Donnerstag, 24. August 2017

Wladimir Kaminer spricht mit Dietmar Bartsch und die Bild am Sonntag spielt die Anstandsdame

In der Bild am Sonntag vom 20. August erschien ein interessantes Interview: der Schriftsteller Wladimir Kaminer trifft den Linke-Spitzenkandidaten Dietmar Bartsch. Interessant ist das Gespräch aus vielen Gründen.


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Die vorgekaute Meinung


Das Interview stockt. Die beiden Gesprächspartner sind aber nicht daran schuld. Es ist die BamS, die ihre Kommentare dazwischen schiebt; sie kaut sozusagen die Meinung für die Leser vor.   

Nachdem sich Bartsch von den neuen Ereignissen in Venezuela distanziert, weil sie nichts mit dem demokratischen Sozialismus, den er will, zu tun haben, erinnert die BamS an die Solidaritätsbekundung mit Venezuela, auf dem Parteitag im Juni von der Linken verabschiedet. Es soll heißen: Vorsicht, das was Bartsch erzählt, stimmt nicht.

Auf gleiche Art kommentiert die BamS die Aussage von Bartsch, dass es niemanden gibt, der durch eigene Leistung Milliardär geworden ist. Das sei nicht richtig – dürfen wir gleich nach der Bartsch‘ Antwort lesen. Dann kommt die Aufzählung: „Berühmte deutsche Beispiele sind die Aldi-Brüder, Karl und Theo Albrecht, sowie Hasso Plattner.“

Was ausgelassen wird


Die Fragen und Meinungen von Kaminer bleiben dabei unkommentiert. Er scheint auf gleicher Linie wie die BamS zu liegen.  Kleine Stolper – wie zum Beispiel solch ein Satz von Kaminer wie „Auf jeden Fall ist der Kapitalismus nicht das Gelbe vom Ei“ – druckt man einfach nicht. 

Die Auslassungen bei Antworten von Bartsch wiegen schwerer. Ich zitiere einige davon:

„Ich kenne niemanden in der Linke der zum Staatssozialismus zurück will. Das wäre irre. Der ist gescheitert. Der ist zu recht gescheitert. Aus ökonomischen Gründen, demokratiefeindlichen Gründen ...“

Bartsch‘ Definition der Leistungsgesellschaft: „dass jeder nach seiner Leistung erhält, dass jeder das einbringt, was er kann, dass den Schwächeren geholfen wird. Das ist der zentrale Gedanke.“

„Ich bin dagegen, dass heute Menschen zu Vermögen, zu Einkommen kommen, Milliardäre sind, vielfache Milliardäre sind, ohne Leistung. Das ist nicht gesund. Da muss eine Gesellschaft steuern, deswegen gibt es das Element Steuern.“

„Man will niemand enteignen, das ist gar nicht unser Ziel, wir müssen Grenzen ziehen. Natürlich bin ich dafür, dass man horrendes Eigentum bei Erbschaften besteuert.“

„Erbschaftssteuer ist in den USA, Großbritannien und Frankreich um vielfaches höher. Warum ist sie in Deutschland so niedrig?“ 

Eine gute Frage, nicht wahr? 

Dem Einwand, dass die gedruckte Version des Gesprächs, das auch verfilmt wurde, doch nicht alles im Wortlaut wiedergeben kann, stimme ich nur bedingt zu.

Wenn man die zentralen Aussagen eines  Interviewten einfach weglässt, dann verfälscht man doch seine Stellungnahme. 

Insgesamt will ich darauf hinweisen, dass es immer schwieriger ist, zwischen Berichten und Kommentaren zu unterscheiden. Beide Formen verschmelzen zur Unkenntlichkeit. So machen die Medien Politik.

„Das hat mit Merkel nichts zu tun“


Mein Lieblingszitat, das wie die anderen obigen in der BamS nicht gedruckt wurde, betrifft Merkel:

„Wenn ich mir angucke, wie vor 12 Jahren das Europa aussah, als ihr Kanzlerschaft begann, und heute, dann stelle ich fest: wir haben den Brexit, wir haben eine unbewältigte Finanzkrise, wir haben eine horrende Jugendarbeitslosigkeit in den Südländern, die eine verlorene Generation hervorbringt, wir haben erstarkte rechtsextremistische und rechtspopulistische Parteien, Europa ist in einer Gefahrenzone. Wenn dann aber einer sagt, das hat mit Angela Merkel nichts zu tun, der hat wirklich nichts verstanden.“

Montag, 14. August 2017

Wie der Fall Twesten uns die Politik lehrt

In den Tagen nach dem spektakulären Übertritt einer bis dato unbekannten niedersächsischen Landtagsabgeordneten hörte man nichts Gutes über Politiker und Politik.


                                 Ministerpräsident Stephan Weil, dessen Regierung Elke Twesten gekippt hat. Foto: Autorin

Darf sie das?


Den verdrossenen Ton der negativen Stimmen hat sehr gut Hans-Christian Ströbele wiedergegeben:

Kurzum: Twesten sollte ausschließlich an sich selbst gedacht haben. Darf sie das? Sich als Politikerin nur für die eigene Karriere zu interessieren? Eine Gegenfrage: Wie naiv ist es zu glauben, dass Politiker lauter Idealisten wären?

Wie ein Eisberg


Was ist also Politik? Eine einfache Antwort lautet: alles. Weil sie über alle Bereiche des Lebens bestimmt. Sie ist mächtig. Gleichzeitig zeigt sie sich irritierend ohnmächtig und hält nicht, was sie verspricht.

Die Erwartungen der Wähler prallen auf den politischen Betrieb, der nach eigenen Regeln funktioniert. Eben diese Mechanismen faszinieren mich, weil sie sich zum großen Teil im Verborgenen verstecken und einem Eisberg ähneln.

Politik bedeutet Klüngel und Seilschaft. Und das Paktieren hinter verschlossenen Türen. In der positiven Version sprechen wir über das Teamspiel. Einzelgänger haben dort nichts verloren. Denn ihr wichtigstes Merkmal ist die stätige Suche nach Mehrheiten.

Politik ist ein Kampf mit harten Bandagen. Und gefährlich. Manchmal lebensgefährlich. Ihren Weg pflastern Affären. Ich erwähne an dieser Stelle zwei Fälle, die nur auf den ersten Blick sehr unterschiedlich erscheinen: Vera Brühne und Uwe Barschel.

So dramatisch ist der Fall Twesten doch nicht. Trotzdem hätte ich gern erfahren, ob Merkel auch von „unmoralischen Angeboten“ der niedersächsischen CDU gewusst hat.

Den Kuchen gerecht verteilen


Die Kernfrage der Politik, die zu wenig Beachtung findet und die immer wieder neu diskutiert werden muss, ist die Verteilung des Kuchens. Zurzeit erfolgt die Verteilung sehr ungerecht und führt zur wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich. Der dringend notwendige Diskurs wird wiederholt als Neiddebatte verunglimpft. Politiker, die sich konservativ nennen, wie Merkel, wollen nicht am Status quo rütteln. Ihre Antwort auf die Zukunft lautet: Weiter so! Diese Antwort ist grundlegend falsch.