Sonntag, 28. Dezember 2025

Moral und Träume zum Neujahr 2026

 Das verrückte Jahr 2025 verabschiedet sich bald. Wie es weiter geht, weiß ich und die anderen Nicht-Hellseher selbstverständlich nicht. Wir leben in interessanten Zeiten und auch aus diesem Grund wage ich keine Prognose für die Zukunft. Ich wünsche mir, dass 2026 wenigsten nicht schlimmer wird. 


Neue Gebote

Was hat in diesem Kontext die Moral zu suchen? Sie wurde sozusagen zum Star und hat sich in den letzten Jahren zum politischen und gesellschaftlichen Kompass und zum Instrument der Disziplinierung entwickelt.

Meiner Meinung nach findet seit Jahren eine Moralrevolution in der Art der schrecklichen chinesischen Kulturrevolution statt, Die Woke-Bewegung wollte und will immer noch die alten Maßstäbe vernichten und durch eigene ersetzen, und zwar mit diktatorischer Härte und von den Tyrannen abgeguckten Methoden.. 

Während man die Kirche erbittert bekämpfte, versuchte man zugleich die neue Moral zu etablieren. Die woken Vorstellungen von Gut und Böse sollten als neue Gebote gelten.

Schiefes Bild

Im etwas schiefen Spiegel würde die neue Woke-Welt ungefähr so aussehen:

- Sex sei das Wichtigste. Danach segregiere man Menschen in die Richtigen, also LGBTQ… und die Nichtrichtigen - Nicht-LGBTQ…Damit es mehr von der richtigen Sorte gebe, bringe man schon den Kleinsten in den Kindergärten das Wissen über die Bedeutung und Formen des Sexes bei,

- Die Liebe als Grundprinzip des Christentums („Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“) werde abgelehnt. Weil – wie schon oben erwähnt – Sex in jeder Hinsicht das Wichtigste sei.

- Die Kultur (Musik, Literatur, Kunst…) klage man an, oder erkläre zumindest zur Verdächtigen. Man schneide sich passende Teile heraus - und schrecke dabei nicht vor den anerkannten Meisterwerken zurück -, den Rest verbiete man. So sehe die neue Toleranz aus (früher hieß sie einfach Zensur).

- Die Natur werde als Schutzbedürftige auf dem atheistischen  Altar platziert. Der Mensch solle dagegen keinen Schutz genießen. Sogar an den Kindern dürfe man Geschlechtsumwandlungen vornehmen. Der Chirurg sei der neue Gott.

Ich kann diesen Faden weiter spinnen, aber ich will mir selbst die Laune nicht verderben.

Am Rande bemerkt: Die Woke-Kampagne gegen Epstein verwirrt mich eben deswegen. Denn Epstein sollte eigentlich der Papst der Wokeness sein. So verstehe ich auch die Trump-Äußerung über den Demokraten-Witz.

Wovon träumen?

Ich interessiere mich nicht für die Moral, egal ob in der Kirche oder außerhalb. Natürlich respektiere ich individuelle Ansichten und Präferenzen, solange ich nicht gezwungen werde, sie zu teilen.

Ich traue keinem Moralisten; meist verstecken sich unter dem Moral-Mantel schlimmste Ganoven.

Worauf es ankommt, ist der Anstand. Daher wünsche ich mir für das Jahr 2026 mehr Menschen mit Anstand. Das ist mein Wunsch und mein Traum. Und wovon träumt Ihr?

Donnerstag, 25. Dezember 2025

Was zum Henker ist der Bärbel-Bas-Fehler?

 Das fragte ich mich, als ich den Titel der Kolumne von Susanne Nickel las: „Konfliktfest Weihnachten: Machen Sie am Esstisch bloß nicht den Bärbel-Bas-Fehler“.

Weihnachten, das Fest der Liebe

Worum geht es? 

Erinnert Ihr Euch an den Arbeitgebertag? Es wurde dort gelacht. Oder eher ausgelacht:

„Beim Arbeitgebertag stellte sie (Bärbel Bas) das Rentenpaket vor und wurde ausgelacht. Unfein, aber nicht neu in einem Land, das sich für diskussionsstark hält. Doch statt danach umso deutlicher den Dialog zu suchen, sagte Bas beim Juso-Kongress, dieses Erlebnis habe ihr klargemacht, „gegen wen wir eigentlich gemeinsam kämpfen müssen“.

Ein einziger Satz, und schon wird aus Kritik Kampf. Aus Gesprächspartnern werden Gegner. Aus einem schwerfälligen Austausch wird ein Machtspiel.“

Die Reaktion von der Ministerin Bas fand ich auch befremdlich und vor allem absolut aus der Zeit gefallen. Ich wunderte mich über ihre Dünnhäutigkeit, die man bestimmt psychologisch analysieren könnte. Zugleich bin ich überzeugt, dass diese Dünnhäutigkeit uns sozusagen von oben vorgespielt und zum geltenden Duktus erklärt wurde. Während der Corona-Pandemie kam noch die staatlich verschriebene Hysterie hinzu. 

Der Ton macht die Musik

Eine andere als die eigene Meinung zu ertragen gehört nicht mehr zu Tugenden eines vernünftigen Menschen, sondern angeblich zu seinen Lasten. Denn er könne sich nicht entscheiden – lautet der Vorwurf - und sei nicht imstande  das richtige Lager zu wählen. Solch einer wolle selbst denken und entscheiden, statt den Führern verschiedener Sorte blind zu folgen. Er bestehe auf das Recht, seine Meinung frei zu äußern. Ach, du Schreck!

Ich behaupte, dass während der Merkel-Ära die Erde im übertragenen Sinne zur Scheibe erklärt wurde und die Diskussionen nur in einem engen Rahmen wie zu den Zeiten des Ostblocks zugelassen wurden. Sonst drohte die Verbannung aus der Öffentlichkeit oder sogar der Verlust des Jobs. 

Ein Beispiel dafür ist die hysterische und existenzvernichtende Antwort auf die Aktion #allesdichtmachen. Die Mitspieler wurden regelrecht fertiggemacht. In jeder Hinsicht undemokratisch. Diese Aktion nahm lediglich auf satirische Weise die lästigen Corona-Maßnahmen aufs Korn. Das war der Anlass, die Teilnehmer zum staatlichen Sicherheitsrisiko zu erklären und als solche zu bekämpfen. 

Unterdessen erreichte die Beweihräucherung der Politiker und ausgewählten, ausschließlich konformen, Wissenschaftlern unerhörte Ausmaße. 

Schuster, bleib bei deinem Leisten!

Es scheint, als ob wir endgültig aufgehört haben, die Informationen von Ideologie, Propaganda und Missionierung zu trennen. Da möchte man den Journalisten zurufen: Lasst die Priester und Pfarrer predigen, kehrt zu euren Kernaufgaben zurück und beschäftigt euch mit der ganzen Gesellschaft, statt nur mit der von den Politikern geliebten schleierhaften Mitte.

Könnt Ihr Euch ein Organismus – eine Gesellschaft ist doch lebendig – vorstellen, der nur aus dem Mittelteil besteht? Und wo bleiben dann der Kopf und die Füße? Wer um Solidarität appelliert, der muss zuerst mit dem Spalten aufhören.


Sonntag, 21. Dezember 2025

Der EuGH und die wundersame Ausdehnung

 Der EuGH hat Urteil gegen Polen am 18.12. gesprochen. Geklagt hat 2023 die EU-Kommission. Damals mischte sich die EU in den polnischen Wahlkampf ein und unterstützte mit allen Kräften ihren Kandidaten Donald Tusk.

EuGH in Luxemburg

Ein Exempel statuieren


Das Urteil ist präzedenzlos. Darauf weist Prof. Ireneusz Kamiński von der Polnischen Akademie der Wissenschaften (PAN) hin. Es beruht nämlich auf einer Grundlage, die noch nicht derart klar formuliert wurde. Hier stellt die EuGH fest, dass Zweifel hinsichtlich des EU-Rechts und seiner Auslegung ausschließlich der EuGH klären kann.

Anscheinend will man an Polen ein Exempel statuieren. In diesem Urteil erwacht der Geist von Angela Merkel und ihrer zentralistischen Vision der EU auf. Dieser Geist muss jeden erschrecken, der jemals in Berührung mit dem ehemaligen Ostblock kam. 

Dynamisch, sehr dynamisch


Professor Kamiński gibt in diesem Zusammenhang einen sehr interessanten Kommentar ab:

“Aber die Auslegung des EU-Rechts ist dynamisch, manchmal sehr dynamisch, und unterscheidet sich von der Auslegung, die zum Zeitpunkt des Beitritts der einzelnen Staaten in die EU angenommen wurde. Das heißt, das derzeitige EU-Recht unterscheidet sich von dem zum Zeitpunkt des EU-Beitritts. Dies kann zu Spannungen zwischen dem EuGH und den Verfassungsgerichten führen“,

Lasst Euch diese Feststellung auf der Zunge zergehen: Man einig sich vertraglich, also verbindlich, und danach wird der Vertrag einseitig verändert. Wow!

Die Quelle des Rechts?


Wie es aussieht, hat der EuGH selbst seine Befugnisse erweitert, 

Ein Gericht soll zwar das Recht sprechen, aber nicht selbst Gesetze schreiben. In dieser wundersamen Ausdehnung der Befugnisse von der EuGH verbirgt sich eine echte Gefahr für die EU und die Freiheit als ihr Motto. 

Freitag, 5. Dezember 2025

Chrupalla und Palmer in einer gesitteten Debatte

 Der Name von Herrn Chrupalla scheint aus dem Polnischen zu stammen, allerdings spricht man das Wort anders aus: chrupała [hruˈpa.wa], was bedeutet „knabberte“. Das ist die feminine Vergangenheitsform, 3. Person Singular, von chrupać – knabbern. Womöglich kamen also seine Vorfahren aus Polen. Dennoch fürchtet Chrupalla eben von dort eine Gefahr und tut seine Angst bei Pinar Atalay kund. Vor allem geht es ihm um eine finanzielle Bedrohnug. Denn Polen stellt „alle halbe Jahr Reparationsforderungen gegenüber Deutschland.“ Außerdem wisse er, „dass viele Polen feindlich gesinnt gegenüber Deutschland sind.“ 

Ach was?!

Screenshot

Unsere größte Sorge


Pinar Atalay bemerkte am Ende ihrer Sendung, dass sich ihre Gäste – Boris Palmer und Tino Chrupalla - in vielen Punkten unterscheiden, aber das Gespräch nicht eskaliert habe. Tatsächlich verlief die Debatte zwischen dem Co-Vorsitzenden der AfD und dem Ex-Grünen gesittet. Auch dank Palmer, der mit allen reden wolle, ohne Schere im Kopf. Es gebe doch immer mehrere Möglichkeiten, also Alternativen.

Er heiße es gut, dass die AfD Probleme anspreche, aber nicht wie sie das tue.

"So wie sie es gemacht haben, finde ich falsch, aber dass sie diese Themen angesprochen haben, war richtig. Und die anderen Parteien haben den Fehler gemacht, zu lange die Probleme, die es mit einer sehr großen Zahl von Migranten in sehr kurzer Zeit zwangsläufig geben muss, zu beschweigen, zu beschwichtigen, drüber hinweg zu sehen“, meint Palmer.

Was ihm große Sorgen bereite sei die Position von der AfD zur EU.

„Meine größte Sorge  ist, dass die AfD ernst meint, was in ihrem Wahlprogramm steht. Sie wollen alle Verträge entweder in der EU kündigen und zurück zu der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) der 80ger Jahre oder austreten.“

Das ist auch für mich eine Horrorvision. Ich spreche mich mit meinem ganzen Herzen und Verstand für die EU. Allerdings nicht für das bürokratische Monster, das wir Merkel zu verdanken haben. Da hatte Helmut Kohl recht, sie habe ihm seine EU kaputtgemacht. Die EU unter Merkel wurde zum Heiligtum erklärt, die Kritiker stempelte man als "europakritisch" ab, als wäre Kritik ein Verbrechen. 

Und trotzdem lehne ich den Dexit entschieden ab. Es ist eine absolut hirnrissige Idee. Wer nur einen Funken des Verstands besitzt, wird sich ohne Probleme die Konsequenzen derartigen Schrittes ausmalen können.  

Zauber der Demokratie


Boris Palmer glaubt, dass man die AfD entzaubern kann, indem man die Mitarbeit und Mitregieren mit dieser Partei zulässt. Egal, wie man zu seiner Theorie steht, erscheint die Art, wie man mit dieser Partei umgeht, auf eine typisch deutsche Weise verworren. 

Es werden Denkkonstruktionen erstellt, die an den demokratischen Prinzipien hart kratzen und manchmal sogar gegen sie verstoßen, nur um die Ablehnung der Mitarbeit zu rechtfertigen. 

Hier verbirgt sich auch eine große Gefahr. Denn die selbsternannten Wächter der Demokratie beginnen sie auszuhöhlen



Sonntag, 30. November 2025

Auf dem Justiz-Karussell in Polen

 Im polnischen Rechtssystem herrscht Chaos. Die EU hat dazu wesentlich beigetragen. Karol Nawrocki, der neue Präsident von Polen, sucht nach einer Lösung. Grzegorz Ksepko, sein neuer Vertreter im Landesrat für Gerichtswesen (Krajowa Rada Sądownictwa – KRS) verkündet im Interview für die „Rzeczpospolita“: „Der Präsident ist bereit zum Dialog".

Das polnische Justizdrama nahm vor vielen Jahren ihren Lauf. Es wird an der Zeit, langsam zu Ende zu kommen.


Falsche Vorbilder

Die EU hat gegen Polen gesündigt. Vielleicht genauso schwer wie damals, als sie die Trojka auf Griechenland losgelassen hat. In beiden Fällen handelte man autokratisch und nicht demokratisch. Solch eine zentralistische EU wünschte sich Merkel. Als Vorbild diente ihr wahrscheinlich der Ostblock. 

Was haben die drakonischen Maßnahmen Griechenhand gebracht? Im August 2022, als man nach 12 Jahren das Ende der Überwachung (!) Griechenlands verkündete, stellte man zugleich fest:  

„Allerdings ist die Arbeitslosenquote in Griechenland eine der höchsten in der Währungsunion, der Mindestlohn einer der niedrigsten und die Verschuldung des Landes liegt bei 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.“

 Die EU sorgte also dafür, dass die Schulden sozialisiert und die Gewinne privatisiert wurden.

 Künstlich erzeugte Affäre

Was Polen betrifft, kritisierte die EU die Ernennung der Verfassungsrichter unter der damaligen PiS-Regierung und ging dagegen hart vor. Außerdem startete sie eine Hasskampagne gegen die PiS.  

Im Prinzip gehört die Ernennung von Richtern zu innenpolitischen Angelegenheiten. Stellt Ihr Euch vor, die EU hätte neulich verlangt, dass Frauke Brosius-Gersdorf als Verfassungsrichterin gewählt werde. Nein, das kann man sich nicht vorstellen. Im Fall Polen anscheinend aber schon.

Małgorzata Paprocka, Ministerin im Büro des ehemaligen Präsidenten Andrzej Duda, formulierte den Vorwurf im Mai 2024 vorsichtig:

„Die Rechtsprechung des EuGH gab keine ausreichenden Gründe für ein so starkes Engagement von EU-Beamten in diesem Fall. Daher bestätigt sich der Verdacht,  dass der Streit um die Justiz künstlich erzeugt wurde.“

Der polnische Bumerang 

Wieso mischte sich die EU überhaupt ein? Sie wollte ihren Kandidaten Donald Tusk (bis 2019 Präsident  des Europäischen Rates, außerdem Merkels Freund) mit aller Kraft unterstützen, damit er in den Wahlen in Polen am 15.10.2023 gewinnt, Deswegen suchte die EU nach einem Vorwand – ungeachtet eigener Verträge - und mischte sich ein. 

Donald Tusk ist ein Bumerang der polnischen Politik. Die aktuelle Regierung ist seine dritte. Der Justiz-Streit begann während seiner zweiten Amtszeit am 8.10.2015.

„Am besagten 8. Oktober wählte der Sejm mit der Mehrheit der regierenden Koalition (PO und PSL) fünf neue Nachfolger von Verfassungsrichtern, deren Amtszeit demnächst endete. Aber nicht gleichzeitig. Für drei war das bereits am 6.11.2015 der Fall, für zwei erst im Dezember.“

Tusk hat sozusagen unerlaubt vorgesorgt, denn für diese zwei war das nächste Parlament (nach den Wahlen am 25.10.2015) zuständig. Im neuen Sejm hatte dann die PiS das Sagen. Ein Monat danach erklärte die PiS-Mehrheit die Wahl der Richter vom 8.10.2015 mit einem entsprechenden Gesetz für nichtig und wählte eigene fünf Richter, die vom Präsidenten Duda vereidigt wurden. 

2023 kehrte Donald Tusk an die Macht zurück. Seitdem dreht sich das Justizsystem wie ein Karussell. Man begann zu unterscheiden zwischen Neo- und Normalen-Richtern. Dann gab es ein Projekt, die Richter zu markieren: rot, gelb und grün. „Die Roten“ sollte man aussortieren, denn sie machten Kariere unter PiS, die Gelben durften um die Vergebung bieten und Buße tun und so weiter und so fort (darüber schrieb ich hier in meinem Blog mehrmals).

Bitte nicht markieren!

Der neue Mann des Präsidenten in der KSR stellt zweifellos fest, dass es ein politisches Problem gibt, und dass es gelöst sein muss. Dafür braucht man aber zwei Seiten der Macht in Polen, sowohl den Premier als auch den Präsidenten. 

„Der Streit dauert an und er muss gelöst werden. Ich lehne aber die Verwendung des Begriffs „Neorichter“ entschieden ab. Alle Richter, die vom Präsidenten ernannt wurden, sind normale Richter. Sie haben die gleiche Ausbildung und die gleichen Qualifikationen. Deshalb bin ich der Meinung, dass man sie in keiner Weise markieren sollte, so ähnlich wie mit Armbinden. Das darf man einfach nicht tun“, sagte Grzegorz Ksepko im Rzeczpospolita-Interview.



Sonntag, 23. November 2025

Das Bild von Merz

 Die einen vergleichen ihn mit Merkel, die anderen sprechen von seinen Problemen mit der Impulskontrolle (keine neue Erkenntnis). Sie liegen in meinen Augen falsch. Nein, Merz ist keineswegs wie Merkel. Sie stellt den personifizierten Stillstand dar, er zeigt sich als ein Macher. Man könnte sagen, dass Merkel den politischen Friedhof abbildet, Merz – das unberechenbare Leben. Da passen die Probleme mit der Impulskontrolle zu seinem Image wie angegossen.

Screenshot

Übertrieben versus sektenartig


Dass ich alles andere als ein Merkel-Fan bin, lässt sich mühelos bereits nach der flüchtigen Lektüre meines Blogs feststellen. Mein Herz schlägt aber auch nicht für Merz. Es war Olaf Scholz, den ich mich als Kanzler wünschte. Trotzdem sehe ich die Kritik an Merz sehr kritisch. Seine Kritiker, finde ich, sind oft im Unrecht. Und wenn ich sie höre oder lese, muss ich häufig an die alten Tanten aus vergangenen Zeiten denken, die die Jungs rügten, wenn sie herumtollten: „Nicht so laut, nicht so frech, nicht so …“ 

Nein, ich habe nichts dagegen, wenn Merz seine Meinungen klar und manchmal übertrieben formuliert, auch wenn jene meinen eigenen diametral widersprechen. Weil Merz – anders als Merkel – die Diskussion nicht nur zulässt, sondern auch bewusst anstößt. Merkel würgte dagegen jede Debatte ab, weil sie – was Jan Fleischhauer treffend bemerkte – sektenartigen Gehorsam ihrer Anhänger stets erwartete.

Fragen zwischen Prioritäten und Realität


In den Umfragen kommt Merz nicht gut an. „Warum enttäuscht Ihre Politik?“, fragt den Kanzler Pinar Atalay in ihrem Interview. Merz malt daraufhin den Ernst der Lage:

„Wir haben mit vielen Problemen zu tun. Der Regierungswechsel hat stattgefunden zu einem Zeitpunkt, wo er nicht vorgesehen war. (...) Wir sehen viele Faktoren, die unsere Arbeit stark beeinträchtigen. (...) Die Lage ist schwierig."

Gut erkannt, will man zurufen. Dann nennt Merz einige von wichtigsten Aufgaben: Rückbau der Bürokratie und Digitalisierung. Da kann man nichts dagegen einwenden. Es fehlt ihm auch nicht an Selbstreflektion: 

„Ich beginne meine Arbeit jeden Tag mit der Frage an mich selbst, setzt du heute die richtigen Prioritäten?“

Es hört sich redlich an. Wieso goutieren Menschen also dies nicht? Weil sie von der Zukunft überfordert sind, oder weil sie keine Vision hinter der aktuellen Politik erkennen? Oder weil sie spüren, dass sich die Entscheider in Klein-Klein verheddern? 

Rahmen mit Bedingungen


Politiker an der Macht sollen endlich aufhören, alles regeln zu wollen. Dieser Aufgabe ist nur der liebe Gott gewachsen. Der Rahmen, für den die Regierenden verantwortlich sind, soll nur so viele Bedingungen beinhalten wie nötig und so wenig wie es geht. So ungefähr wie Merz' Bierdeckel-Steuersystem. Das wäre auch ein riesiger Schritt in die Richtung „Abbau der Bürokratie“.

Aber der Bürokratieabbau bedeutet auch die Streichung der Arbeitsplätze. Und an dieser Stelle hakt es gewaltig. Die partikulären Interessen werden nach wie vor mehr gewichtet als die der ganzen Gesellschaft, aber nicht im humanistischen Sinne – das Individuum als Maßstab -, sondern als triviale und rücksichtslose Verteidigung  eigener Position.
 
Hinter Merz' Politik erkenne ich keine Vision, die richtungsweisend wäre. Wir wursteln uns weiter durch.



Freitag, 31. Oktober 2025

Die Epstein-Chiffre

 Ist Jeffrey Epstein „ein Demokratenwitz“, wie Donald Trump ihn neulich bezeichnet, oder der Name eines echten Skandals? 

Niki de Saint Phalle, Skull

Eine Chiffre der Mächtigen

„American Psycho“*) titelt „Der Spiegel“ seinen Artikel über den Mann, dessen Name „zur Chiffre dafür geworden (ist), dass für diejenigen, die das Sagen haben, andere Regeln gelten als für den Rest. Dass Reichtum und Einfluss einander bedingen und dass, wer darüber verfügt, Gesetze und Regeln aushebeln kann.“

Seit seinem Tod, angeblich durch Suizid (10.08.2019), sind Jahre vergangen, aber die Chiffre lässt sich immer noch nicht vollständig entschlüsseln, nicht mal die Umstände seines Todes sind wirklich klar.

„Dass die Rätsel seinen Tod überdauern – schreibt „Spiegel“-, liegt auch an Donald Trump. Der Mann, der im Wahlkampf, wenn auch zögerlich. versprach, als Präsident die Epstein-Unterlagen offenzulegen, hat seine Zusage zurückgezogen.“

„Dieser Widerling“

Es wurden bereits tausende Seiten der Epstein-Akten veröffentlicht, zum Teil geschwärzt. Das ist nicht genug, rufen Menschen links und rechts im Chor. Denn „hier geht es um die Reichen und Mächtigen gegen den Rest der Welt.“

Hat Trump deswegen Interesse an Dokumenten über „diesen Widerling“ verloren? 

„Der Spiegel“ berichtet dazu:

„Er sei besorgt, dass Freunde von ihm in den Akten auftauchen, soll Trump Beratern anvertraut haben, so das „Wall Street Journal“. Er ärgere sich, dass man statt über die Wegmarken seiner Regierung wieder über Epstein spreche.“

Kein Wunder, dass das Thema Emotionen und Neugierde weckt. In den Dokumenten tauchten nicht nur Trumps Freunde auf, sondern Namen wie Bill Clinton, Woody Allen oder Bill Gates. 

Materielles Äquivalent eines Gegenstandes

Jeffrey Epstein wurde 2019 angeklagt, weil er „zwischen 2002 und 2005 in New York und Florida einen Ring zur sexuellen Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen betrieben“ und „gemeinsam mit Ghislaine Maxwell hunderten minderjährigen Mädchen sexuelle Gewalt angetan und sie zur Prostitution verleitet sowie Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung betrieben haben (soll)“ (Wikipedia).

Zwei Jahre davor passierte etwas, was die Welt veränderte und diese Anklage erst ermöglichte. Ich meine damit die MeToo-Bewegung, „eine soziale Bewegung, die auf ein Hashtag (#) zurückgeht, das seit Mitte Oktober 2017 im Zuge des Weinstein-Skandals Verbreitung in den sozialen Netzwerken erfährt“ (Wikipedia).

Das neue Selbstbewusstsein von Frauen ließ einen anderen Blick auf ihre Rolle zu. Ich spreche in diesem Zusammenhang ausdrücklich auch über den Wert – also „meist in Geld ausgedrücktes materielles Äquivalent eines Gegenstandes“ (Digitales Wörterbuch) -, weil Mädchen und Frauen immer noch mehr als Objekt – gebraucht und käuflich – statt gleichberechtigt als Subjekt betrachten werden, und zwar auch in Amerika und Deutschland und nicht nur in Iran oder Afghanistan. 

Die Wokeness-Chiffre 

Die moralische Überlegenheit des linken Lagers, das man vor kurzem noch Wokeness nannte, erscheint mir hinsichtlich des Epstein-Skandals mehr als fragwürdig. Wer Sexualität im Kindergarten thematisieren will und eine Geschlechtsumwandlung für Minderjährige zulässt, ist kein Jota besser als der sexbesessene "Widerling" Epstein. 

In diesem Punkt hat Trump recht: Es ist ein Demokratenwitz. Aber ein widerlicher. 


*) Julia Amalia Heyer und Marc Pitzke, American Psycho, "Der Spiegel" Nr. 44, 24.10.25






Samstag, 25. Oktober 2025

Donald Tusk – die polnische Version von Merkel

 Donald Tusk ist kein Original, sondern eine Kopie. Auch wenn er eigene Akzente setzt. Er leuchtet wie der Mond mit reflektiertem Licht. 


Copy and paste

Seine wichtigste Strategie ist die Ablenkung. Er perfektionierte sie während seiner langen Zeit an der Macht. Die aktuell von ihm angeführte Regierung ist seine dritte. Dazwischen war er von 2014 bis 2019 Präsident des Europäischen Rates. Eine beeindruckende Karriere, könnte man sagen,  positionsmäßig. Inhaltlich hat Tusk aber nicht viel anzubieten. Er kopiert entweder Projekte von seinen Erzfeiden – der PiS-Partei, oder die Methoden der Kommunisten, besonders aus der Zeit des Kriegsrechts. Außerdem beherrscht er die Kunst der Manipulation auf hohem Niveau. Er tut seinem Land nicht gut. Trotzdem fallen nicht wenige auf ihn herein. Einer der Gründe dafür: sie erkennen in ihm den gleichen Schweinehund, den sie selbst herumtragen. Genauso agierte auch Merkel, die das Fiese und Kleinliche in Menschen weckte und pflegte. 

Noch im Wahlkampf prahlte er: "Niemand in der EU kann mich austricksen" ("Mnie nikt nie ogra w Unii Europejskiej."). Später gab er mehrmals zu verstehen, dass Ursula von der Leyen springt, wenn er pfeift. Sein Machtgehabe beeindruckte die Koalitionäre dermaßen, dass sie ihm trotz Fakten glaubten, er habe die Wahl haushoch gewonnen, und folgten ihm blindlings. Er verlangte nach der Wahl am 15. Oktober 2023, dass ihm der damalige Präsident Andrzej Duda sofort den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt. Und als Duda dies nicht tat, weil er die echten Gewinner – die PiS-Partei – mit dieser Aufgabe zuerst beauftragte, drohte Tusk mit harten Konsequenzen. Er wolle doch unverzüglich mit seinen „100 Taten für erste 100 Tage“ ("100 konkretów na pierwsze 100 dni") loslegen. Bis zum 13. Dezember (Jahrestag der Einführung des Kriegsrechts in 1981) musste er sich trotzdem gedulden.  

Gescholtene Populisten

Jetzt – da man die Bilanz seiner fast zweijährigen Regierungszeit durchaus kritisch zieht – währt sich Tusk: Was wollt ihr von mir? Ich habe die Wahl doch nicht gewonnen, deswegen sind das nur 30 Taten (konkrety), weil ich keine 100 % Stimmen, sondern 30 bekommen habe. 

Außerdem lenkt er wieder ab und fachsimpelt im Podcast WojewódzkiKędzierski (die beiden bekennen sich als seine Anhänger):
„Es ist mitnichten ein ausschließlich polnisches Phänomen,  dass so viele mächtige Kräfte daran interessiert sind, Konflikte, negative Emotionen, Ängste und Hass zu schüren. Das sind heute die Werkzeuge oder Methoden des Handelns, insbesondere in jenen Kreisen, die weltweit auf der populistischen, rechtsextremen Welle mitschwimmen.“
Tusk – wie auch Merkel – schiebt gern Verantwortung auf die anderen, wie hier auf die globalen populistischen Player. Weil er natürlich zu den Guten zähle:
„Die Politik, die ich liebe, bedeutet die Durchsetzung einer bestimmten Kultur, die dafür sorgt, dass der Schwächere nicht machtlos und hilflos ist.“
Seine Lippenbekenntnisse haben mit der Wirklichkeit herzlich wenig zu tun. Er lässt eben die Schwachen bluten. Es waren die anderen, die gescholtenen Populisten - seine Vorgänger und Erzfeinde von der PiS, die eine beindruckende Sozialpolitik in relativ kurzer Zeit erfolgreich realisierten. 

Die guten alten Zeiten?

Genauso wie Merkel zum Tag der deutschen Einheit nostalgisch die DDR-Zeit glorifizierte, präsentiert auch Tusk seine Sehnsucht nach alten guten Zeiten:

„Ich bin dafür zurückgekommen (aus der EU), und nach zwei Jahren kann ich zufrieden verkünden, dass ich dieses Ziel erreicht habe, dass Demokratie, Freiheit, Wahrheit, all das, was wir älteren Menschen so sehr damals schätzten, nicht mehr machtlos erscheinen.

Die Behauptung, dass „damals“ – also im kommunistischen Polen – „Demokratie, Freiheit und Wahrheit“ herrschte, ist ein Hohn.

Auch wegen solchen Aussagen kann ich Tusk nicht über den Weg trauen.

In einem Bereich schnellt die Kurve in Polen unter Tusk nach oben. Die Zeitung „Rzeczpospolita“, die den Bericht vom Statistischen Hauptamt (GUS) vorstellt, konkludiert: 
„Polens Schulden wachsen nahezu am schnellsten in der EU.“
Tusk nimmt das anscheinend nicht zur Kenntnis. Ich nenne es „Merkel-Phänomen“. Da sie ihre persönliche Situation als eine sehr gute erlebte, schlussfolgerte sie, dass dies alle Bürger betrifft und warb für ein Land, in dem man „gut und gerne lebt“.. Was sie nach 16 Jahren hinterlassen hat, muss man – glaube ich – nicht mehr beschreiben, denn wir sehen alles mit bloßem Auge. Bei Tusk geht die Zersetzung in vielen Bereichen – wie Justiz, Investitionen, Menschenrechte – sogar schneller.

Montag, 20. Oktober 2025

Niki, Kusama, Murakami oder der Zauber von Kunst

 Niki, Kusama, Murakami - wie eine Zauberformel klingen Namen von drei unterschiedlichen Künstlern der aktuellen Ausstellung im Sprengel-Museum in Hannover. 


Niki de Saint Phalle

Die erste in der Reihe – Niki de Saint Phalle (1930 – 2002) - fühlte sich mit Hannover besonders verbunden. Sie prägt die Stadt bis heute mit ihren Nanas, der Grotte in den Herrenhäuser Gärten und ihrer großzügigen Schenkung für das Sprengel-Museum. 

Sie war – könnte man sagen - mit einem goldenen Löffel im Munde geboren, was sie aber nicht vor eigenem Vater geschützt hat. Er missbrauchte sie seit ihrem 11. Lebensjahr. Derartige traumatische Erfahrungen hinterlassen tiefe seelische Verletzungen. Während der Therapie entdeckte Niki die Kunst als einen Weg zur Heilung. 










Yayoi Kusama

Yayoi Kusama „wurde 1929 im japanischen Matsumoto in eine Bauernfamilie geboren. Ihre Eltern betrieben ein Saatgutunternehmen. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, musste sie mit 13 Jahren in einer Fallschirmfabrik arbeiten. Ihre Mutter war gewalttätig, ihr Vater untreu. Bereits als Grundschulkind litt Kusama unter Halluzinationen.“

Genauso wie Niki versteht Yayoi Kusama die Kunst als Chance, eigene Erfahrungen aufzuarbeiten:

„Malen war für mich die einzige Möglichkeit, auf dieser Welt zu existieren, oder anders gesagt, war Malen eine aus der Not geborene Leidenschaft.“

Freiwillig ging sie 1977 in eine psychiatrische Klinik und lebt dort bis heute.






Takashi Murakami 

Takashi Murakami (1962), der dritte im Bunde,  erfuhr eine andere Art von elterlichen Härte. Der Vater, Taxifahrer, und Mutter, Hausfrau, „zwangen ihn oft Rezensionen zu schreiben über Ausstellungen, die sie besucht hatten. Wenn er sich weigerte, musste er ohne Abendessen ins Bett gehen.“

Seine Kunst nennt er selbst Superflat. Mit Recht? 









Niki, Kusama, Murakami. Love you for infinity.
Ausstellung im Sprengel-Museum, Hannover - bis 14.02.2026

Sonntag, 5. Oktober 2025

Wahlen in Tschechien mit den Aufklebern des ÖRR

 In einer idealen Welt begegnen sich Menschen mit Respekt und diskutieren anständig miteinander. Verschiedene Meinungen sind in solch einer Welt selbstverständlich. 

Die Realität holt uns auf den Boden der Tatsachen zurück. Hier lügt man, betrügt und trickst. Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit sagt man vielleicht vorm Gericht. Im Alltag ist sie eher selten. Gewöhnlich behelfen wir uns mit kleinen und großen Tricks. Unter Trick verstehe ich dasselbe wie der Duden:  

„listig ausgedachtes, geschicktes Vorgehen; [unerlaubter] Kunstgriff, Manöver, mit dem jemand getäuscht, betrogen wird.“

Screenshot

Medaille mit einer Stimme

Eine Medaille hat zwei Seiten, genauso wie eine schwarzweiße Welt. Das ist verdammt wenig, um unseren wunderbaren Blauen Planeten zu begreifen und zu beschreiben. 

Macht nichts, denkt man sich im ÖRR, und bedient sich mit dem simplen Trick der schlichten Zweiseitigkeit, wie neulich in der Tagesschau beim Bericht über Wahlen in Tschechien.  

„Bei der Parlamentswahl hat der Rechtspopulist und ehemalige Ministerpräsident Babiš mit seiner ANO-Partei einen deutlichen Sieg angefahren. Die Bewegung kommt auf 35% der Stimmen. Babiš geht als erklärte EU-Skeptiker und will künftig die nationalen Interessen des Landes stärker in den Mittelpunkt rücken. (...) Das Wahlergebnis bedeutet das Ende der liberal-konservativen Koalition unter Peter Fiala. (...) Fiala hat immer wieder gewarnt, dass die Wahl eine Richtungswahl zwischen Ost und West sei. Entschieden habe aber die Innenpolitik. (..) Sein (Babiš) Sieg stärkt Kräfte im Osten Europas, die Brüssel kritisch sehen, und durfte es damit auch der EU schwerer machen, gemeinsam mit einer starken Stimme zu sprechen.“

Aufkleber für die chinesische Stärke

Bereits in der Anmoderierung verwendet man den ersten Trick – ich nenne ihn Etikettierung. Babiš wird in erster Linie als Rechtspopulist vorgestellt, also einer, den man als eine zwielichtige Figur sehen soll. Dass er ein Ex-Premier war, erscheint weniger wichtig als das „richtige“ Etikett. Im Bericht ergänzt man die Vorstellung mit dem nächsten Aufkleber: EU-Skeptiker.

EU-Skeptiker oder EU-Kritiker sind zu Lieblingswarnzeichen geworden: ihnen darf man nicht glauben und am besten überhaupt nicht zuhören. Mit drin versteckt  sich eine weitere Gedanken-Verrenkung. Es wird nämlich suggeriert, dass die EU unantastbar sei und ihre Kritiker sich beinahe strafbar machen.

Der Bericht endet mit einem lauten Akkord: Politiker wie Babiš seien dafür verantwortlich, dass die EU nicht mit EINER starken Stimme spreche. Wie das beispielsweise in China üblich ist, wo die Kritik eben als eine strafbare Gefahr verstanden wird? 

Ich fürchte dagegen eine EU, die Kritik zu verhindert versucht und eine Zukunft als zentralistisches Monster auf chinesische Art anstrebt. Völlig schleierhaft erscheint mir dabei die Vorstellung, wie man Stärke durch Schwächung von den einzelnen Mitgliedsstaaten erreichen will. Derartiger Chor mag vielleicht mit einer Stimme singen, der Gesang wird aber keineswegs stark. 


Freitag, 3. Oktober 2025

3. Oktober: am Tag der deutschen Einheit zwischen Freiheit und Rechtfertigung

 Heute wird die Einheit gefeiert. Am 3. Oktober 1990  haben die Deutschen „in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet“ (Präambel des Grundgesetzes).

Dieser Tag strahlt vor Freiheit.

Hier stand die Berliner Mauer 1961 - 1989

Gegen das Volk

Viele riskierten ihr Leben für die Freiheit. Kurz vor dem Ende flohen Menschen massenhaft aus der DDR, aus einer Diktatur, die ihre Bürger im Land wie im Gefängnis einsperrte und überwachte. 

Die SED – Sozialistische Einheitspartei Deutschland – erschuf ein Regime des Unrechts. Sie zählte im Oktober 1989 2,3 Millionen Mitglieder, also 14% der Bevölkerung (16,43 Mio.).

Im Nachhinein wundert man sich, dass die relativ Wenigen über das ganze Volk bestimmten. Damit das Regime bestehen konnte, unterjochten die Machthaber eigene Bevölkerung mit Gewalt, Mord und Bespitzelung.

Merkel jammert uns etwas vor

Angela Merkel zeigt sich im letzten Interview mit Marietta Slomka bedrückt. Nein, nicht über das vergangene Unrecht. 

„Da zeigt sich etwas, was mich bedrückt und was viele Menschen in Ostdeutschland bedrückt, weil sie den Eindruck haben, dass sie vielleicht wie zwei monolithische Blöcke angesehen werden - die einen waren die Opfer, die anderen waren die Täter, aber dass überhaupt nicht gesehen wird, wie jeder einzelner Mensch sein Leben geführt hat.“

Sie will damit sagen, das System sei egal. Es gehe darum, wie man zurechtkomme. In meinen Ohren klingt das nach Verteidigung einer Mitläuferin. 

Ihre oft wiederholte Forderung, eine individuelle Lebensleistung anzuerkennen, und zwar unabhängig von den geschichtlichen Gegebenheiten, mutet mich befremdlich an. Darum geht es doch nicht. Sie klagt, weil sie den Eindruck habe, sich „immer wieder rechtfertigen zu müssen“, aber im Grunde versucht sie das Unrechtssystem auf diese Weise zu verharmlosen, also - es eben zu rechtfertigen.

