Mittwoch, 21. Dezember 2022

Was ist Wohlstand und wie viel?

 Die obige Frage ist berechtigt, denn nicht mal die Wirtschaftswissenschaftler konnten sich auf eine allgemein gültige Definition einigen. Dabei erscheint die Antwort darauf umso wichtiger, da sie die Weichenstellung für die Zukunft bedeutet. Außerdem behauptet man, dass dieser undefinierte Wohlstand jetzt bedroht sei und wir ihn verteidigen müssten. 

                                                    Wie wollen wir als Gesellschaft den Wohlstand  bestimmen?


Wohl und unwohl

Zurück zur Frage: Wie wollen wir als Gesellschaft den Wohlstand  bestimmen? Geht es darum, dass sich jede und jeder einzelne wohl füllt? Oder zählt nur das Wohlergehen von der Mehrheit der Gesellschaft – nicht alle also, nur die meisten. 

„Das ist aber undemokratisch!“, werden einige protestieren.

Gewiss, dennoch ist das der Stand der Dinge und zwar noch aus der Zeit vor der Pandemie und vor dem Ukrainekrieg. Es schien uns als Gesellschaft nicht wirklich gestört zu haben, dass die Zahl der Armen wuchs und wuchs. 

Die Armut hat viele Gesichter: Obdachlose, Tafel-Gänger, Hartz-IV-Empfänger, Alleinerziehende, Rentner. Sie füllen sich ausgeschlossen, weil sie am gesellschaftlichen Leben nicht teilnehmen können. Denn für die Armen dreht sich alles ausschließlich um die nackte Existenz. 

Unsere Repräsentanten – die Politiker an der Macht – haben leider in der Vergangenheit dafür gesorgt, dass sich das Elend verfestigt und ausgedehnt hat, indem sie den Lohnniedrigsektor nicht nur erlaubten, sondern auch mächtig erweiterten. Sie nutzten dafür nicht selten auch das antidemokratische Instrument des Zwangs (wie Hartz IV). 

Es war demnach der politische Wille, dass sich relativ große Teile der Gesellschaft ganz unwohl füllen. Was verstehen wir also unter Wohlstand?  Das ist doch eine Frage nach unserer gemeinsamen Zukunft. 

Ich wähle jetzt aus den Bestandteilen des Wohlstands zwei für mich wichtigste Punkte. Hier sind sie:


Dach über dem Kopf

Wie wahrscheinlich für die meisten von uns stand und steht für mich auf der ersten Stelle das Heim: eine Wohnung, ein Haus oder wenigstens ein vorübergehendes Obdach. Demnach erscheint mir die Obdachlosigkeit als das schlimmste Übel und mit dem Wohlstand einer Gesellschaft absolut nicht kompatibel. Und dennoch leben viele Obdachlose in dem reichen Deutschland. Warum wurde das Problem noch nicht gelöst?

Im ersten Wohnungslosenbericht der Bundesregierung vom 8.12.22 wird die Zahl der Obdachlosen mit 263.000 Personen angegeben. Die Dunkelziffer liegt bestimmt viel höher. Dem gegenüber steht ein deutlicher Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Die Antwort darauf müsste deshalb lauten: bauen! Das kostet jedoch nicht nur viel Geld, sondern auch Zeit.

Bevor wir genügend Wohnungen zur Verfügung stellen, sollten wir uns daher um temporäre Lösungen kümmern: Container, Baracken und ähnliches (vielleicht im Wettbewerb von Architekturstudenten projektiert, unbedingt energiesparend), außerhalb von Großstädten, wo der Platz knapp ist. Darüber hinaus brauchen die Betroffenen psychologische Beratung, Suchthilfe und andere unterstützende Angebote im Alltag.

Ist das zu viel verlangt? Nicht, wenn wir uns an unsere Werte halten wollen.


Sträflich vernachlässigt

Mein zweiter Wohlstands-Punkt ist die Bildung. Wie wir mit den Kindern umgehen, so wird unsere Zukunft aussehen. Denn sie sind doch unsere Zukunft. Daher wäre es einfach klug, in die Bildung zu investieren und für die Chancengleichheit zu sorgen, weil Talente und womöglich auch Genies in allen Schichten vorkommen. 

Die Realität der Bildungspolitik sieht aber ganz anders aus. 

"Vergangene Regierungen haben es leider sträflich vernachlässigt",  schreiben FDP-Politikerinnen Ria Schröder und Gyde Jensen in der „WirtschaftsWoche“.

Die Ampel-Regierung will das ändern.

"4000 Schulen in ganz Deutschland sollen durch ein Investitionsprogramm zu bunten, modernen, top ausgestatteten Lernzentren werden", schreiben weiter die Autorinnen.

Schön und gut. Zurzeit fehlen jedoch laut des Deutschen Lehrerverbands bis zu 40.000 Lehrer und Lehrerinnen deutschlandweit. Und wieder brauchen wir schnelle provisorische Lösungen. Wie wäre es, wenn man stundenweise Lehramt-Studenten der letzten Semester einstellen würde. Oder  überhaupt Studenten?

Alle zukünftigen Reformen werden dennoch verpuffen, wenn die Willkür aus den Schulen nicht verbannt wird. Jene Willkür, die durch Diskriminierung und Rassismus entsteht. Durch eine ungerechte Behandlung werden Schüler ihrer Chancen beraubt. Ein Mittel dagegen wären anonyme Tests als die Grundlage der Abfrage vom Wissen und der Benotung.  

Außerdem hätte ich aus dem schulischen Gebrauch den Begriff „bildungsferne Familie“ endgültig gestrichen. Ein Lehrer, der auf die Familie seine Aufgaben abschiebt, sollte dringend den Beruf wechseln.

Sonntag, 13. November 2022

Unverhoffter Schatz und Krone auf dem Schutthaufen – eine ziemlich chaotische Geschichte

 Ein nüchterner Bürger oder eine nüchterne Bürgerin rechnet nicht damit, einen Schatz zu finden, insbesondere aufgrund der Tatsache, dass sie nicht danach suchen. Das ein oder andere Mal liegt der Schatz aber wirklich auf der Straße. Oder etwas drunter.


Lange Schatz-Strähne in einer polnischen Kleinstadt

Wessen Macht die oben abgebildete Krone bezeugt, wissen wir nicht. Zum großen Teil sind dafür die chaotischen Umstände ihrer Entdeckung verantwortlich. Sie wurde nämlich auf einem Schutthaufen gefunden. Diese Geschichte hat einen langen Anlauf. 

Übrigens, das Wort "Krone" bedeutet auf Lateinisch (woher der Begriff kommt) einen Kranz. Daraus entwickelte sich dieses glitzernden Kopfschmuck: die Kränze und Hüte symbolisierten in unterschiedlichen Kulturen die Herrschaft

Die Story beginnt im Jahr 1976. Damals haben Arbeiter hinter der Uhr im Rathausturm in Środa Śląska (Neumarkt) in Polen eine alte Metalldose gefunden. Drinnen befanden sich hunderte von Münzen und mit Lack versiegelte Dokumente. Zwei Jahre später sollten beim Bau des Pfarrhauses angeblich weitere Entdeckungen von Münzen und Schmuck folgen. Dennoch schien der unerwartete Fund niemanden außer seinen Entdeckern zu interessieren. Keine Institution wurde infolgedessen tätig. Zur Erinnerung: In Polen herrschte zu der Zeit (bis 1989) der sogenannte Realsozialismus.

In 1985 beförderte ein Bagger in der Altstadt von Środa Śląska aus den Tiefen der Erde einen zerbrochenen Tonkrug mit tausenden von Münzen. Ein wahrer Schatz. Diesmal sicherten ihn – oder eher die übriggebliebenen Reste (viele Einwohner „halfen“ davor bei den Ausgrabungen) – die Miliz, wie sich die damalige Polizei nannte, und Funktionäre des polnischen Stasi. Sie verfügten über keine nötigen Kenntnisse und gingen entsprechend unbekümmert mit der Entdeckung um. So haben sie allen Arbeitern dieser Baustelle je eine Silbermünze geschenkt. 



Unterm Schutz der Dunkelheit führten tüchtige Bürger die illegalen Ausgrabungen fort. Niemand wusste, was gefunden und mitgenommen wurde.

Erst am nächsten Tag informierte man den Direktor des Archäologischen Museums in Wrocław,  Jerzy Lodowski. Er schaute sich die Gegend an, packte die gefundenen Münzen ins Auto und fuhr zurück nach Wrocław. Dort hat man sich viel Zeit gelassen. Nach ein paar Wochen schaute man sich den Fund an und zählte nach: 3424 Münzen mit dem Gesamtgewicht 12,7 kg.


