Mittwoch, 19. Oktober 2022

Japanischer Garten in Wrocław – der wandelbare und beständige

 Auf der Suche nach einem Ort der Entspannung erfand der Mensch den Garten. Von der mehr oder weniger hektischen und alltäglichen Umgebung abgegrenzt, ermöglicht dieser Platz Erholung oder Ablenkung. Warum sonst geht Ihr dorthin?


Ferner Traum zur Feier des Tages

Japanischer Garten in Wrocław (Breslau) hat eine lange deutsch-polnische Geschichte, die mit der Jahrhundertausstellung 1913 beginnt. 

„Bau und Ausrichtung der Jahrhundertausstellung sowie der Feierlichkeiten kosteten die Stadt Breslau insgesamt 7 Mio. Reichsmark. Für die Gestaltung des Ausstellungsgeländes setzte sich der Entwurf des bekannten Architekten Hans Poelzig (1869 – 1936) durch. Die zunächst als Ausstellungshalle geplante spätere Jahrhunderthalle wurde von Max Berg (1870 – 1947) gebaut und war damals ein Meisterstück der Ingenieurskunst.“

Zur Feier des Tages dachte sich Graf Fritz von Hochberg eine besondere Attraktion aus. Geholfen hat ihm dabei der japanische Gärtner Mankichi Arai. Pünktlich zur Jahrhundertausstellung wurde der Japanische Garten eröffnet. 








Garten, Politik und die Flut

Die obigen Bilder bezeugen die vergangene Historie wohl kaum. Denn nach der Ausstellung wurde der Japanische Garten abgebaut und vergessen. Geblieben sind lediglich Pfade, einige japanische Pflanzen und der Teich. Im inzwischen polnischen Wrocław erinnerte man sich an die Einrichtung erst im Jahr 1974. 

Der Vorsitzende der kommunistischen Partei PZPR (Polnische Vereinigte Arbeiterpartei) und somit der Chef des Staates hieß damals Edward Gierek. Er weckte zu Beginn seiner Herrschaft (ab 1970) die Hoffnung auf die Normalisierung der Verhältnisse mit dem Westen. 

Davon schien auch der Garten zu profitieren: der Teich wurde mit Wasser aufgefüllt und Kaskaden angelegt. Der Wind der Geschichte drehte sich jedoch bald wieder und japanische Fleur passte nicht mehr ins Programm. Nach der Wende erinnerte man sich an den Garten wieder. Die Stadtoberhäupter von Wrocław richteten eine Bitte um Hilfe bei der "Wiederbelebung" an den japanischen Botschafter in Warschau. Die Bitte wurde erhört und Yoshiki Takamura gestaltete den Garten aufs Neue.

1997 zerstörte den Garten die Flut.*) Zwei Jahre  später wurde er aber wieder eröffnet. 

Heute kommen hierher ganze Familien, Verliebte und andere Touristen.






Die Besucher schlendern über die Fußwege, setzen sich auf die Bänke, oder starren auf den Teich. Dort leben Kois.









Das Beobachten von Fischen wirkt tatsächlich entspannend, nicht wahr?


*) Die polnische Netflix-Serie „Wielka Woda“ (gestartet Anfang Oktober) erinnert an diese Zeit.

Sonntag, 16. Oktober 2022

Pitcairn - das verkehrte Paradies

 Das Stück „Morgen kommt die Queen“ („Jutro przypłynie królowa“), gespielt soeben im Zeitgenössischen Theater in Wrocław (Uraufführung 2019), präsentiert eine fiktive Geschichte, die aber auf wahren Begebenheiten fußt. Maciej Wasielewski, Journalist und Autor, hat sie aufgeschrieben und 2013 veröffentlicht (Das Buch ist inzwischen vergriffen). Krzysztof Szekalski (Adaption) und  Piotr Łukaszczyk (Regie) erschufen aus diesem Material ein gelungenes Spektakel.  

       Zeitgenössisches Theater (Teatr Współczesny) 
        n Wrocław


Willkommen im Paradies?

Die Bühne befindet sich im dritten Stock des Theaters und nennt sich „Auf dem Dachboden“. Eigentlich ist das keine Bühne, sondern eine Fläche zwischen zweitgeteilten Reihen fürs Publikum. Wir, das Publikum, blicken zur Mitte des Saales. In einem Schienenkreis, der die Abgrenzung einer Insel symbolisiert, rollt sich die Historie auf. Ein Video-Einspieler soll unsere Fantasie beflügeln und ein Bild des Paradieses auf Erden hervorrufen. So beispielsweise:


Die besagte Insel existiert jedoch wirklich. Wer eine der früheren Bounty-Schokoriegel-Werbungen gesehen hat, kennt ihre paradiesische Anmut, auch wenn der Name selbst ziemlich unbekannt verbleibt: Pitcairn (genannt nach seinem Entdecker) liegt im Pazifik und ist die kleinste britische Kolonie.  

