Sonntag, 8. März 2020

Lippenbekenntnisse – muss das wirklich sein?

Unter „Lippenbekenntnis“ verstehen wir  laut Duden „jemandes Bekenntnis zu etwas, das sich nur in Worten, nicht aber in Taten äußert.“ Dieses Phänomen ist alles andere als selten. Wir sprechen hier über einen ganzen Ozean im politischen und gesellschaftlichen Leben. Lippenbekenntnisse sind allgegenwärtig. In diesen Sekunden gehen bestimmt die nächsten über die Bühne und mir mächtig auf die Nerven.

Ich verlange mitnichten, dass sich Politiker nicht mehr zu wichtigen Themen und Ereignissen äußern– darunter zu solch schrecklichen wie der Terroranschlag in Hanau. Ich fordere jedoch, dass den Worten die Taten folgen. Es ist doch nicht zu viel verlangt, oder?

Wenn der Staat selbst diskriminiert, 
sind die hier abgebildeten Forderungen nur bloße Lippenbekenntnisse. 

Viertel- und Halbwahrheiten


Offensichtlich sind das aber ziemlich unrealistische Wünsche der Naiven, die immer noch an Märchen glauben. Auf die Lippenbekenntnisse zu verzichten bedeutet doch nichts anderes als sich zur Wahrheit zu bekennen. Also: Hand aufs Herz und raus mit der Sprache, sagt, was Ihr wirklich denkt! Hose runter, und keine dummen Spielchen mehr.

Hätten wir aber die ganze Wahrheit tagein, tagaus überhaupt ertragen können? Brauchen wir eine derartige brutale Offenheit? Ist es nicht angenehmer und sicherer mit Viertel- und Halbwahrheiten zu hantieren? Oder direkt gefragt: Kann man ohne Lügen leben und noch wichtiger – überleben? Wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd. Daran hat sich nichts geändert. Daher behaupte ich, dass wir keine Wahrheit wollen.  Sie ist nicht unsere Freundin. Wieso? Weil  das Unbekannte uns Angst einjagt?  Nein, wir ahnen die Wahrheit, wir spüren sie. Aber wir fürchten sie. Sie hätte uns gezwungen, uns mit uns selbst auseinanderzusetzen.

Unser Lippenbekenntnis zur Wahrheit ist also eine der größten Selbstlügen. Wir alle sind Lügner.

Verantwortung – eine umgekehrte Pyramide 


Dennoch gibt es für mich einen gewaltigen Unterschied zwischen den kleinen Not- und Alltagslügen, die ich als ein Feigenblatt oder einen Schutzmantel mit ruhigem Gewissen rechtfertigen kann, und den Lügen in den wesentlichen, entscheidenden Dingen des Lebens. Besonders, wenn sich derartige Lügen auf die anderen Menschen auswirken. Wenn diese Lügen das Leben der anderen ruinieren und zerstören. Natürlich hängt jene vernichtende Wirkung von der Position ab. Je höher jemand in der Hierarchie klettert, desto größer seine Möglichkeiten. Und die Verantwortung. 

Die Machthaber tragen in dieser Hinsicht also die größte Verantwortung. Meine Pyramide steht demnach auf dem Kopf. Die Spitze = ganz wenig Verantwortung fürs gesellschaftliche Wirken -, befindet sich unten.

So billig kommt Ihr mir nicht davon!


Liebe Mächtige (=jene an der Macht), ich glaube Euch nicht, wenn Ihr Euch zu Menschenrechten bekennt, aber alltägliche Diskriminierung und Rassismus nicht nur zulässt, sondern auch befeuert und verschiedene Gruppen gegeneinander ausspielt. Ich glaube Euch nicht, wenn Ihr über Gleichberechtigung faselt, aber Menschen hierzulande sortiert in erste, zweite, dritte Klasse und auch so behandelt. 

Ihr gebt diesem Staat das Gesicht, das zu oft zu einer falschen Maske verkümmert. Ihr gebt viel zu vielen Menschen das Gefühl, dass die Gerechtigkeit nur jenseits, aber nicht diesseits möglich ist. Ihr missbraucht Eure Macht gegenüber denen, die sich kaum wehren können. Die Verachtung der Schwachen kommt von oben! Der Staat knickt andauernd vor Reichen und Mächtigen ein, aber trickst und nutzt die Ohnmächtigen aus. Wie ein gewissenloser Ganove. Ihr, die Mächtigen, spaltet die Gesellschaft auf die Nützlichen und Nutzlosen (so behandelt man z. B. die Hartz-IV-Empfänger und ihre Kinder), auf die Privilegierten und Nichtprivilegierten in der Zwei-Klassen-Medizin, auf die, die immer Recht haben, und die, die finanziell nicht in der Lage sind, ihr Recht vor Gericht zu erstreiten. 

Der Staat treibt somit die Verzweifelten in die Arme der Nazipartei, zu der sich die AfD entwickelt hat.  Die verwirrten Wähler merken zum Teil nicht, dass sie versuchen, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben.