Sonntag, 13. November 2022

Unverhoffter Schatz und Krone auf dem Schutthaufen – eine ziemlich chaotische Geschichte

 Ein nüchterner Bürger oder eine nüchterne Bürgerin rechnet nicht damit, einen Schatz zu finden, insbesondere aufgrund der Tatsache, dass sie nicht danach suchen. Das ein oder andere Mal liegt der Schatz aber wirklich auf der Straße. Oder etwas drunter.


Lange Schatz-Strähne in einer polnischen Kleinstadt

Wessen Macht die oben abgebildete Krone bezeugt, wissen wir nicht. Zum großen Teil sind dafür die chaotischen Umstände ihrer Entdeckung verantwortlich. Sie wurde nämlich auf einem Schutthaufen gefunden. Diese Geschichte hat einen langen Anlauf. 

Übrigens, das Wort "Krone" bedeutet auf Lateinisch (woher der Begriff kommt) einen Kranz. Daraus entwickelte sich dieses glitzernden Kopfschmuck: die Kränze und Hüte symbolisierten in unterschiedlichen Kulturen die Herrschaft

Die Story beginnt im Jahr 1976. Damals haben Arbeiter hinter der Uhr im Rathausturm in Środa Śląska (Neumarkt) in Polen eine alte Metalldose gefunden. Drinnen befanden sich hunderte von Münzen und mit Lack versiegelte Dokumente. Zwei Jahre später sollten beim Bau des Pfarrhauses angeblich weitere Entdeckungen von Münzen und Schmuck folgen. Dennoch schien der unerwartete Fund niemanden außer seinen Entdeckern zu interessieren. Keine Institution wurde infolgedessen tätig. Zur Erinnerung: In Polen herrschte zu der Zeit (bis 1989) der sogenannte Realsozialismus.

In 1985 beförderte ein Bagger in der Altstadt von Środa Śląska aus den Tiefen der Erde einen zerbrochenen Tonkrug mit tausenden von Münzen. Ein wahrer Schatz. Diesmal sicherten ihn – oder eher die übriggebliebenen Reste (viele Einwohner „halfen“ davor bei den Ausgrabungen) – die Miliz, wie sich die damalige Polizei nannte, und Funktionäre des polnischen Stasi. Sie verfügten über keine nötigen Kenntnisse und gingen entsprechend unbekümmert mit der Entdeckung um. So haben sie allen Arbeitern dieser Baustelle je eine Silbermünze geschenkt. 



Unterm Schutz der Dunkelheit führten tüchtige Bürger die illegalen Ausgrabungen fort. Niemand wusste, was gefunden und mitgenommen wurde.

Erst am nächsten Tag informierte man den Direktor des Archäologischen Museums in Wrocław,  Jerzy Lodowski. Er schaute sich die Gegend an, packte die gefundenen Münzen ins Auto und fuhr zurück nach Wrocław. Dort hat man sich viel Zeit gelassen. Nach ein paar Wochen schaute man sich den Fund an und zählte nach: 3424 Münzen mit dem Gesamtgewicht 12,7 kg.


                                                 Muzeum Narodowe we Wrocławiu (Nationalmuseum Breslau)


Dosenschinken Made in Germany

Nach drei Jahren, im Frühling 1988 (ein Jahr vor der polnischen Wende), stießen Bauarbeiter in der Daszyński-Straße wieder auf historische Kostbarkeiten, als ob die Kleinstadt auf lauter Schätzen gesessen hätte. 

Diesmal ging es richtig wild zu. Einwohner sprangen in die Baugrube aufeinander und rissen sich die glitzernden Münzen aus den Händen. In diesem Zusammenhang muss man die sogenannten äußeren Umstände erwähnen: das im Jahr 1981 verhängte Kriegsrecht hat das Land um Jahrzehnte zurückgeworfen.

Der Entdeckungsort wurde auch diesmal nicht abgesperrt  und Spezialisten haben keine weitere Grabungen geführt, nur die bereits gefundene Münzen nach Wrocław abtransportiert. Die Bauarbeiter durften einfach weitermachen.

Unterdessen wühlten Leute im ein paar Kilometer vom Zentrum entfernten Schutthafen, wohin man die Bauabfälle abtransportierte. Sie wurden auch fündig. 

Die Stadt zog inzwischen unzählige Antiquare und Touristen an, auch aus Deutschland. Jene boten für die kostbaren Münzen und Kleinode im Tauschhandel Dosenschinken, Kaffee und Süßigkeiten Made in Germany.


Räuber und Retter

Auf der schatzträchtigen Müllhalde tummelten sich hiernach die Retter und die Räuber. Und manchmal waren das dieselben Personen.  

Zuerst durften auch Schulkinder an ihrem freien Tag den Abfall durchwühlen, dann merkte man die pädagogische Fragwürdigkeit dieses Vorhabens und untersagte jene Mithilfe. Dafür erschienen zahlreiche Milizionäre, die die ramponierte Halde dursiebten. Die Museumsmitarbeiter schauten auch vorbei. Und natürlich unzählige „Privatfahnder“. 

Nach der Wende 1989 bemühte man sich den Jahrtausendschatz, wie man ihn getauft hat, zu sichten und die von „Hobby-Archäologen“ mitgenommenen Antiquitäten zurückzuerlangen. 

1995 beendete das Nationalmuseum in  Krakau (Muzeum Narodowe w Krakowie) die Restaurationsarbeiten. Im Jahr 2017 erneuerte man die Krone; dabei vervollständigte man sie mit den in der Zwischenzeit zurückgewonnenen Elementen.



Reichtum des Königs

Die turbulente Geschichte der Entdeckung erklärt, warum man keine eindeutigen Aussagen über die Besitzer des Schatzes machen kann. Die Qualität von Kleinoden lässt jedoch vermuten, dass sie zum königlichen Vermögen gehörten. Wie kamen sie aber nach Środa Śląska (Neumarkt)? 

Höchstwahrscheinlich stammen diese Kostbarkeiten aus der Schatzkammer des Königreichs Böhmen in Prag und wurden um das Jahr 1350 bei den hiesigen Juden verpfändet. Zu jener Zeit herrschte Karl IV. Seit kurzem (ab 1335) auch über das Herzogtum Breslau (Księstwo wrocławskie), also auch über Środa Śląska. Davor waltete über das Land die polnische Piasten-Dynastie.

Vermutlich versteckten die verpfändeten Schätze nachher die neuen Besitzer, die während des Pogroms 1349 um ihr Leben fürchten mussten und deswegen geflüchtet sind. 

Heute kann man sie in Wrocław in Muzeum Narodowe (Nationalmuseum Breslau) bewundern.



Fotografiert in: Muzeum Narodowe we Wrocławiu (Nationalmuseum Breslau)