Mittwoch, 28. Juni 2017

Wir und der Gemeinsinn

„Die Wirklichkeit als eine uns allen gemeinsame zu verstehen, gehört für Arendt noch zum „gesunden Menschenverstand“, dieses Zitat stammt aus dem Artikel „Wir“ von Carolin Emcke, veröffentlicht in der Süddeutsche Zeitung Nr. 137. Tja, die Wirklichkeit und der gesunde Menschenverstand  - das ist so eine Sache!


                                                                                                                         Foto: Autorin

Radikale Subjektivität und politische Narzissten


Viele von uns vermissen den Gemeinsinn, da ist Carolin Emcke keineswegs die einzige, wenn sie schreibt: „Die radikale Subjektivität wird nicht mehr allein im Privaten zelebriert, sondern zersplittert auch die politische Öffentlichkeit in Narzissten, die ihre Selbstbespiegelungen und Projektionen mit der Welt verwechseln.“ Sie bemängelt, dass dies, „was die res publica, die öffentliche Sache, in unseren Demokratien ausmacht“, kaum mehr verhandelt oder eingefordert wird.

Die Kritik an der radikalen Subjektivität hat nichts mit der Wahrnehmung des Menschen als Individuum zu tun. Vielmehr geht es darum, in dem Einzelnen die Menschheit zu würdigen. Darin sind wir – damit meine ich jetzt Entscheider aller Couleur, die an den Machthebeln sitzen – schlecht bis sehr schlecht. Jene radikale Subjektivität, über die Carolin Emcke schreibt, ist ein Resultat der herrschenden ungerechten Rahmenbedingungen – ich verstehe darunter das Gerüst, das die Politik erschafft und die Gesellschaft mitträgt -, und der Sozialisation in der Welt, die die Menschenrechte eines Individuums tagtäglich missachtet und sich mit hehren Parolen begnügt, ohne sie ins Leben umzusetzen.    

Zu diesem Bild gehören narzisstische Politiker, für diesen Zustand verantwortlich. Sie schaffen jene Atmosphäre, die wir einatmen und in der wir leben müssen.  Wir wählen sie demokratisch und sie herrschen über uns mehr oder weniger autokratisch. Es ist ein Teufelskreis, in dem wir uns alle drehen.

Wer gehört dazu?


Die Debatte über den Gemeinsinn beginnt für mich mit der Frage: Wer gehört dazu? Sie ist meines Erachtens die wichtigste. Eine plumpe Antwort „Wir alle doch“ akzeptiere ich nicht. Auch aus diesem Grund, dass sie einfach nicht stimmt. Nein, leider nicht alle dürfen sich als Mitglieder der Gesellschaft verstehen, weil es solche gibt, die außen vor gelassen werden. Von dieser Sorte haben wir hierzulande mehr als genug. Unfreiwillig nehmen sie nicht am gesellschaftlichen Leben teil, also – eine logische Konsequenz dieser Tatsache -, gehören sie nicht dazu. Ich rede hier nicht über Einzelschicksale, sondern über ein Massenphänomen.  Dieser Zustand ist tragisch und gefährlich zugleich. Weil die Ausgeschlossenen wenig zu verlieren haben und sich leicht radikalisieren. 

Durch die Armut und aussichtslose Lage entmündigte Bürger haben kaum Spielraum für eigenständige Entscheidungen, vielmehr wird es über sie bürokratisch entschieden.  Ob die in den Abfällen kramenden Rentner oder die von den Tafeln Essensreste abholenden Hartz-IV-Empfänger, sie sind dazu verurteilt, um das bloße Überleben zu kämpfen. 

Ein Kommunikationsproblem?


Wenn die Politik große Teile der Gesellschaft offensichtlich aus den Augen verliert, darf man sich nicht über die Verrohung der Sitten wundern. Das schlechte Beispiel kommt von oben: Die Gleichgültigkeit den Bedürftigen gegenüber färbt auf die Gesellschaft ab.