Laut Merkel war das Leben in der DDR „ein Slalom um die Hürden“ unter widrigen Umständen. Aus derartiger Lesart der Geschichte erfährt man, dass man damals viele nützliche Dinge lernen konnte, „wie mit Unsicherheit umzugehen, zwischen den Zeilen zu lesen.“ Ähem?

Heute denken wir …

An heutigem Tag denke ich an Menschen, die mit der unmenschlichen Diktatur nicht einverstanden waren:

„Heute denken wir an alle Opfer des SED-Regimes, an die Ermordeten an der Mauer, an alle, die gefoltert und gequält wurden in den Kellern und Kerkern der Staatssicherheit in Bautzen und in Hohenschönhausen, an alle Bürgerrechtler, an die Demonstranten in Leipzig, die ihr Leben riskierten. Sie alle sind deutsche Helden. 

Wir denken an alle so freiheitsliebenden Deutschen im Osten, die so viel ertragen mussten und denen so viele Chancen verwehrt blieben. Sie sind die besten unter uns“, Max Mannhart auf „X“.

Donnerstag, 25. September 2025

UNO-Generalversammlung: Trumps Frage nach dem Zweck und Nawrockis Analyse

 „Welchen Zweck erfüllen Vereinigte Nationen?“ Diese Frage stellt Donald Trump vor der UNO-Generalversammlung. Er beantwortet sie selbst auf seine sehr direkte Art:

“All they seem to do is write a really strongly worded letter, and then never follow that letter up. It’s empty words — and empty words don’t solve war.”

Leere Worte, Worthülsen, Lippenbekenntnisse statt Taten und Verträge, die zum Frieden führen, Zelebrierung ersetzt echte Handlung. Trumps Kritik ist doch berechtigt, nicht wahr?

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Zerfallene Ordnung

Donald Trump weist auf das ungenutzte enorme Potenzial der UN hin. Dieses Potenzial hätte man für die Befriedung einsetzten müssen.

Das Hauptorgan – die Generalversammlung – besteht aus 193 Staaten. Bereits aus der Größe ergeben sich verständliche Erwartungen bezogen auf den Einfluss auf die Weltpolitik. 

Der polnische Präsident Karol Nawrocki liefert in seiner Rede vor der Generalversammlung eine gute Analyse des aktuellen Zustands: 
„Die russische Invasion auf die Ukraine ist nicht nur der folgenschwerste Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg, sondern auch ein Wendepunkt. Die bisherige internationale Ordnung zerfällt vor unseren Augen. Es beginnt eine neue gefährliche Ära, in der Großmächte miteinander rivalisieren, Regeln brechen und testen, wie weit sie gehen können, bevor jemand deutlich sagt: „Genug, Stopp!“. Das Prinzip der Souveränität? Immer häufiger mit Füßen getreten. Das Verbot der Aggression? Totes Recht. Anstelle von Gesetzen versucht man unverhüllte und brutale Gewalt anzuwenden. 

Wir befinden uns an einem Wendepunkt der Geschichte, Die heute von uns getroffenen Entscheidungen werden sich auf die nächsten Jahrzehnte auswirken. Dessen müssen wir uns alle bewusst sein. Denn wir alle tragen dafür die Verantwortung. Ebendeswegen müssen wir alle als Gemeinschaft demokratischer Staaten oder auf dem Weg in die Demokratie die aktuelle Situation als einen Kampf um Prinzipien verstehen. Die Einhaltung dieser Prinzipien kann über die Zukunft unserer Zivilisation entscheiden. Ich denke, dass dies der letzte Moment ist, um konkrete Maßnahmen zu ergreifen.“

Fest entschlossen

Ich wiederhole also Trumps Frage: Welchen Zweck erfüllen Vereinigte Nationen? Bereits aus der Präambel zur UN-Charta lassen sich die Ziele unmissverständlich herauslesen:

„Wir, die Völker der Vereinten Nationen – fest entschlossen, 

künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat,

unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen, ob groß oder klein, erneut zu bekräftigen,

Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können,

den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit zu fördern.“

Dass der Anspruch an der Realität scheitert, sieht man mit bloßem Auge. 

Mittwoch, 24. September 2025

Meinungsfreiheit zwischen Trump und Kimmel

 Erinnert Ihr Euch, wie Merkel vor fast zehn Jahren dem bis dato außerhalb von Deutschland unbekannten Komiker Jan Böhmermann zu internationalem Ruhm verhalf? Zwar war nicht sie persönlich das Ziel der Satire, dennoch handelte es sich um einen von ihresgleichen (Recep Erdoğan), also einen Machthaber. Ich schrieb damals:

"Sie (Merkel) übte sich auf einmal als eine Literaturkritikerin und interpretierte eindeutig den Inhalt. Das Werk von Böhmermann sei "bewusst verletzend", meinte Merkel und teilte ihr literarisches Urteil telefonisch dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu mit. In diesem Moment überschritt sie die Grenze zwischen einer immer subjektiven artistischen Ansicht und den konkreten politischen und rechtlichen Konsequenzen. Dieser Spagat ist eine Zerreißprobe. Sie hätte es sein lassen sollen.“

Der Fall Kimmel ist etwas anders gelagert, weil es um das Attentat auf Charlie Kirk geht, und sich Donald Trump eben auch persönlich angegriffen fühlt. Und doch entfaltet die Reaktion auf die Satire – die kurzfristige Absetzung der Show - die gleiche Wirkung. Jimmy Kimmel wird zum Weltstar. 

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Satire versus Macht oder umgekehrt


Wahrscheinlich sind sie – Satire und Macht – gleich alt. Im Mittelalter entwickelte sich eine besondere Form der Verspottung, die die Hofnarren repräsentierten. Sie genossen Narrenfreiheit und durften die Wahrheit dem König direkt in die Augen sagen. Allerdings riskierten sie dabei manchmal ihren Kopf – das Berufsrisiko sozusagen.  Einige gingen in die Geschichte ein, wie der polnische Hofnarr Stańczyk. Ob er so ausgesehen hat, wie auf dem Bild von Jan Matejko (oben), weiß man nicht. Und auch sonst ist wenig über ihn bekannt, obwohl er bereits zu Lebzeiten berühmt war und seine Sprüche die größten polnischen Schriftsteller zitierten. 

In einer Chronik wurde ein folgendes Ereignis beschrieben:
„Stańczyk ergriff die Flucht vor einem aus der Kiste freigelassen Bären, König Sigismund der Alte bemerkte dazu: „Du hast dich nicht wie ein Ritter (angeblich diente Stańczyk zuerst eben als Ritter), sondern wie ein Narr verhalten.“ Darauf antwortete Stańczyk: „Ein größerer Narr ist derjenige, der den Bären bereits in der Kiste hatte, aber ihn zu seinem eigenen Schaden freilässt.“ Während dieser Jagd stürzte tatsächlich die schwangere Königin Bona vom Pferd und verlor ihr Kind, was sich als folgenschwer für das weitere Schicksal der gesamten Dynastie und des Landes erwies. Das konnte Stańczyk zu der Zeit nicht wissen, dennoch glaubte man später an eine Prophezeiung.“

Mister President, be cool!


Zurück zur Gegenwart: Der Comedian trat gestern wieder auf. Die Spannung im Vorfeld war groß. Auch jene, die sonst nicht auf die Idee gekommen wären, schauten zu. „Jimmy Kimmels Tränen-Comeback“ - titelte die Bild ihren Bericht. Ja, die Tränen flossen auch. 

Obwohl ich nicht zu seiner Fangemeinde gehöre, stimme ich vorbehaltlos dieser Botschaft von Kimmel zu:
„Wenn wir keine freie Rede haben, dann haben wir kein freies Land. So einfach ist das.“
Lieber Donald Trump, das ist doch auch ihre Maxime, oder? Mister President, be cool!

