Freitag, 17. August 2018

Was, wenn wir tatsächlich „Aufstehen“?

Ich hätte mir so sehr gewünscht, dass wir unseren Pawlow zu Hause lassen (wie es Norbert Walter-Borjans auf Twitter formuliert) und aufhören, reflexartig zu reagieren. Eine Diskussion setzt doch voraus, dass wir wenigstens ansatzweise auf die Argumente der Gesprächspartner eingehen. Privat, wenn es um Freunde und Bekannte und unsere Familie geht, umschiffen wir eher die gefährlichen Themen mit hohem Streitpotenzial. Es wird sogar behauptet, dass wir uns nur mit solchen Menschen umgeben, die die gleiche Meinung vertreten. An unseren Positionen halten wir unversöhnlich fest, wie ein Besoffener an der Laterne.


Sahra Wagenknecht, die charismatische Anführerin 

der Sammlungsbewegung „Aufstehen“. Eigenes Foto

Flatternder Schmetterling


Noch sammelt die neue Bewegung „Aufstehen“ die Interessierten, noch steht der richtige Start bevor, schon wissen ihre Gegner besser als die Schöpfer selbst, worum es genau geht, und rufen zur Attacke auf. Was ist das für ein Mechanismus, der eine genaue Prüfung der Tatsachen und Ereignisse scheut? 

Vor allem handelt es sich um die Angst. Der deutsche Michel sei eben ängstlich, beteuern nicht wenige Kenner der Materie. Den Veränderungen stehe er sehr misstrauisch gegenüber, obwohl er danach theoretisch verlangt. Es solle aber dabei weiter so laufen, wie gehabt. Wahrscheinlich, weil ihm der letzte radikale Umbruch bis heute übel aufstoße.

Zudem sei der Michel nicht gewillt, auf die Etiketten zu verzichten. Einmal drauf geklebt, sollen sie auf den Schubladen bleiben, geschehe, was da wolle. „Ordnung muss sein“ gehöre nämlich zu seinen wichtigsten Leitsätzen. Die Welt ähnle für ihn einem aufgespießten und nicht frei flatternden Schmetterling. Sortiert und beschriftet.

Im groben Rahmen


Genug Klischees!  Zurück zum Aufstehen. Die Bewegung sammelt tatsächlich sehr unterschiedliche Leute mit diversen politischen Vorstellungen. Das gefällt mir. Ich halte wenig von der Eintönigkeit der chinesischen Terrakotta-Armee.  Und dass „Aufstehen“ eine Alternative zur AfD bieten will. Umso besser! Ich teile auch die Analyse von Oskar Lafontaine:

„Die AfD hätte die heutige Stärke nicht, wenn die anderen Parteien die sozialen Interessen beachtet und Renten und soziale Leistungen nicht gekürzt hätten.“


„Die Menschen wollen anständige Löhne, ordentliche Renten, angemessene Steuern für Konzerne. Für all das gibt es in der Bevölkerung eine Mehrheit, im Bundestag nicht.“ 

Im diesen grob skizzierten Rahmen werden sich viele von uns bestimmt wiederfinden. Der Teufel steckt aber bekanntlich im Detail. 

Falscher Akzent


Ich habe sehr gemischte Gefühle, vorsichtig ausgedrückt, bei der folgenden Aussage von Sahra Wagenknecht:

„Natürlich gibt es heute noch mehr Konkurrenz um Wohnungen und Jobs. Studien belegen: Ohne Zuwanderung hätte der lange Aufschwung in Deutschland zu einem viel stärkeren Lohnwachstum in den unteren Lohnsegmenten geführt.“ 

Sind wir, Migranten, schon wieder für alles schuld? Moment mal, lasse ich soeben meinen Pawlow raus? Also gut, ich versuche mir die obige These unvoreingenommen anzuschauen. Wagenknecht stellt eine stärkere Konkurrenz auf den sozusagen unteren Etagen der Gesellschaft fest. Liegt sie falsch? 

Ich hole jetzt etwas weit aus: Diejenigen, die hierher kommen, egal aus welchem Grund, brauchen meist etwas Zeit, um zu verstehen, wie und was hier läuft. In dieser anfänglichen Phase sind sie verwundbar, sie sind eine einfache Beute für jede Sorte von gewissenlosen Ausbeutern. Wie dieses Phänomen im großen Stil vonstattengeht, zeigten uns die Ereignisse nach der Wiedervereinigung. Obwohl hier keine Sprachschwierigkeiten im Spiel waren, sondern lediglich der falsche Akzent. Vorsicht, Ironie!

War meine reflexartige Reaktion demnach falsch? Hat Sahra Wagenknecht in diesem Punkt recht? Jein! Ihre Äußerung hinterlässt bei mir einen bitteren Nachgeschmack. Ich vermisse hier eine eindeutige Schuldzuweisung. Wir, die hierher kommen, sind doch nicht daran schuld, dass ihr eure Politiker nicht am Schlafittchen packt und kräftig durchschüttelt, damit sie mit solch einem Mist – zum Teil wirklich kriminell – endlich aufhören. Und wo, bitte schön, sehen wir in diesem Punkt den Unterschied zur AfD?

Deswegen  überlege ich mir sehr genau, ob ich aufstehe, oder doch lieber sitzen bleibe.

Freitag, 3. August 2018

Abschied von der Leistungsgesellschaft

Gab es schon überhaupt eine Leistungsgesellschaft? Dessen bin ich mir nicht so sicher. Sollte sie aber bereits existiert haben, müssen wir heute von ihr Abschied nehmen.


                                                     Das Leistungsprinzip verlor längst seine Gültigkeit

Selber schuld!


Während Madeleine Albright (eben meldet sie sich zu Wort mit einem Buch über Faschismus) den alten Eliten, die zunehmend an Einfluss verlieren, nachtrauert,  beschuldige ich jene Eliten der Misere, in der wir stecken. Die sogenannten Eliten nutzten ihre Position, ihr Wissen und Können um ihre Macht zu befestigen, um sich abzuschotten. Selbstgefällig und arrogant verloren sie dabei jedes Maß. Der Rechtsruck geht auf ihr Konto. Selber schuld!

Unser Recht auf Widerstand


Theoretisch müsste ihr Wissen über Geschichte dafür reichen, sich die Konsequenzen der Ausbeutung von Massen vorzustellen. Es endete doch stets - und zwar nicht erst seit der Französischen Revolution – mit mehr oder weniger gewalttätigen Auseinandersetzungen. 

Heute schreibt das wunderbare deutsche Grundgesetz das Recht auf Widerstand im Artikel 20, Absatz 4 fest:

„Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“

Mit „dieser Ordnung“ ist folgende Darstellung gemeint (Absatz 1 desselben Artikels):

„Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“

Da nähern wir uns soeben dem Ursprung der Misere. „Diese Ordnung“ vermissen wir heute. Die ganzen Schichten von der Teilhabe an politischen und gesellschaftlichen Leben auszuschließen, hat weder mit der Demokratie noch mit einem sozialen Staat etwas zu tun.

Schade eigentlich


Welche Antwort auf die durchaus beunruhigende Entwicklung gibt die politische herrschende Klasse, die sich anmaßt, eine Elite zu sein? Sie will einfach weiter so machen, weil es so gut gelaufen ist (Vorsicht, Ironie!). 

Die Weiter-so-Politik will angeblich an der Leistungsgesellschaft festhalten. 

Moment mal! Dafür hätten wir eine faire Beurteilung und Behandlung - eben nach der Leistung - gebraucht. Und keine feudalen Strukturen, die wir überall vorfinden. 

Weil es hier keineswegs die Leistung entscheidet, sondern die Herkunft, die Position in der Hierarchie, das Vermögen. 

Das Leistungsprinzip verlor längst seine Gültigkeit. Schade eigentlich.

Ich behaupte einfach, dass eine Leistungsgesellschaft ohne Gerechtigkeit und gleiche Chancen absolut unmöglich ist. Außerdem hätte sie nie eine Leistung von denjenigen verlangt, die nicht in der Lage sind, etwas zu leisten. Um die würde sie sich einfach kümmern. Auch eine Leistung.