                                                 Muzeum Narodowe we Wrocławiu (Nationalmuseum Breslau)


Dosenschinken Made in Germany

Nach drei Jahren, im Frühling 1988 (ein Jahr vor der polnischen Wende), stießen Bauarbeiter in der Daszyński-Straße wieder auf historische Kostbarkeiten, als ob die Kleinstadt auf lauter Schätzen gesessen hätte. 

Diesmal ging es richtig wild zu. Einwohner sprangen in die Baugrube aufeinander und rissen sich die glitzernden Münzen aus den Händen. In diesem Zusammenhang muss man die sogenannten äußeren Umstände erwähnen: das im Jahr 1981 verhängte Kriegsrecht hat das Land um Jahrzehnte zurückgeworfen.

Der Entdeckungsort wurde auch diesmal nicht abgesperrt  und Spezialisten haben keine weitere Grabungen geführt, nur die bereits gefundene Münzen nach Wrocław abtransportiert. Die Bauarbeiter durften einfach weitermachen.

Unterdessen wühlten Leute im ein paar Kilometer vom Zentrum entfernten Schutthafen, wohin man die Bauabfälle abtransportierte. Sie wurden auch fündig. 

Die Stadt zog inzwischen unzählige Antiquare und Touristen an, auch aus Deutschland. Jene boten für die kostbaren Münzen und Kleinode im Tauschhandel Dosenschinken, Kaffee und Süßigkeiten Made in Germany.


Räuber und Retter

Auf der schatzträchtigen Müllhalde tummelten sich hiernach die Retter und die Räuber. Und manchmal waren das dieselben Personen.  

Zuerst durften auch Schulkinder an ihrem freien Tag den Abfall durchwühlen, dann merkte man die pädagogische Fragwürdigkeit dieses Vorhabens und untersagte jene Mithilfe. Dafür erschienen zahlreiche Milizionäre, die die ramponierte Halde dursiebten. Die Museumsmitarbeiter schauten auch vorbei. Und natürlich unzählige „Privatfahnder“. 

Nach der Wende 1989 bemühte man sich den Jahrtausendschatz, wie man ihn getauft hat, zu sichten und die von „Hobby-Archäologen“ mitgenommenen Antiquitäten zurückzuerlangen. 

1995 beendete das Nationalmuseum in  Krakau (Muzeum Narodowe w Krakowie) die Restaurationsarbeiten. Im Jahr 2017 erneuerte man die Krone; dabei vervollständigte man sie mit den in der Zwischenzeit zurückgewonnenen Elementen.



Reichtum des Königs

Die turbulente Geschichte der Entdeckung erklärt, warum man keine eindeutigen Aussagen über die Besitzer des Schatzes machen kann. Die Qualität von Kleinoden lässt jedoch vermuten, dass sie zum königlichen Vermögen gehörten. Wie kamen sie aber nach Środa Śląska (Neumarkt)? 

Höchstwahrscheinlich stammen diese Kostbarkeiten aus der Schatzkammer des Königreichs Böhmen in Prag und wurden um das Jahr 1350 bei den hiesigen Juden verpfändet. Zu jener Zeit herrschte Karl IV. Seit kurzem (ab 1335) auch über das Herzogtum Breslau (Księstwo wrocławskie), also auch über Środa Śląska. Davor waltete über das Land die polnische Piasten-Dynastie.

Vermutlich versteckten die verpfändeten Schätze nachher die neuen Besitzer, die während des Pogroms 1349 um ihr Leben fürchten mussten und deswegen geflüchtet sind. 

Heute kann man sie in Wrocław in Muzeum Narodowe (Nationalmuseum Breslau) bewundern.



Fotografiert in: Muzeum Narodowe we Wrocławiu (Nationalmuseum Breslau)

Mittwoch, 19. Oktober 2022

Japanischer Garten in Wrocław – der wandelbare und beständige

 Auf der Suche nach einem Ort der Entspannung erfand der Mensch den Garten. Von der mehr oder weniger hektischen und alltäglichen Umgebung abgegrenzt, ermöglicht dieser Platz Erholung oder Ablenkung. Warum sonst geht Ihr dorthin?


Ferner Traum zur Feier des Tages

Japanischer Garten in Wrocław (Breslau) hat eine lange deutsch-polnische Geschichte, die mit der Jahrhundertausstellung 1913 beginnt. 

„Bau und Ausrichtung der Jahrhundertausstellung sowie der Feierlichkeiten kosteten die Stadt Breslau insgesamt 7 Mio. Reichsmark. Für die Gestaltung des Ausstellungsgeländes setzte sich der Entwurf des bekannten Architekten Hans Poelzig (1869 – 1936) durch. Die zunächst als Ausstellungshalle geplante spätere Jahrhunderthalle wurde von Max Berg (1870 – 1947) gebaut und war damals ein Meisterstück der Ingenieurskunst.“

Zur Feier des Tages dachte sich Graf Fritz von Hochberg eine besondere Attraktion aus. Geholfen hat ihm dabei der japanische Gärtner Mankichi Arai. Pünktlich zur Jahrhundertausstellung wurde der Japanische Garten eröffnet. 








Garten, Politik und die Flut

Die obigen Bilder bezeugen die vergangene Historie wohl kaum. Denn nach der Ausstellung wurde der Japanische Garten abgebaut und vergessen. Geblieben sind lediglich Pfade, einige japanische Pflanzen und der Teich. Im inzwischen polnischen Wrocław erinnerte man sich an die Einrichtung erst im Jahr 1974. 

Der Vorsitzende der kommunistischen Partei PZPR (Polnische Vereinigte Arbeiterpartei) und somit der Chef des Staates hieß damals Edward Gierek. Er weckte zu Beginn seiner Herrschaft (ab 1970) die Hoffnung auf die Normalisierung der Verhältnisse mit dem Westen. 

Davon schien auch der Garten zu profitieren: der Teich wurde mit Wasser aufgefüllt und Kaskaden angelegt. Der Wind der Geschichte drehte sich jedoch bald wieder und japanische Fleur passte nicht mehr ins Programm. Nach der Wende erinnerte man sich an den Garten wieder. Die Stadtoberhäupter von Wrocław richteten eine Bitte um Hilfe bei der "Wiederbelebung" an den japanischen Botschafter in Warschau. Die Bitte wurde erhört und Yoshiki Takamura gestaltete den Garten aufs Neue.

1997 zerstörte den Garten die Flut.*) Zwei Jahre  später wurde er aber wieder eröffnet. 

Heute kommen hierher ganze Familien, Verliebte und andere Touristen.






Die Besucher schlendern über die Fußwege, setzen sich auf die Bänke, oder starren auf den Teich. Dort leben Kois.









Das Beobachten von Fischen wirkt tatsächlich entspannend, nicht wahr?


*) Die polnische Netflix-Serie „Wielka Woda“ (gestartet Anfang Oktober) erinnert an diese Zeit.

Sonntag, 16. Oktober 2022

Pitcairn - das verkehrte Paradies

 Das Stück „Morgen kommt die Queen“ („Jutro przypłynie królowa“), gespielt soeben im Zeitgenössischen Theater in Wrocław (Uraufführung 2019), präsentiert eine fiktive Geschichte, die aber auf wahren Begebenheiten fußt. Maciej Wasielewski, Journalist und Autor, hat sie aufgeschrieben und 2013 veröffentlicht (Das Buch ist inzwischen vergriffen). Krzysztof Szekalski (Adaption) und  Piotr Łukaszczyk (Regie) erschufen aus diesem Material ein gelungenes Spektakel.  

       Zeitgenössisches Theater (Teatr Współczesny) 
        n Wrocław


Willkommen im Paradies?

Die Bühne befindet sich im dritten Stock des Theaters und nennt sich „Auf dem Dachboden“. Eigentlich ist das keine Bühne, sondern eine Fläche zwischen zweitgeteilten Reihen fürs Publikum. Wir, das Publikum, blicken zur Mitte des Saales. In einem Schienenkreis, der die Abgrenzung einer Insel symbolisiert, rollt sich die Historie auf. Ein Video-Einspieler soll unsere Fantasie beflügeln und ein Bild des Paradieses auf Erden hervorrufen. So beispielsweise:


Die besagte Insel existiert jedoch wirklich. Wer eine der früheren Bounty-Schokoriegel-Werbungen gesehen hat, kennt ihre paradiesische Anmut, auch wenn der Name selbst ziemlich unbekannt verbleibt: Pitcairn (genannt nach seinem Entdecker) liegt im Pazifik und ist die kleinste britische Kolonie.  

Verkehrte Regeln

Verfügen wir über einen angeborenen Sinn für Recht und Unrecht? Verlaufen die Grenzen dazwischen klar und deutlich? Was passiert, wenn Unrecht Recht wird? Und was bedeutet, in ein Unrecht-System hineingeboren zu sein?