Samstag, 20. September 2025

Der ÖRR und die Meinungsfreiheit

 Den Status der Beziehung zwischen dem ÖRR und der Meinungsfreiheit hätte man als sehr kompliziert beschreiben müssen. Den neuesten Beweis dafür liefert der Fall Ruhs. 

„All the President’s Men“ (1976), „State of Play“ (2009). Screenshots

Der NDR als ein Intrigantenstadl?

Julia Ruhs wurde vom NDR abgesetzt. Statt im Stillen zu weinen, posaunt die Journalistin aber ihren Rausschmiss auf allen Kanälen heraus. „Cicero-Online“ glaubt den Grund für die Entscheidung vom Rundfunk zu kennen: Es war „eine ideologisch motivierte Intrige aus den Reihen des NDR gegen eine Journalistin, die ihnen offenbar zu konservativ ist.“

In einem Interview mit „Cicero-Online“ bestätigt Julia Ruhs diese Sichtweise:

„Viele sagen seit Jahren: „Der ÖRR cancelt Stimmen, die nicht ins Weltbild passen.“ Und jetzt passiert genau das – in meinem Fall. (…)

Ich glaube, dass SPD und Grüne beim NDR sehr genau hingeschaut haben. Ihnen gefiel nicht, wie wir das Format umgesetzt haben. Also wurde die Ansage gemacht: Meinungsvielfalt ist schön und gut – aber wir bestimmen, wo sie aufhört.“

Die vierte krampfhafte Gewalt 

Medien spielen in einer Demokratie eine wichtige Rolle. Die Bundeszentrale für politische Bildung formuliert dies folglich:

„Medien wie Zeitungen, Fernsehen, Radio und Internet sollen einerseits über das Handeln des Staates und seiner Institutionen informieren. Andererseits aber kontrollieren die Medien durch ihre Berichterstattung auch das staatliche Handeln. Sie informieren, geben kritische Kommentare und regen dazu an, sich mit dem staatlichen Handeln auseinanderzusetzen. Diese Kontrolle der Regierenden durch die freien Medien ist ein wesentlicher Grundzug von demokratischen Gesellschaften.“
Es klingt in dieser Definition der alte Mythos nach, in dem sich ein Journalist (oder eine Journalistin) als ein unerschrockener Kämpfer (meist Einzelkämpfer) für die Wahrheit einsetzte und mit den Mächtigen anlegte. So ungefähr wie Bob Woodward und Carl Bernstein von „Washington Post“ – gespielt in „All the President’s Men“ von Robert Redford und Dustin Hoffman -, oder die fiktiven Figuren Cal McAffrey und Della Frye  - Russell Crowe und Rachel McAdams - aus dem Film „State of Play“ (neulich im Fernsehen wiederholt).

Diese Personen – ob echt oder nicht – sahen ihre Aufgabe in der Wahrheitsfindung. Ich wage zu behaupten, dass jenes Ziel heute nicht zu Prioritäten von Medien gehört. Vielmehr geht es darum, aus welchem Denklager die Wahrheit kommt, und ob sie nach der Feststellung ihrer Herkunft noch als solche gelten darf. 

Denn die vierte Gewalt will sich vor allem behaupten. Sie versteht sich nicht mehr als Kontrolleur der Macht, sondern als Mitspieler in dem Machtpoker. In diesem Sinne betreibt sie den Ablasshandel und bestimmt, wessen Stimme Gehör verdient und welche man bekämpfen muss. Deswegen mutiert sie zu einem undemokratischen krampfhaften Wesen, das vor allem um den Mammon und eigene Position kämpft. 

Dienstag, 16. September 2025

Polens Präsident Karol Nawrocki – ein Gast wie kein anderer

 Polens Präsident Karol Nawrocki hat sich heute mit Frank-Walter Steinmeier und Friedrich Merz getroffen. Die Themen standen noch vor dem Besuch fest: die Sicherheit und aktuelle Entwicklung an der NATO-Ostflanke, außerdem Reparationen für Kriegsschäden im II. Weltkrieg.

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Der Ton macht die Musik

In Polen hat man den rauen Ton der deutschen Medien registriert. Dass z. B. das „Handelsblatt“ Nawrocki als „einen unbequemen Gast“ und „rechten Nationalist“ bezeichnet.

Der Spiegel schlägt in die gleiche Kerbe und schreibt über „den polnischen Rechtspopulisten Nawrocki“. Die Zeitschrift beschäftigt sich im Vorfeld des Besuchs vor allem mit den aus deutscher Sicht ungerechten Forderungen und titelt den Artikel entsprechend: „Polen fordert Reparationszahlungen – und Deutschland bietet Sicherheitsgarantien.“ 

Die Gastgeber selbst – Präsident Steinmeier und Kanzler Merz – zeigten dem Gast dagegen Freundlichkeit und Respekt.

Abschließend geklärt?

Laut letzter Umfrage befürwortet die Mehrheit - 54% - von Polen Nawrockis Forderungen nach Reparationen. Anders als die aktuelle polnische Regierung von Donald Tusk, die die deutsche Sichtweise übernimmt.

Für Frank-Walter Steinmeier sei „diese Frage aus deutscher Sicht rechtlich abschließend geklärt“. 

In der Pressemitteilung vom Bundeskanzler Merz kommt das Reizwort überhaupt nicht vor, stattdessen betont man die wichtige Rolle des Nachbars:
„Der Bundeskanzler würdigte Polen als wichtigen europäischen Nachbarn und engen Freund Deutschlands. Polen spiele eine Schlüsselrolle in der Europäischen Union und bei der Stärkung des europäischen NATO-Pfeilers. Die Versöhnung mit Polen nach den Gräueln des Zweiten Weltkriegs und der deutschen Besatzung zu befördern, bleibe für die Bundesregierung historische Verantwortung."

Abstrakte Vorstellungen

Gestern erschien in der polnischen Zeitung „Rzeczpospolita“ eine interessante Meinung zu diesem Thema von Marek A. Cichocki, einem polnischen Philosophen und Politikwissenschaftler. Seine Hauptthese lautet: Reparationen können über die deutsch-polnischen Beziehungen entscheiden. Er konstatiert, dass man in Berlin immer noch nicht den radikalen Wechsel der polnischen gesellschaftlichen Stimmung bemerkt hat.
„Die Frage der Reparationen, Entschädigung und Wiedergutmachung hat angesichts der fürchterlichen Verbrechen und Zerstörung, die Polen während des Zweiten Weltkriegs durch Deutschland erlitten hat, ein enormes moralisches und emotionales Potenzial in den polnisch-deutschen Beziehungen. Die Versäumnisse der deutschen Seite bei der Wiedergutmachung sind enorm und offensichtlich. Es stimmt  auch nicht, dass deutsche Politiker dessen nicht bewusst sind. Aus diesem Grund reagieren sie derart emotional und nervös auf die polnischen Forderungen und fürchten vor allem Imageverluste. Der „Reparationsdruck” ist aber deshalb nicht nur ethisch richtig, sondern auch ein notwendiger und wesentlicher Bestandteil der polnischen Politik gegenüber Deutschland bei der Verwirklichung konkreter Ziele. Und es gibt absolut keinen objektiven, rationalen Grund, warum Warschau darauf verzichten sollte, nur im Namen irgendwelchen abstrakten Vorstellungen von einer „polnisch-deutschen Interessengemeinschaft”.

Sonntag, 7. September 2025

Deutschlands Finanzpolitik oder das Kasino der Politik

 Prof. Lars Feld wirft der aktuellen Regierung vor, die verfehlte Finanzpolitik der Vorgänger fortzuführen.*) Aus seiner Kritik lässt sich aber herauslesen, dass er genauso an Behauptungen und Überzeugungen festhält, die schon in der Vergangenheit versagt haben. Wer jetzt denkt, dass ich die Merz-Regierung und besonders ihren Finanzminister verteidigen will, der irrt gewaltig.


Fundamentaler Fehler

Der Bundeshaushalt und die Finanzpolitik wirken mutlos, schreibt Lars Feld. In diesem Punkt hat er recht. Wenn Lars Feld echte Reformen verlangt, stimme ich ihm auch zu. Der Teufel steckt aber im Detail. Von der Forderung nach Entwirren, Umbau und Einsparrungen in den staatlichen Strukturen geht der Wirtschaftswissenschaftler nahtlos zur „Kürzung familienpolitischer Transfers“ über, als ob es um die gleiche Materie ginge. 

Es ist einfach falsch zu glauben, dass der Staat reich bleibt und der Wohlstand erhalten, wenn immer mehr Bürger in die Armut abrutschen. Dieser perverse Gedanke bildet das verfaulte Fundament der hiesigen Politik seit Jahrzehnten (ungefähr seit Einführung Hartz-Gesetze). Dafür hetzt man auch genauso lang verschiedene Gruppen oder Schichten der Gesellschaft gegeneinander: meistens diejenigen in der Mitte gegen jene ganz unten. Dabei übersieht man geflissentlich, dass von dem „sozialen“ Geld ganz wenig unten ankommt, weil das meiste davon dem Erhalt des Systems – also der Bürokratie des Staatsapparats – dient.  

Vom Kopf auf die Füße

Prof. Feld definiert Finanzpolitik folglich:
„Die Finanzpolitik hat vielfältige Aufgaben. Ausgabenwirksame öffentliche Leistungen müssen finanziert werden. Wenn der Staat tut, was er soll, korrigiert er dadurch Marktversagen, stellt öffentliche Güter, wie die Landesverteidigung, und Infrastruktur bereit – nicht zuletzt als Vorleistung für private Investitionen. Hinzu kommen Verteilungsziele, die in der Sozialen Marktwirtschaft deutscher Ausprägung in den Sozialversicherungen und der Grundsicherung verfolgt werden. Schließlich hat die staatliche Finanzpolitik eine makroökonomische Stabilisierungsfunktion. Zur Finanzierung dieser Aufgaben erhebt der Staat Steuern, Beiträge und Gebühren, die so ausgestaltet sein sollten, dass möglichst wenige Verzerrungen privater Investitions-, Arbeitsangebots- und Konsumentsentscheidungen auftreten. Über größere Zeiträume werden diese Verzerrungen minimiert, wenn außerordentliche Ausgabenbedarfe temporär durch Verschuldung finanziert und so die Steuerlasten über die Zeit geglättet werden.“
Der Staat soll also das Marktversagen korrigieren. Demnach ist der Markt fehlerhaft und braucht Kontrolle. Die Verteilungsziele erscheinen aber in dieser Definition wie eine ungewollte Last, auf die man am liebsten verzichtete. Das ist ein verkehrtes Bild. Die Verteilung (oder eher Umverteilung) findet in jedem Moment statt: Wenn ein Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für seine Arbeit so wenig zahlt, wie in Deutschland, dann verteilt er (verteilt er um) schon das Erwirtschaftete ungerecht zu seinem Vorteil. 

Stellen wir also das Bild auf die Füße. Die gerechte Verteilung ist in einer Demokratie entscheidend. Sonst mutiert die Finanzpolitik zum Spiel in einem politischen Kasino.

Sportlicher Staat

Ein Staat muss schlank, sozusagen sportlich sein. Gleichzeitig braucht man extrem kurze Entscheidungswege. Wie passt das zusammen? Sehr gut, unter folgenden Voraussetzungen: 

    - radikaler Abbau der Bürokratie, besonders notwendig ist eine extreme Verschlankung des Staatsapparats (denn ein aufgeblähter Staat beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Selbsterhalt, also Selbsternährung), 
    - zum Minimum reduzierte Vorschriften: was nicht verboten ist, gilt als erlaubt,
    - die Daseinsvorsorge bleibt in der staatlichen Hand, private und genossenschaftliche Säulen werden gleichgestellt.
    - das Bedingungslose Grundeinkommen wird eingeführt, was die große Armee von Bürokraten und Anwälten, die sich mit dem Thema Bürgergeld oder Grundsicherung herumschlagen und davon leben, überflüssig macht. Genauso wie Arbeitsamt und Jobcenter. Diese Institutionen sollte man auflösen.
    - durch die direkte Demokratie, also Volksentscheide, wird die Richtung kontrolliert und eventuell korrigiert.


*) Lars Feld: „Solide Haushaltspolitik sieht anders aus“, FAZ Nr. 197, 26.08.25.

Freitag, 5. September 2025

Liebe auf Norderney. Der Spirit. Teil 3

 Pathetisch könnte man sagen, dass Norderney von der Liebe geformt wurde. Denn in der Zeit von Georg und Marie blühte die Insel auf. 


Mit dem Herzen und Geist

Das Paar leitete in die Wege viele Projekte und zog andere Gäste an. Auch die Zahl der Einwohner stieg an. 

Unter anderem wurde das Kurhaus (heute: Conversationshaus) ausgebaut.


Das gläubige Paar spendete auch für die alte Inselkirche, deren Geschichte bis in das XVI Jahrhundert reicht.
„Durch eine Spende des Kronprinzenpaares aus Hannover kam die Gemeinde zu einer neuen Glocke, der „Marienglocke“. Für die Glocke wurde ein neuer Turmaufsatz auf dem alten Westturm errichtet. Vorher stand westlich der Kirche ein offenes Holzgerüst, das das Geläut getragen hatte. Der Turmaufsatz ist vergleichbar mit dem Turm des Kurhauses, der 1856 errichtet worden ist.“



Die Kirche, in der Georg und Marie beteten, wurde zwar 1878 abgerissen und ein Jahr später die neue eingeweiht (letzter Umbau und umfassende Renovierung fand zwischen 1967 und 1970 statt), aber ihre Ausstattung erinnert an die alten Zeiten, zum Beispiel der Altar und das weiße Segelschiff.   
"Dieses Gemälde wurde schon 1843 im Inventarium der alten Kirche aufgeführt. Der Maler und die Herkunft dieses Bildes sind nicht bekannt."

"Das weiße Schiff mit den vollen Segeln wurde bereits 1808 in der alten Inselkirche aufgehängt. Es wurde von E. H. Rass gebaut. Es ist ein dreimastiges, bewaffnetes Handelsschiff mit 34 Kanonen."

Alt ist auch der Friedhof vor der Kirche, die Bestattungen fanden hier bis zum Jahr 1850 statt.


Die Musik in der Inselkirche klang zu den Zeiten von Georg und Marie anders. Sie hörten eine Orgel, die im Jahr 1842 von Arnold Rohlfs aus Esens erbaut wurde. Die heutige stammt aus dem Jahr 2008, der Orgelbauer heißt Harm Kirschner. 


Ich lausche einer Übung: 


Was wäre, wenn ….

… Georg und Marie heute gelebt hätten? Ich gehe jede Wette ein, dass sie mit ihrem Geld (falls sie welches noch hätten) nicht protzen würden. Das taten sie auch damals nicht. Sie galten als bescheiden. Georg äußerte sich am 14. Januar 1857, als er in die Großloge der Freimaurer aufgenommen wurde, folglich: 
„…ich fühlte, dass ich das Privileg erwerben müsste, von Ihnen ein ´Bruder´ genannt zu werden.“
Danach feierte man gemeinsam:
„Mit dem königlichen „Bruder“ speisten 460 hannoversche Freimaurer und zelebrierten diese freimaurerische Mischung von Ernst und Frohsinn rituell nach altem Brauchtum. Anschließend traten sie mit dem neu aufgenommenen König in eine so genannte „Bruderkette“ der Hände, die symbolisch eine „Bruderkette der Herzen“ sein soll. Ohne Rang- und Standesunterschied idealisiert sie noch heute enge Verbundenheit und Vertrautheit. Die „Bruderkette“ symbolisiert auch Gleichheit, denn eine solche Kette kennt kein „Oben“ und „Unten“, keine Hierarchie.“
Übrigens, ich habe das Paar ganz zum Schluss auf Norderney gesehen. Nein, es waren keine Geister, sondern ein Paar wie Georg und Marie, das an mir vorbei händchenhaltend schritt. Der Mann ertastete sich den Weg mit einem Blindenstock. 




Vorausgehend:        Teil 1
                          
                              Teil 2