Montag, 25. November 2019

Gewalt an Frauen passiert täglich

Diesen Artikel habe ich vor 12 Jahren auf der nicht mehr existierenden suite101.de veröffentlicht. Er ist leider nach wie vor aktuell.


  Screenshot, Frontal 21


"Die Gewalt an Frauen ist ein oft verkanntes Problem. Es handelt sich nicht um eine Erscheinung am Rande der Gesellschaft. Betroffen sind Frauen aus allen Schichten.

Vor sieben Jahren hat Ralf D.* seiner Frau zum ersten Mal die Rippen gebrochen. Danach schien er darüber selbst erschüttert zu sein. Er sei schließlich ein gebildeter Mensch. Ralf D. begab sich in Therapie, entschlossen mit dem Trinken aufzuhören und somit auch mit der Gewalt. Zeitnah wurde seine Frau schwanger. Das Kind bereicherte das Familienleben, gleichwohl brachte es auch viel Stress mit sich. Der Familienvater verliert dadurch immer wieder die Nerven und schlägt so heftig zu, dass Nachbarn die Polizei rufen. Danach kehrt die Ruhe ein. Aber nur vorübergehend. Dann geht es von vorne los.

Solche hoffnungslos wirkenden Fälle sind keine Ausnahmen. In den häuslichen Wänden schlagen Ehemänner und Partner richtig zu. Bis sich die Frau traut, nach Hilfe zu suchen.

Die letzten Jahrzehnte brachten beachtliche Errungenschaften im Kampf gegen häusliche Gewalt: die heute breite Landschaft von Programmen, Projekten und Hilfsangeboten der vor über 30 Jahren injizierten Frauenhäuser. Dort fanden Frauen und finden bis heute Zuflucht, Hilfe und Rat. Auskunft über diese Einrichtungen in Deutschland geben unzählige Internetseiten.

Den gesellschaftlichen Aktivitäten auf diesem Feld von unzähligen Vereinen und Kirchen folgten zögernd viel später die Politiker und verabschiedeten das Gewaltschutzgesetz, das am 1. Januar 2002 in Kraft getreten ist. Das Gewaltschutzgesetz stärkt die Rechte der Opfer. Demnach wird u. a. ein schnelles Verfahren ermöglicht, um den Täter der Wohnung zu verweisen. Der Schläger muss gehen, das Opfer darf bleiben.

Zusätzliche Möglichkeit sich zu schützen bietet den Opfern das Gesetz gegen Stalking (Verfolgung und schwere Belästigung) vom 31. März 2007.

Mit den Gesetzen und unterschiedlichen Maßnahmen wurde das Problem der Gewalt an Frauen nicht gelöst. Häusliche Gewalt nimmt sogar zu, wie viele Sachkundige warnen. Keineswegs handelt es sich dabei um eine Erscheinung am Rande der Gesellschaft. Weder Status noch Bildung schützen Frauen vor Gewalt.

Das Ausmaß des Problems ist schwer zu beschreiben. Auch dort, wo die Polizei schon eingreift, werden die Daten nicht gezielt erfasst. Die polizeiliche Kriminalstatistik macht zur Gewalt an Frauen keine gesonderten Angaben. Das wird erst mit der bundesweiten Einführung eines aus sechs Zahlen bestehenden Deliktschlüssels ab 1. Januar 2008 möglich sein.

Daher musste man sich bisher auf das Gespür und die Erfahrung von Helfern und Betroffenen verlassen. Und zwischen den Zeilen von existierenden Statistiken lesen. So z. B. verzeichnet die Polizeiliche Kriminalstatistik 2006 insgesamt einen Zuwachs von Gewalttaten; darunter fällt auch die häusliche Gewalt.

In der ersten Studie über Lebenssituationen von Frauen in Deutschland aus dem Jahr 2004 wurden die Frauen selbst methodisch nach ihren Erfahrungen mit Gewalt befragt. Die erhaltenen Resultate sind erschütternd: Jede vierte Frau erlitt körperliche oder sexuelle Gewalt durch aktuelle oder frühere Partner.

Migrantinnen sind laut dieser Studie in noch höherem Grad der Gewalt ausgesetzt. Gleichzeitig sind sie rechtlich weniger abgesichert. Das Recht wendet sich sogar gegen sie. Wenn sie keinen selbständigen Aufenthaltstitel besitzen, droht ihnen die Abschiebung, nachdem sie sich von dem gewalttätigen Ehemann trennen. Zwar bietet der Härtefall-Paragraph einen Ausweg. Es besteht jedoch weder ein Anspruch auf eine Entscheidung der Härtefall-Kommission, noch irgendein Rechtsmittel gegen deren Urteil. Ein Härtefallverfahren hat keine aufschiebende Wirkung, was bedeutet, dass das Opfer während des laufenden Verfahrens abgeschoben werden kann. Daher veranstalten Hilfsorganisationen wie z. B. Terre des Femmes verschiedene Aktionen, um die Sensibilisierung beim Thema Gewalt gegen Migrantinnen zu erreichen.

In der Politik merkt man diese Sensibilisierung kaum. In den Institutionen, die mit den betroffenen Frauen zu tun haben, fehlt oft nicht nur das Einfühlungsvermögen. Es mangelt nicht selten an spezifischen Wissen. Beunruhigen wirkt in diesem Kontext eine Bemerkung von einer jungen Polizistin aus der „ersten Frontlinie“. Viele ihrer Kollegen würden bei den Einsätzen immer noch nach dem Motto: „Pack verschlägt sich, packt verträgt sich“ handeln.

So schüttet im Internet ein Polizist, als Wiesbadener79 getarnt, sein Herz aus. Er sei „nach vielen, vielen Einsätzen in dieser Richtung“ zu folgendem Fazit gekommen: „Ein Großteil der Frauen, welche von ihren Männern geschlagen werden, dieses selbst zu verschulden haben. Wenn man sich mal anschaut, wann Männer meistens zuschlagen, so ist es immer dann, wenn sie von den Frauen das Gefühl bekommen, nicht mehr geliebt zu werden“.

*Der Name wurde geändert."

Sonntag, 3. November 2019

Hilfe, die Demokratie wird geschrumpft!

Obwohl ich den Titel problematisch finde, stimme ich dem Autor in vielen Punkten zu. Es geht um den Beitrag von Klaus Dörre „Demokratie statt Kapitalismus oder: Enteignet Zuckeberg!“ Erstens: Eine Enteignung ist – glaube ich – nicht der richtige Weg; zu sehr erinnert diese Prozedere an den gescheiterten Kommunismus und enthält zudem ein enormes Gewaltpotenzial. Zweitens: Wenn man schon zur Enteignung aufruft, wieso sollte man nach Amerika schielen, statt mit eigenen deutschen Milliardären anzufangen?


„ Wo der Markt und seine Effizienzkriterien herrschen, 
hat demokratische Politik zu schweigen.“ Eigenes Foto

Kuchen für alle?


Wir haben keine Krise der Demokratie, schreibt Klaus Dörre und stellt dennoch eine vernichtende Diagnose:

„Vielmehr wird die demokratische Herrschaftsform auf dem Altar eines expansionistischen Kapitalismus geopfert, der zwecks Bestandssicherung zunehmend auf autoritäre Praktiken angewiesen ist.“*)

Das ist eine treffende Beschreibung der Gegenwart: „autoritär“ versus „demokratisch“, wobei das Demokratische zu verlieren scheint. Wieso? Wir dürfen doch frei wählen und schmücken unser System – die Marktwirtschaft - mit dem Adjektiv „sozial“. 

Das Soziale bleibt allerdings nur auf dem Papier. Die vorausgesetzte These, dass bei der stets wachsenden Wirtschaft alle „einen größeren Teil vom Kuchen“ bekommen, erweist sich schlicht als falsch: „Die Ungleichheit hat ein solches Ausmaß erreicht, dass sie selbst zur Wachstumsbremse geworden ist.“

Das Schweigen der Demokratie


Kann die Demokratie mit dem Kapitalismus überhaupt kompatibel sein? In dem Moment, in dem das Soziale zerstört wird, nicht mehr:

„ Wo der Markt und seine Effizienzkriterien herrschen, hat demokratische Politik zu schweigen.“

Die Entdemokratisierung vollzieht sich also über die Eliminierung der Sozialität. Das geschieht vor unseren Augen. Und Hilfe ist nicht in Sicht:

„Während sich die vertikalen, überwiegend klassenspezifischen Ungleichheiten verstärken, sind die Organisationen, die auf der Konfliktachse von Kapital und Arbeit agieren, während der gesamten Nachkriegsgeschichte nie so schwach gewesen wie in der Gegenwart.“

Gibt es Hoffnung?


Eine kurze Antwort lautet: Ja! Die Lösung steckt bereits im Problem, denn die fortschreitende Entdemokratisierung zurückschlägt, indem sie einen Legitimationsverlust marktradikaler neoliberaler Politik bewirkt. Man könnte sagen, dass der Neoliberalismus endlich aus der Mode kommt. Es gibt nämlich keine Demokratie ohne Volk. Vor den Rettern der Demokratie stehen jetzt riesige sozial-ökologische Aufgaben.

„Der Weg zu mehr ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit führt über den Kampf gegen Luxuskomsum, Vermögenskonzentration und Einkommensungleichheit (…) Anstelle ökologisch begründeter Austärität benötigt dieser Weg eine Politik der substanziellen Gleichheit und Gleichwertigkeit aller Menschen.“


*) Alle Zitate stammen aus: Klaus Dörre „Demokratie statt Kapitalismus oder: Enteignet Zuckeberg!“ (in:) „Was stimmt nicht mit der Demokratie?“