"Ich begegnete auf Pitcairn Menschen, die sich jahrzehntelang gegenseitig ein unerträgliches Leid zugefügt haben und jetzt versuchen, sich nach den Traumen aufzurichten. Mein Buch zeichnet die Zeit auf, die vielleicht schon der Vergangenheit angehört“ – erklärt Maciej Wasielewski. 

Auf der Insel galten verkehrte Regeln: Die Vergewaltigungen von Frauen und Kindesmissbrauch gehörten zu den obersten Geboten und bestimmten den Alltag. Erst die Flucht von ein paar Frauen und ihre Aussagen führten zum Prozess 2004 und zur Verurteilung von vier Männern, unter anderem auch dem Bürgermeister. Nachdenklich stimmt jedoch der Umstand ein, dass diejenigen Einwohner, die im Prozess gegen die Vergewaltiger Zeugnis abgelegt haben, dem sozialen Ostrazismus unterzogen wurden: sie verdienten kein Vertrauen, heißt es auf der Insel.

Pitcairn unter uns

Dürfen wir uns moralisch überlegen fühlen? Wohl kaum. Pitcairn finden wir nicht nur weit weg, z.B. in Iran oder Afghanistan, sondern hier im Westen, wo die Frau auch oft zum Objekt degradiert wird und der Kindesmissbrauch neue digitale Dimensionen erreicht. Wir schauen leider viel zu selten genau hin und begnügen uns viel zu leicht mit den oberflächlichen Erkenntnissen. 

Mittwoch, 5. Oktober 2022

Das Putin-Theater

 Die einen wollen jetzt den Krieg in der Ukraine eifrieren, die anderen verlangen Gespräche mit jemandem, der nicht dafür bereit ist.

Ich wünsche mir nichts mehr als Frieden, deswegen stehe ich absolut sicher auf der Seite der Ukraine. 

                                                                             Lang lebe die Ukraine! 


Schauspiel eines Raubtiers

Vor dem 24.02.22 wollte ich auf Teufel komm raus Putin verstehen und ärgerte mich, dass man das gefährliche Raubtier unnötig reizt: mein schwerer Denkfehler. In Wirklichkeit lässt sich Putin nicht domestizieren. Er plante seinen Eroberungsfeldzug von langer Hand und spielte uns die ganze Zeit ein mieses Spektakel vor. Wir – sein Publikum – schauten nicht nur zu, sondern machten mit. Sowohl Politiker als auch die Gesellschaft. Damit ähnelten wir einer misshandelten Frau, die ihren Schläger-Mann entschuldigt: Er hat doch versprochen, dass er das nicht mehr tut. 

Wandeln mit Bedingungen

Obwohl ich fest davon überzeugt bin, dass der Mensch sich sein Leben lang wandeln kann – was für mich das Fundament des Christentums bedeutet -, bin ich keineswegs blauäugig und grenze meine These mit mindestens zwei Bedingungen ein:

- im ersten Schritt muss eine Selbstreflexion, eine Selbstanalyse erfolgen. Solange der Mensch nicht bereit ist, darüber nachzudenken, was er den anderen und auch sich selbst angetan hat, wird er sich nicht ändern können.

- im zweiten Schritt tritt die Übernahme der Verantwortung ein. Dies bedeutet, dass der Einsicht das Schuldgeständnis und – so weit es geht – die Wiedergutmachung folgen.

Wie sich die Welt dreht

Lässt sich meine These ins Politische übersetzen? Ja, selbstverständlich. Politiker sind doch Menschen – auch wenn die oder der eine, im Größenwahn befangen, diesen Umstand vergisst - und kochen nur mit Wasser. 

Fangen wir also mit der Selbstanalyse an. Putin analysiert zwar stets die ganze Welt, aber nicht sich selbst. Wenn er also – wie er anscheinend denkt - unfehlbar sei, müssten seine Gegner die Schuld an allem tragen. In seiner letzten Rede identifiziert er einmal mehr die Feinde eindeutig: es sei der Westen, der "Russland unbedingt brechen" wolle. 

Putin verbleibt also in seinem eigenen Universum aus dem letzten Jahrhundert. Für ihn war der Zusammenbruch der Sowjetunion eine "Tragödie".  Er will deshalb die Zeit zurückdrehen und die Sowjetunion wieder aufleben lassen.

Was er anstrebt, ist kein Frieden und kein Kompromiss, sondern die absolute Macht, um zu bestimmen, wie sich die Welt dreht. Oder auch nicht.

Samstag, 3. September 2022

Das 9-Euro-Ticket kurz vorm Ende? Ein Sommermärchen. Teil 5

 Das Ticket wurde 52 Millionen Mal verkauft. Ein Riesenerfolg. Und jetzt sagen wir: vorbei und Tschüss? Soll es bei den drei Monaten des Sommermärchens bleiben?

                                                                             Strand in Świnoujście

Zwar zeigt sich Christian Lindner neulich von seinem Kollegen und Verkehrsminister Wissing überzeugt und verspricht "ein bundesweit nutzbares, digital buchbares Ticket", wann es jedoch kommt und wie teuer, sagt er nicht. Und Wissing ergänzt, dass der Preis erst am Ende der Diskussion feststehen wird.

Dürfen wir an die Fortsetzung des Sommermärchens also glauben? 

Wenn wir schon bei dem Thema sind: Ich habe einen Traum - überall in der Europäischen Union ist der Nahverkehr frei und überall in der EU setzen sich Menschen, egal wann und wohin sie wollen, in einen Zug, Bus oder in die Straßenbahn und fahren einfach los: zur Arbeit, Schule und zum Einkaufen oder den Freunden „Hallo“ zu sagen, nach Abenteuern oder Herausforderungen zu suchen, Menschen kennenzulernen und dadurch seinen Horizont zu erweitern, unterwegs nah und fern, je nachdem wonach einer oder einem gerade der Sinn steht. Ich hätte sogar einen Slogan dafür: „Mit Liebe zur Natur und zum Menschen – das Null-Euro-Ticket“. Es klingt sentimental-kitschig? Ja, dann macht bitte selbst Vorschläge.

Dass der Traum möglich ist, zeigt zum Beispiel Luxemburg.

Während meinen 9-Euro-Tickets-Reisen genoss ich wortwörtlich „das Leben in vollen Zügen“, wie das ein junger Mann im Menschengewimmel beim Einsteigen in die überfüllten Waggons formulierte, und dennoch sah ich um mich herum geduldige Mitreisende, hilfsbereit und meist humorvoll. 

Das Bahn-fahrende Volk ist friedvoll. Und die Bahn hat einige schöne Strecken und Stationen, wie diejenigen zwischen Züssow und Świnoujście:



                                                                                 Wolgast Hafen




Dem 9-Euro-Ticket sage ich jetzt "ade" mit ein paar Fotos von meiner letzten Reise nach Świnoujście und Heringsdorf:









Zum Schluss noch eine Beobachtung: Die Zuständigkeiten betreffend Kinderbetreuung sind unterschiedlich geregelt. In Świnoujście:



In Heringsdorf:



ENDE
ENDE?


Vorausgehend:







Donnerstag, 1. September 2022

Das 9-Euro-Ticket kurz vorm Ende? Das Meer und die Grenze. Teil 4C

 Ich laufe zu Heringsdorfer Seebrücke der Superlative: sie ist die längste in Deutschland und auch - laut Wikipedia - im Kontinentaleuropa (508 m). 

Ein wenig beunruhigend wirkt auf mich das Schild am Eingang „Betreten auf eigene Gefahr!“, die Neugierde zeigt sich aber viel stärker:
 









Ich laufe übers Meer!



Den Gesang der Ostsee nehme ich mit und fahre mit dem Bus zurück zur deutsch-polnischen Grenze. Ich will sie aus der Nähe betrachten.

Die Grenze führt hier eine abstrakte Existenz. Man geht oder fährt einfach auf die andere Seite und merkt es kaum. 






Ganz anders ist mir Anfang August im Zug aus Polen nach Deutschland ergangen. In Frankfurt (Oder) wurde mir schwarz vor Augen, so viele Bundespolizisten sind eingestiegen. Sie kontrollierten alle Passagiere. Ein ziemlich martialisches Spektakel.  

Die hiesige Gegend macht dagegen etwas verlorenen Eindruck. 

Auf der deutschen Seite der Grenze bietet man alles in beiden Sprachen "Zum Mieten" - "Do wynajęcia".




Auf der polnischen Seite hat ein Kiosk auf. Er sieht ziemlich deutsch aus, steht aber auf der polnischen Seite der Grenze.



Mit dem deutschen Bus und einem polnischen Fahrer kehre ich nach Heringsdorf zurück und trete die Rückreise an.  Nach Hause komme ich lediglich knappe zwei Stunden später als geplant. Wenn man bedenkt, wie oft ich umgestiegen bin, kein schlechtes Resultat. 

Vorausgehend:







Nachfolgend: