Sonntag, 27. September 2015

Das Spiel mit den Wörtern

Dass der Klang von der Bedeutung ziemlich unabhängig ist, wird jedem klar, der einer unbekannten fremden Sprache lauscht. Es sieht nach einem Geheimcode für die Eingeweihten aus. Die Außenstehenden kapieren nichts davon. Vereinfacht kann man also sagen, dass der Sinn als eine Art Vereinbarung zwischen den Sprechenden entsteht.



Über die Sprache herrschen?


Der Klang oder die Schrift – das Transportmittel des ursprünglichen Klanges – sie verlieren den Bezug zur Bedeutung manchmal auch in der durchaus bekannten Sprache. So geschieht unter anderem in den Diktaturen, wo die Wörter ihre Bedeutung loswerden und in ihr Gegenteil verkehren: So beispielsweise darf man keineswegs daran glauben, dass „Freiheit“ dort wirklich Freiheit bedeutet, oder „Würde“ einem Menschen zusteht. 

Die Tyrannen bemühen sich genauso wie über die Menschen auch über die Sprache zu herrschen und steuern auf verschiedene Weise ihren Gebrauch. Die Medien dürfen lediglich Inhalte verbreiten, die mit der Wirklichkeit kaum etwas zu tun haben. Verstöße gegen diese Regel werden hart bestraft. Die Meister der Sprache - Schriftsteller und Dichter - dürfen sich nur in engen Grenzen bewegen. Verletzen sie jene Grenzen, riskieren sie wie Ossip Mandelstam ihr Leben. Er landete wegen eines kurzen Gedichts über Stalin im Gulag. Die ersten Zeilen beschreiben sehr gut das Klima in einer Diktatur: 

„Wir Lebenden spüren den Boden nicht mehr,
Wir reden, dass uns auf zehn Schritt keiner hört,
Doch wo wir noch Sprechen vernehmen, –
Betrifft's den Gebirgler im Kreml.
Seine Finger sind dick und, wie Würmer, so fett,
Und Zentnergewichte wiegts Wort, das er fällt“

Macht des Wortes


Es ist schon tragikomisch, dass eben Despoten der Sprache diese Bedeutung beimessen, die sie wirklich verdient. Man könnte sagen, dass die Diktatoren ihre Richtschnur aus der Bibel übernommen hätten: „Im Anfang war das Wort.“ Einerseits glauben sie sozusagen religiös, dass ihre Reden Fakten schaffen, anderseits fürchten sie außergewöhnlich die Macht der Sprache von ihren Gegnern. Sie spüren, dass die Sprache ein unglaubliches Phänomen ist.

Unbändig und ungezügelt reißt sie uns mit oder langweilt mit Gemeinplätzen. Sie dringt tief in die Seele hinein oder rutscht gleichgültig die Oberfläche hinunter. Die Herrscher haben Angst besonders vor ihrer Fähigkeit das Verborgene zu entlarven: Schummeleien, Lügen, Verbrechen. Sie kann mehr offenbaren, als sich der Redner oder Schreiber je gewünscht hätte.

Internet als Mitspieler


In einem demokratischen Land wie Deutschland gibt es keine Schranken für das Spiel der Wörter und alles darf gesagt und geschrieben werden. Die Zensur existiert nicht und eine Meinung wird nicht mit harten Strafen belegt. 

An diesem Idealbild entdecken wir aber ohne große Mühe viele Risse. Die Zensur haben wir mitnichten begraben, sie lebt nach wie vor und zwar gut. Kein Amt ist nötig für die Zensur in den Köpfen der übervorsichtigen Chefredakteure, die die Information durch die Propaganda ersetzen, weil sie sich vor den Eigentümern der Medienkonzerne rechtfertigen müssen. 

Außerdem spielen eine große Rolle die Konventionen – was man sagen darf oder nicht, wenn man dazu gehören will. Damit meine ich die Kreise, die auf verschiedenen Ebenen die Entscheidungen treffen. In diesen geschlossenen Gesellschaften verständigt man sich im eigenen Jargon.  

In den 90er Jahren kam das Internet als ein Mitspieler mit seinen vielen Kommunikationsmöglichkeiten von den noch Unbeteiligten hinzu und wirbelt seitdem das Gewohnte und das auf den höheren Etagen Abgesegnete ganz schön durcheinander. Und das ist gut so. Auch damit der Klang mit der Bedeutung endlich übereinstimmt.

Montag, 14. September 2015

Der Wert des Menschen

Politiker berufen sich gerne in ihren Reden auf die europäischen Werte, wobei sie jene Werte selten konkret formulieren. Im Allgemeinen kann man dennoch annehmen, es geht um eine Mischung aus dem christlichen Erbe und dem Nachlass der Französischen Revolution mit den Menschenrechten obendrauf. Der Mensch soll unbedingt groß geschrieben werden.

In den Zeiten der Globalisierung rechtfertigen gleichzeitig unfähige Politiker jede Sauerei mit den Zwängen dieses Prozesses und schneiden sich auf diese Weise ins eigene Fleisch: Wenn die Globalisierung alles regelt, wozu braucht man noch solche ohnmächtigen Politiker?



Massen und Kollateralschäden 


Das Denken in Kategorien von Massen beherrscht allerdings alle politischen Bühnen, unabhängig von den bestehenden Systemen. Die Machthaber aller Couleur verlieren den Menschen, das Individuum aus dem Blick. Um an die Macht zu gelangen, brauchen sie eben die Mengen, daher nehmen sie die einzelnen Kollateralschäden in Kauf. 

Das sind totalitäre Denkmuster, die auch die Demokratien übernehmen. Diejenigen, die für die Wahlen nicht von Bedeutung sind, kommen unter die Räder. Politiker kalkulieren wie Händler, was sich für sie lohnt und was nicht. Es ist keine Erfindung von Merkel, die Fahne nach dem Wind zu hängen.

Vorgetäuschte Demokratie


Ein Einzelschicksal zählt anscheinend gar nichts: daran sollen wir glauben und selbst die ganze Verantwortung und die Schuld übernehmen. Arbeitslos? Nicht gut genug für den Arbeitsmarkt. Ungerecht von den Ämtern behandelt? Tja, Pech gehabt. Dieses System, das die Demokratie gekonnt vortäuscht, schreibt die angeblich Unangepassten ab: „Man kann sich doch nicht um jeden Einzelnen kümmern.“ Solch eine Prämisse ist jedoch fundamental falsch. Wieso? Weil der Einzelne – der Mensch also – im Mittelpunkt stehen muss. Was nützen schöne Theorien und noch schönere Gesetze, wenn es dem Menschen nicht gut geht? Der Mensch – nicht die Masse - muss der Prüfstein jedes Systems sein.

Markt und Tabakdose


Wie es zurzeit läuft, weiß jede und jeder. Grundsätzlich bestimmen die Märkte den Wert des Menschen, Politiker plappern nur nach, was die Wirtschaft ihnen diktiert. Daran haben wir uns allmählich gewöhnt, sodass die durchaus intelligenten Vertreter unserer Gattung der „Bild“-artigen Argumentation widerstandslos folgen und nicht hinterfragen, seit wann die Nase für die Tabakdose herhalten muss und nicht umgekehrt. 

Was ist also ein Mensch wert? So viel, wie er dem Markt nutzt? Und wenn nicht, ist er dann wertlos? Ist ein Arbeitsloser als Mensch genauso viel wert wie ein Arbeitender? Eine dumme Frage? Von wegen. Hören sie genau zu, wenn man die nächste Diskussion – die kommt auf jeden Fall - über die Hartz-IV-Empfänger lostritt. Meine Meinung dazu? Eigentlich sollen sie recht gut entschädigt werden, dass sie als Geiseln der marktorientierten Gesellschaft büßen müssen, damit diese Als-ob-Demokratie funktioniert.  