Zum Teil könnte man diese Verhältnisse als ein Kommunikationsproblem deuten. Diejenigen, die den anderen radikale  Einschränkungen verschreiben, leben selbst ohne Entbehrungen und verstehen einfach nicht, was es heißt, um die nackte Existenz ringen zu müssen. 

Donnerstag, 15. Juni 2017

Zwischen Merkel und Trump - Messen mit zweierlei Maß

Tun wir dies nicht alle? Messen wir nicht gewöhnlich mit zweierlei Maß? Einem Freund lassen wir viel, manchmal viel zu viel, durchgehen, einem Feind springen wir dagegen wegen jeder Kleinigkeit ins Gesicht. Wir sind eben von Natur aus parteiisch. Das ist durchaus menschlich. Journalisten sollten aber darüberstehen und Neutralität bewahren. Vielleicht ist das eine übermenschliche Aufgabe.




Das Biest und die Heilige


Donald Trump als Präsident der USA ist für Angela Merkel ein Glücksfall.  Er bietet unzählige Angriffsflächen, ist impulsiv und egozentrisch. Und wie er aussieht! Insgesamt also ein ideales Ziel für Attacken aus allen Richtungen. Genüsslich verspotten ihn Medien jeder Art. 

Während er in der Darstellung zum Monster mutiert, konstruiert man beständig die Erscheinung von Merkel als Heilige. Was das Äußere betrifft, hat sie längst ihr Dekolleté zugedeckt, ihre Schweißflecken beseitigt und ihre Frisur einem Fachmann überlassen. Gefühlsmäßig kann sie mit einem Fisch um die Kaltblütigkeit konkurrieren. Da wären aber noch ihre Finger. Sie sind seit Jahren zur Raute zusammengeklebt. Dennoch traut sich niemand mehr, einer Heiligen solch eine Kleinigkeit anzulasten, egal ob es hier um eine Marotte oder eine Zwangshandlung geht.
 

Negative Bilanz


Es ist wirklich ein Phänomen, dass unsere Bürger Merkel nicht in Verbindung mit der Regierung, die sie anführt, bringen. Mit dieser Erkenntnis trifft der Satiriker Volker Pispers ins Schwarze. Seine Analyse ist auch sonst sehr treffend: Merkel ist wild entschlossen, an der Macht zu bleiben. Ihre frühere Versprechung, den Menschen zu dienen, hat sie unterwegs abgeschüttelt; sie will regieren und bestimmen, wobei Inhalte wirklich zweitrangig sind.

Ihre Bilanz ist ein Desaster, sowohl die in Innerem als auch die im Ausland. Die EU ist gespalten wie noch nie zuvor: den Brexit muss man als die Konsequenz von Merkels Einfluss auf die europäischen Abläufe sehen. Ihre Sparpolitik ist verheerend: In Griechenland zum Beispiel bleibt 50% der Jugend arbeitslos. In Deutschland wächst unterdessen die Kluft zwischen Arm und Reich. Es hätte noch schlimmer ausgesehen, wenn der viel zu niedrige Mindestlohn, den Merkel stets ablehnte, nicht doch eingeführt würde.

Sieg des Starken


Dennoch will die Mehrheit an Merkel als Kanzlerin festhalten und hat Angst vor einer Veränderung. Nicht zu Unrecht. Es waren schließlich die Widersacher – die SPD -, die für die grausamsten Reformen verantwortlich sind. Außerdem hadern die Roten immer noch mit der Agenda 2010 und können sich nicht entscheiden, ob sie dafür oder dagegen sind.

Merkel zeigt sich in diesem Punkt ganz sicher. Für sie ist die Agenda 2010 ein Erfolg. Dank diesen Reformen hat man die Kosten der Krise auf die Ärmsten abgewälzt. Alles natürlich im Sinne der Freiheit – das Motto von Merkel -, weil jene Freiheit kostet doch und nicht jeder sie verdient hat. Schon gar nicht ein Hartz-IV-Empfänger oder dessen Kinder. Sie müssen sich stetigem Zwang unterwerfen. Die Welt – nicht nur die von Merkel – gehört eben den Starken. Vor allem den finanziell Starken. 


Montag, 5. Juni 2017

Unsichere Mutter und perfekte Integration

Ok, wir sind selber schuld. Wir kamen hierher freiwillig. Niemand hat uns dazu gezwungen. Wirklich? Nein, das stimmt so nicht. Gezwungen auf irgendeine  Art wurden wir schon. Wir flüchteten vor etwas, auch wenn viele von uns im strikten Sinne des Wortes keine Flüchtlinge sind. Die Gründe, warum wir unsere Heimat verlassen haben, sind so vielfältig wie wir selbst.  Jetzt sind wir da. Das ist ein Problem.



                                                                   Wo wir auf die Welt kommen... Foto: Autorin


Wo wir auf die Welt kommen


Irgendwie passen wir nicht richtig zusammen. Auch der dritten Generation will man die fremde Herkunft immer noch vorhalten. Sinnlos? Auf jeden Fall! Mit dem sogenannten Migrationshintergrund sind die Einheimischen in eine Sackgasse reingeritten. Jetzt sitzen sie dort und wollen nicht raus. Das ist auch ein Problem. 

Reden wir also kurz über die Bedeutung der Herkunft. Da wir verständlicherweise nicht selbst darüber bestimmen, wo wir auf die Welt kommen, lässt sich diese Tatsache wirklich nicht als unser Verdienst bewerten. Darüber entscheidet Zufall, Schicksal oder der liebe Gott und schließlich unsere Eltern, wir dürfen sie keineswegs vergessen. An diesem Punkt beginnen schon Zweifel. Für die alten Römer war nur eins sicher: die Mutter (Mater semper certa est). Kuckuckskinder gab es schon damals und gibt es immer noch. Sind wir uns vielleicht aus diesem Grund näher als die Puristen unter uns wahr haben wollen?

Die Gegenwart rüttelt unterdessen an dem letzten Felsen. Auf die Mutter gibt es heute keine Garantie mehr. Nehmen wir als Beispiel die in Deutschland verbotene Leihmutterschaft. Die gebärende Mutter ist in diesem Fall keine wirkliche..

Unter diesen Umständen gewinnt anscheinend die gleiche Sozialisation an Wichtigkeit. Hm, ist sie in einem Land jedoch wirklich gleich? In den verschiedenen Schichten? Was, wenn wir die gleichen Werte und Ziele, Lektüren, Videos, Musik über Grenzen hinweg verfolgen und verinnerlichen?

Lohnt es sich denn, die Herkunft immer noch dermaßen hervorzuheben? 

„WAS können wir integrieren?“ 


Nach den deutschen Maßstäben war Einstein in Amerika nicht wirklich integriert. Er sprach kein gutes Englisch. Der Nobelpreis und die amerikanische Staatsbürgerschaft hin oder her, den hiesigen Puristen hätte dies nicht gereicht.

Die perfekte Sprache wird in Deutschland stets an der ersten Stelle als Bedingung einer gelungenen Integration genannt. Hierzulande leben eben ausschließlich hervorragende Germanisten, die auf Perfektion bestehen. Keine geringere Forderung als diese stellt man nämlich den Zuwanderern: das Deutsch muss perfekt sein. In diesem Kontext fragt Edmund Stoiber: „Was können wir integrieren?“ Damit meint er uns, Migranten. Vielleicht ist das auch ein gutes Zeichen, wenn er „was“- also ein sachliches Pronomen - verwendet. Sachen schätzt man hier sehr.

Abschlüsse erscheinen gleich nach der Sprache als die zweite Forderung der Integration. Sie sollen natürlich deutsch sein, was bei den Einwanderern doch ein wenig überrascht. Schwamm drüber, man kann sie – ich meine die Abschlüsse auf Deutsch  – nachholen. Oder doch nicht? 


Bevor wir an der Perfektion zwangsläufig scheitern, sollten wir vielleicht ganz unperfekt unsere Fähigkeiten und Talente gemeinsam nutzen, um das Land voran zu bringen.