt ein Dokument gegengezeichnet, um kurz darauf seine Unterschrift zurückzuziehen. Es geht dabei um die Ernennung, von Präsidenten Andrzej Duda vorgenommen, des Richters Wesołowski für den Vorsitzenden der Zivilkammer-Versammlung vom Obersten Gericht. Verfassungsgemäß soll der Premier die Gegenzeichnung leisten, was er zuerst auch tat und anschließend annullierte. Weil er auf einmal begriff, dass es sich hier um einen sog. Neo-Richter handelt.
Darf er überhaupt zuerst unterschreiben und dann erklären, ich habe das nicht so gemeint?
Nein, behaupten viele Juristen. So betont Prof. Marek Chmaj, Experte im Verfassungsrecht, dass die Gegenzeichnung durch die Verfassung geschützt sei und nicht zurückgezogen werden könne. Aleksander Stępkowski, Sprecher des Obersten Gerichtshofs, vertritt dieselbe Meinung: eine Gegenzeichnung darf nicht zurückgezogen werden.
Doch, sagen andere, wie zum Beispiel Professor Ewa Łętowska, ehemalige Richterin des Verfassungsgerichts und frühere Beauftragte für Bürgerrechte. Für die tvp.info (polnischer ÖRR) sagte sie:
Złożył kontrasygnatę, a teraz się z niej wycofuje. W tym wypadku premier nie może wycofać swej kontrasygnaty, powiedzieć: rozmyśliłem się. Albo: ktoś mnie wprowadził w błąd. Ale jeśli ta kontrasygnata została zaskarżona do Sądu Administracyjnego, można tego dokonać – mówi w… pic.twitter.com/iKqyjoBfga
— tvp.info 🇵🇱 (@tvp_info) September 11, 2024
„Tusk hat zuerst unterschrieben, jetzt zieht er seine Gegenzeichnung zurück. In solch einem Fall kann der Premier seine Unterschrift nicht einfach zurückziehen und sagen: Ich habe mich anders entschieden, oder: Ich wurde in die Irre geführt. Wenn aber seine Gegenzeichnung vor dem Verwaltungsgericht angefochten wird (zwei Richter haben tatsächlich eine Klage eingereicht), darf er dies tun.“
Habt Ihr verstanden?
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