Mittwoch, 20. Oktober 2021

Das Märchen über Angela, Donald und Friede

Wer glaubt, dass die Entscheidungen in der Politik leicht nachvollziehbar wären, wenn man doch die Akteure kennt und weiß, aus welcher Partei sie kommen, der ähnelt einem Kind, das noch den Weihnachtsmann für wahr hält.

Nichts ist einfach im politischen Betrieb. Dass es auch dort menschelt, versteht sich von selbst. Darüber hinaus wird es fies gespielt, manipuliert und erpresst.  Alles der Macht wegen, der härtesten Droge. Was für ein Stoff für Verschwörungstheorien!

Na dann bastele ich mir nun eine Verschwörungstheorie oder ein Märchen – es kommt aufs Gleiche hinaus. Die früheren Fabeln hatten evident das Potenzial dazu.  Sie strotzten vor Kühnheit und Grausamkeit. 

Es war einmal eine Freundschaft.

Dicke Seile


Am Anfang stehen zwei Freundschaften, die stark sind wie dicke Seile, also Seilschaften. 

Junge Angela und junger Donald wohnen in zwei Ländern, trotzdem kennen sie sich in der vordigitalen Welt persönlich, treffen sich und wandern auch zusammen. Angela macht nach der Wende eine steile politische Karriere. Sie vergisst ihren Freund Donald dabei nicht und verschafft ihm ein hohes Pöstchen im europäischen Reich. Er soll dafür bloß als ihre Marionette agieren.

Die zweite Freundschaft-Seilschaft mit Friede ergibt sich als Nebenprodukt der Macht und dient auch deren Erhalt. Friede sorgt für die richtige Berichterstattung so überzeugend, dass die sogenannten seriösen Medien den lakaienhaften Ton und Inhalt übernehmen.  Seitdem wird nur Gutes über Angela in Medien erscheinen. Das Volk hört die beschönigten Erzählungen so oft, dass es sich nicht mehr traut, daran zu zweifeln.

Friede hat Geld. Das erleichtert die ganze Sache enorm. Angela hat es auch, aber sie kann bei weitem nicht mithalten. Im Vergleich mit Friede besitzt sie lediglich Peanuts. 

Appetit auf mehr


So weit, so gut. Angela herrscht, Friede wacht medial darüber. Es läuft wie geschmiert. 

Die Märchen (besonders die alten) bevölkern ebenfalls Monster. Dazu häufen sich darin auch Hindernisse und Verluste. So nähert sich unaufhörlich der Moment, indem sich Angelas Macht im Land dem Ende neigt. Was macht man in solcher Situation? Findet man sich damit ab? Man tut es jedenfalls, als ob. Und peilt ein größeres Ziel an. Was ist schon ein Land gegenüber von vielen Ländern? Angelas Appetit ist mit der Zeit gewachsen, ihr schwebt jetzt die Herrschaft über das große europäische Reich vor, in dem sie die wenigen Auserwählten selbst auswählen will und für den Rest gnädig die Reste vom Tisch vorsieht.

Dafür braucht sie jetzt Donald. Er muss ihr helfen ans Ziel zu kommen und dafür in sein Land zurückkehren. Seine Aufgabe ist klar. Donald solle die dortige Regierung ablösen, die Macht zurückerobern. Damit es dann im europäischen Reich alles nach dem Plan läuft. Der Auftrag lässt sich aber nicht von heute auf morgen erledigen.

Obendrein scheint Friede ihren Laden nicht mehr im Griff zu haben. Denn es gibt auf einmal Kritik über Angela.

Sie holt sich zwar Rat aus dem Osmanischen Reich und dem Land der Morgenröte. Das reicht jedoch nicht.

Ziemlich beste Freunde


Wozu hat man aber Freunde? Die mit dem Geld sind die besten. Sie schaffen nämlich neue Freunde im weiten europäischen Reich. Die alten und die neuen Freunde machen sich an die Arbeit und schießen sich bereitwillig auf die Gegner von Donald regelrecht ein. 

Friede wird auch mit Kritikern fertig. Gekonnt verwischt sie ihre Spuren und lässt die Amis, mit denen sie längst Geschäfte macht, die schmutzige Arbeit vollenden. 

Wer oder was kann jetzt Angela aufhalten? Die sieben Zwerge? Oder Schlümpfe? Teletubbies? Wenn sich aber die Zwerge und die Schlümpfe vereinen … Stopp! Da beginnt bereits ein anderes Märchen.

Mittwoch, 13. Oktober 2021

Rassismus, Sexismus, Diskriminierung - der Mechanismus ist gleich

Ihr glaubt, dass Ihr im Recht seid, wenn Ihr mal die einen, mal die anderen ausschließt? Weil Ihr am längeren Hebel sitzt und damit an der Macht (so klein sie auch sein mag) seid und die Regeln aufstellen könnt? Obacht Leute! So fängt es an. Bitte also nicht die Unschuldigen spielen. Ihr seid womöglich Mittäter, wie in dieser Szene aus dem Film "Blue Eyed".

"Jane Elliott: Warum haben Sie sie nicht verteidigt?
Teilnehmer des Experiments: Wenn Sie diese Frau schikanieren, dann trifft's nicht mich, so sind die Regeln. Ich lehne mich zurück und gehe in Deckung. 
Jane Elliott: Und überlassen sie ihrem Schicksal. Das ist es doch, warum Rassismus funktionieren kann, Leute. Darum kann Sexismus funktionieren, darum kann Diskriminierung alter Menschen funktionieren. Sich zurücklehnen und nichts unternehmen heißt. mit den Unterdrückern gemeinsame Sache machen."

Über dieses Experiment schrieb ich 2008 den nachfolgenden Artikel unter dem Titel „Experiment mit blauen Augen“ für suite101.de (eine nicht mehr existierende Plattform). Die Zeiten ändern sich, der Text bleibt aktuell:

"Das ist kein Spiel. Wenn das ein Spiel wäre, 
hätte jeder die gleichen Chancen." 


Aus einem an Schülern durchgeführten Experiment entwickelte Jane Elliott ein Trainingsprogramm. Das Ziel der Übung ist es, die Mechanismen des Rassismus zu begreifen. Wie sich das anfühlt, ausgeschlossen zu sein, soll endlich jede und jeder am eigenen Leib erfahren. So oder so ähnlich musste sich die amerikanische Lehrerin Jane Elliott gedacht haben, als sie nach der Ermordung von Martin Luther King (04.04.1968) ihre Schüler unterrichtete.

Zuerst spalten


Sie führte folgendes Experiment durch: Dafür teilte sie zuerst ihre Klasse in zwei Gruppen auf: die Blauäugigen und die Braunäugigen. Die Schüler mit den blauen Augen erhielten blaue Kragen um den Hals, damit man sie von den anderen auf den ersten Blick unterscheiden konnte. Die Lehrerin erklärte hierbei die Blauäugigen als minderwertig. Die Schüler mit den braunen Augen sollten als sowohl geistig wie auch körperlich überlegen gelten. Danach schlüpften die Kinder in ihre Rollen. Wobei die einen sich erniedrigen ließen und die anderen erniedrigt haben.

Vom Experiment zum Training


Aus diesem Experiment entwickelte Jane Elliott ein Trainingsprogramm und tingelte seit 1984 durchs Land. Im Jahr 1996 kam sie mit ihrem Programm zum ersten Mal nach Europa. Ihre Tätigkeit wurde von Anfang an dokumentiert. Der erste Film entstand im Jahr 1970 in ihrer Schulklasse. Einer ihrer Erwachsenen-Workshops wurde auch von den deutschen Filmemachern unter dem Titel „Blue Eyed. Blauäugig“ 1996 verfilmt*).

Darin erfahren wir, warum gerade diejenigen mit den blauen Augen diskriminiert werden sollten: Der Grund dafür war die bewusste Umkehrung des Nazi-Prinzips, nach dem die blauäugigen Arier zu selbsternannten Übermenschen zählten.

Der Film "Blue Eyed" lässt die Zuschauer dem Experiment beiwohnen und beobachten, wie Jane Elliott die Blauäugigen mit Hilfe von Braunäugigen maßregelt. Die Braunäugigen erreichten den Status von Verbündeten und viele Vorteile. Ihnen wurden unter anderem auch die Lösungen von IQ-Tests diktiert, damit sie sich als intelligenter erweisen. Sie sollten als Dank dafür nur mitmachen. Und sie machten mit.

Den Vorgang mit dem IQ-Tests-Verrat begründete Elliott so: Das ist keine Mogelei, sondern lediglich eine Verstärkung der Machtposition. Und sie ergänzte sofort, dass es in Amerika genauso in den Schulen zugehe. Sie kenne sich ja aus; sie arbeite schließlich über 20 Jahren als Lehrerin.

Pech, der falschen Gruppe anzugehören


Die blauäugigen Pechvögel mussten vor allem warten. Sie warteten isoliert von den anderen. Der Raum, in dem sie sich aufhielten, war klein und besaß keine Fenster. Für 17 Personen standen nur drei Stühle zur Verfügung.

Wenn sie später den Übungsraum betraten und sich setzen durften, reichten die Stühle auch nicht aus. So landeten sie wortwörtlich auf dem Boden. Die Hierarchie wurde damit anschaulich verdeutlicht. 

Vor allem aber sollten sie spuren. Ihnen wurden strenge Regeln auferlegt. Sie sollten ohne zu zögern gehorchen. Ihre Fehler wurden ausgiebig in der Gruppe besprochen, um sie zu verunsichern. Sie wurden ausgelacht und rüpelhaft getadelt. Bis die Tränen flossen.

Im Spiel hätte jeder und jede gleiche Chancen


Jane Elliott wunderte sich selbst, wie leicht es ihr fiel, ihre Macht während der Übung durchzusetzen. Die Einschüchterung funktioniert, verkündete sie abschießend. Den Einwand eines Teilnehmers, es wäre nur ein Spiel, erwiderte sie mit einer bitteren  Erkenntnis: "Das ist kein Spiel. Wenn das ein Spiel wäre, hätte jeder die gleichen Chancen." Und sie setzt noch eins drauf: "Glauben sie, dass es draußen gerecht zugeht?"

Wer unter den Blauäugigen jammerte, wurde sofort zurechtgewiesen: „Können Sie nicht einmal zweieinhalb Stunden aushalten, was die Schwarzen in diesem Land ihr ganzes Leben lang erdulden müssen?“ Ein weißer Blauäugiger-Teilnehmer gestand daraufhin verunsichert, dass es ihm Angst mache, selbst ein Teil dieses Systems zu sein.

Wozu das Ganze?


Was wollte Jane Elliott mit ihrem radikalen Experiment erreichen? Die Menschen sollten begreifen, was Rassismus sei. Sie sollten begreifen, was den Schwarzen, Schwulen, Lesben, Migranten, Frauen und anderen Benachteiligten jeden Tag zustoße.

Lassen sich aber auf diese Weise Verständnis und Einfühlungsvermögen beibringen? Lässt sich sogar die Realität ändern? Kann man Rassismus exorzieren?

Kritik oder wir wissen es besser


Wohl kaum, meinen viele Kritiker. Die Psychologen unter ihnen beanstandeten die schwarz-weiße Abbildung der Wirklichkeit. Susanne Lang und Rudolf Leiprecht kritisieren: „im praktischen Trainingshandeln ist ein konservativ-autoritäres Verständnis von Bildungsprozessen erkennbar. Darüber hinaus herrscht in der konkreten Interaktion mit den Teilnehmer(inne)n ein anti-dialogischer Kommunikationsstil vor“. (Susanne Lang, Rolf Leiprecht, Autoritarismus als antirassistisches Lernziel? 2001)

Rassismus „ist mehr als ein Set gängiger Vorurteile, Klischees und Stereotype gegenüber Migrant(inn)en bzw. ethnischen Minderheiten“, lautet der Vorwurf von Christoph Butterwegge (in „Rechtsextremismus als Herausforderung für Politik und Sozialpädagogik“ 2002). „Sinnvoller erscheint da schon ein `Argumentationstraining gegen Stammtischparolen`“, führt er weiter aus.

Trotz Kritik wurde das Konzept von Jane Elliott aufgegriffen und verbreitete sich auch in Europa. In Deutschland wurde der Eye-to-Eye-Verein gegründet. Nach Elliots Vorbild leiten deren Trainer Übungen, die den Teilnehmern das Gefühl des Machtmissbrauchs und die Ohnmacht der Unterdrückten nachempfinden lassen sollen.


*) Buch und Regie, Bertram Verhaag, 1996.

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