Verkehrte Regeln

Verfügen wir über einen angeborenen Sinn für Recht und Unrecht? Verlaufen die Grenzen dazwischen klar und deutlich? Was passiert, wenn Unrecht Recht wird? Und was bedeutet, in ein Unrecht-System hineingeboren zu sein?

"Ich begegnete auf Pitcairn Menschen, die sich jahrzehntelang gegenseitig ein unerträgliches Leid zugefügt haben und jetzt versuchen, sich nach den Traumen aufzurichten. Mein Buch zeichnet die Zeit auf, die vielleicht schon der Vergangenheit angehört“ – erklärt Maciej Wasielewski. 

Auf der Insel galten verkehrte Regeln: Die Vergewaltigungen von Frauen und Kindesmissbrauch gehörten zu den obersten Geboten und bestimmten den Alltag. Erst die Flucht von ein paar Frauen und ihre Aussagen führten zum Prozess 2004 und zur Verurteilung von vier Männern, unter anderem auch dem Bürgermeister. Nachdenklich stimmt jedoch der Umstand ein, dass diejenigen Einwohner, die im Prozess gegen die Vergewaltiger Zeugnis abgelegt haben, dem sozialen Ostrazismus unterzogen wurden: sie verdienten kein Vertrauen, heißt es auf der Insel.

Pitcairn unter uns

Dürfen wir uns moralisch überlegen fühlen? Wohl kaum. Pitcairn finden wir nicht nur weit weg, z.B. in Iran oder Afghanistan, sondern hier im Westen, wo die Frau auch oft zum Objekt degradiert wird und der Kindesmissbrauch neue digitale Dimensionen erreicht. Wir schauen leider viel zu selten genau hin und begnügen uns viel zu leicht mit den oberflächlichen Erkenntnissen. 

Mittwoch, 5. Oktober 2022

Das Putin-Theater

 Die einen wollen jetzt den Krieg in der Ukraine eifrieren, die anderen verlangen Gespräche mit jemandem, der nicht dafür bereit ist.

Ich wünsche mir nichts mehr als Frieden, deswegen stehe ich absolut sicher auf der Seite der Ukraine. 

                                                                             Lang lebe die Ukraine! 


Schauspiel eines Raubtiers

Vor dem 24.02.22 wollte ich auf Teufel komm raus Putin verstehen und ärgerte mich, dass man das gefährliche Raubtier unnötig reizt: mein schwerer Denkfehler. In Wirklichkeit lässt sich Putin nicht domestizieren. Er plante seinen Eroberungsfeldzug von langer Hand und spielte uns die ganze Zeit ein mieses Spektakel vor. Wir – sein Publikum – schauten nicht nur zu, sondern machten mit. Sowohl Politiker als auch die Gesellschaft. Damit ähnelten wir einer misshandelten Frau, die ihren Schläger-Mann entschuldigt: Er hat doch versprochen, dass er das nicht mehr tut. 

Wandeln mit Bedingungen

Obwohl ich fest davon überzeugt bin, dass der Mensch sich sein Leben lang wandeln kann – was für mich das Fundament des Christentums bedeutet -, bin ich keineswegs blauäugig und grenze meine These mit mindestens zwei Bedingungen ein:

- im ersten Schritt muss eine Selbstreflexion, eine Selbstanalyse erfolgen. Solange der Mensch nicht bereit ist, darüber nachzudenken, was er den anderen und auch sich selbst angetan hat, wird er sich nicht ändern können.

- im zweiten Schritt tritt die Übernahme der Verantwortung ein. Dies bedeutet, dass der Einsicht das Schuldgeständnis und – so weit es geht – die Wiedergutmachung folgen.

Wie sich die Welt dreht

Lässt sich meine These ins Politische übersetzen? Ja, selbstverständlich. Politiker sind doch Menschen – auch wenn die oder der eine, im Größenwahn befangen, diesen Umstand vergisst - und kochen nur mit Wasser. 

Fangen wir also mit der Selbstanalyse an. Putin analysiert zwar stets die ganze Welt, aber nicht sich selbst. Wenn er also – wie er anscheinend denkt - unfehlbar sei, müssten seine Gegner die Schuld an allem tragen. In seiner letzten Rede identifiziert er einmal mehr die Feinde eindeutig: es sei der Westen, der "Russland unbedingt brechen" wolle. 

Putin verbleibt also in seinem eigenen Universum aus dem letzten Jahrhundert. Für ihn war der Zusammenbruch der Sowjetunion eine "Tragödie".  Er will deshalb die Zeit zurückdrehen und die Sowjetunion wieder aufleben lassen.

Was er anstrebt, ist kein Frieden und kein Kompromiss, sondern die absolute Macht, um zu bestimmen, wie sich die Welt dreht. Oder auch nicht.