Donnerstag, 3. September 2015

Eine überfällige Diskussion

Der nicht endende Strom der Flüchtlinge zwingt uns zur Diskussion über ein Thema, das uns stets begleitet, dennoch zu wenig öffentliche Beachtung fand und immer noch findet: über den Rassismus. Das Problem ist umso größer, weil wir alle dazu neigen, die anderen in irgendeine Schublade zu stecken und mit einer Überschrift zu versehen, was uns hilft, die komplizierte Welt zu ordnen. Hand aufs Herz: Wer tut das nicht? Niemand ist frei von Vorurteilen.


                                                                                       Karikatur: Kostas Koufogiorgos

Gefährliche Waffe


Was als hilfreiches Ordnungssystem durchaus seine zweifellose Berechtigung hat, mutiert jedoch zu einer gefährlichen Waffe, zu einem Vernichtungswerkzeug, wenn wir es nicht mehr für die Orientierung gebrauchen, sondern für die Stimmungsmache, das Schüren des Hasses, das Hetzen. Vom Orientieren geht man zum Bewerten über, wo es nichts zu bewerten gibt. Wie wollt Ihr überhaupt den Wert abschätzen, wenn es sich um das Menschenleben handelt? Darf man in diesem Zusammenhang über ein unwertes Leben sprechen? Die Nazis haben diese Frage bejaht. Sie sprachen den ganzen Nationen das Recht auf Leben ab. Die bloße Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe entschied über Leben und Tod.

Vor allem Feiglinge


Unser aller Problem  sehe ich darin, dass wir besser sein wollen. Eigentlich ein hehres Ziel. Der Haken an der Sache ist aber, dass es uns nicht reicht, aus Freude am Machen dies zu tun. Wir wollen besser als die anderen sein. Schön wäre es, wenn wir diejenigen trotzdem als Menschen achten würden. Außerdem: Wer in einem gut ist, muss nicht unbedingt in allem glänzen. Manchen von uns ist solch eine Fairness jedoch zuwider. Sie brauchen einen Abstand zum Rest. Dafür müssen die anderen – logischerweise – schlechter sein. Es reicht demnach irgendeine Gruppe mit dem Merkmal „minderwertig“ zu versehen, schon fühlt man sich besser. Die Auswahl geschieht nicht unüberlegt. Man wird sich nicht mit den Stärkeren anlegen. Die Schwachen sollen für diese Aufgabe herhalten. Denn Rassisten sind vor allem Feiglinge. 

Anständige ohne Anstand


Ich behaupte, dass nicht die überzeugten Rassisten das Hauptproblem sind. Die tragen- wenn man so sagen darf - wenigsten ihren Hass offen. Vielmehr muss man sich vor den vielen angeblich Guten vorsehen – ich meine hier nicht die Aber-Rassisten - „Ich habe nichts gegen Ausländer, aber…“. Es geht mir um die wortkorrekten Werteschützer, die Wasser predigen und Wein trinken – also diejenigen, die immer das Richtige sagen, aber das Falsche tun. Sie lassen uns verzweifeln, weil man von ihnen den Anstand erwartet, stattdessen aber den hinterhältigen Rassismus bekommt.

Wie kann man sich vor diesen Anständigen ohne Anstand schützen? Sie sind überall: in der Schule geben sie ihren ausländischen Schülern schlechtere Noten, in der Arbeit lassen sie keine Bewerbungen von den Migranten zu, als Vermieter lügen sie, dass die Wohnung schon leider vergeben ist. Sie warnen gern vor den gefährlichen Pflastern aus einem einzigen Grund: Dort wohnen „Zigeuner“, Türken, Ausländer. Als Politiker täuschen sie Besorgnis vor und prangern ganze Gruppen von Menschen an (wie beispielsweise die sog. Wirtschaftsflüchtlinge), die sich nicht wehren können. Sie alle würden schwer beleidigt, wenn man sie mit Nazis verglichen hätte. Dennoch ist dieser Vergleich berechtigt. Sie handeln in diesem Geist und ihre anders lautenden fadenscheinigen Bekundungen machen dies nicht besser.