Donnerstag, 18. Mai 2017

Heilige Merkel und andere Gedankenspiele über die Demokratie

Ich lese und staune. „Spiegel“ will Merkel als unantastbar sehen: „Selbst wenn die CDU-Chefin wie am Montag einen Fehler einräumen muss, weil sie im NRW-Wahlkampf eine falsche Zahl gegen die abgewählte rot-grüne Landesregierung verwendet hatte, nimmt davon kaum einer Notiz.“ Ist das noch Journalismus oder schon Heiligsprechung? Merkel als Politikerin für Journalisten unantastbar? Hallo?

                                                                     Ein Retter der Demokratie? Screenshot

Gefahren und Fragen


Zur selben Zeit schlägt man Alarm über die angeblichen Gefahren für die Pressefreiheit in Polen, obwohl die Deutschen dort kräftig mitmischen. Die Tageszeitung „Fakt“, vom Verlag – ach, was für eine Überraschung! - Axel Springer Polska herausgegeben, ist bei unseren Nachbarn die Marktführerin. Das passt nicht ganz zum Feindbild, das man hier kreieren will: die böse polnische Regierung, vor der das ganze Land zittern muss. Zittern?! Ähm…  Kann es sein, dass es sich hier um Ablenkungsmanöver handelt? Nur eine Frage.

Retter der Demokratie oder „was wäre, wenn“?


Vor diesem Hintergrund klingt der Titel eines Artikels von „Rzeczpospolita“, einer konservativ-liberalen und durchaus kritischen gegenüber der neuen Regierung Tageszeitung, ziemlich provokant: „Kaczyński rettet die Demokratie.“  Der Autor, Marek Migalski, ist ein Politologe. Er wurde aus der Liste der heute regierenden PiS-(Recht und Gerechtigkeit)-Partei in das Europäische Parlament gewählt. Nach seiner öffentlichen Kritik 2010 von Jarosław Kaczyński wurde er aus der PiS-Delegation ausgeschlossen.

Marek Migalski lässt sich in seinem Text auf ein Denkexperiment ein: Was wäre mit der von allen so geliebten Demokratie passiert, wenn die Vorgängerregierung – die Bürgerplattform (PO) von Donald Tusk – gewonnen hätte:
 
„Im Verfassungsgericht säßen wahrscheinlich… illegal gewählten Richter, nur diesmal nicht jene, die PiS-Partei vorgeschlagen hat, sondern diejenigen, die von der vorherigen parlamentarischen Mehrheit ausgesucht wurden. (…)

Wenn die Bürgerplattform gewonnen hätte, führten weiterhin die Kumpaninnen von der früheren Ministerpräsidentin Ewa Kopacz das Innenministerium (MSWiA). (…)

Es lohnt sich vielleicht zu überlegen, ob wir ohne Machtwechsel nicht mit der Fortsetzung der wilden und skandalösen Reprivatisierung in der Hauptstadt zu tun hätten, während weitere hunderte von Menschen in der Majestät des Rechts zerstört würden.  (…)

Wenn die PiS-Partei nicht gewonnen hätte, gingen Milliarden Zlotys (polnische Währung) wieder für die Einfälle von den PR-Leuten der Bürgerplattform, statt in die Taschen der Bürger. (…)

Was Medien betrifft,  sie waren immer ein Lautsprecher der Propaganda von den Regierenden und niemand kann uns garantieren, dass dies nicht passiert wäre, wenn die vorherigen Machthaber in 2015 gewonnen hätten. (…)

Ist daher vielleicht – paradox – der Wahlsieg von der PiS-Partei und ihre Regierung die Rettung für die polnische Demokratie? Nicht weil Kaczyński und seine Prätorianer Fanatiker der Demokratie wären, sondern weil sie die Fortsetzung der Macht von einer Mannschaft verhindert haben, die sich während ihrer dritten Amtszeit unausweichlich degeneriert hätte. So wie sich auch das politische System degeneriert hätte.“

Rein zufällig


Unbedingt will ich noch hinzufügen, dass die Ähnlichkeiten mit den hiesigen Gegebenheiten rein zufällig sind.

Freitag, 12. Mai 2017

Limousinen, Gericht und Gerechtigkeit. Aus Sicht der polnischen Ministerpräsidentin Beata Szydło

Inzwischen ist Beata Szydło auch hierzulande keine unbekannte Person mehr. Dennoch erscheint sie uns nach wie vor sphinxhaft. In einem Interview für die polnische Zeitung „Rzeczpospolita“ spricht sie jetzt über aktuelle Themen und über ihre Regierung.


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Mit den Limousinen ist es vorbei,


verkündet die polnische Ministerpräsidentin in dem Gespräch mit Michał Szułdrzyński i Jacek Nizinkiewicz Eine Limousine bedeutet auf Polnisch einen großen Luxuswagen.  Einige von diesen Autos, die den Ministern zur Verfügung stehen, wurden in Unfällen zertrümmert.  Derartige Ereignisse überschatten Erfolge der Regierung. 

"Ich habe klar meine Erwartungen den Ministern mitgeteilt. Wir sind ein Team. Wenn ein Mitglied nicht mithalten kann, muss man ihn auswechseln. Wir müssen nicht nur geschlossen und loyal sein, sondern auch diszipliniert, weil wir erst dann in der Lage sind, unsere Versprechungen einzuhalten“, erklärt Beata Szydło.  

Als die Journalisten nachhaken, ob ein Umbau der Regierung ansteht, weicht sie aus: „Ich gebe meinen Ministern Zeit. Wenn sie keine Schlussfolgerungen ziehen, werde ich Entscheidungen treffen müssen. Momentan beobachte ich alles aufmerksam.“

Mädchen und Marionetten


Sowohl die hiesigen Medien wie auch die polnische Opposition wollen in Beata Szydło lediglich eine Marionette vom allmächtigen Parteivorsitzenden der PiS-Partei (Recht und Gerechtigkeit) sehen. Abwechselnd wurde sie Kaczyńskis Mädchen genannt, ähnlich wie früher Merkel als Kohls Mädchen.

Gefragt nach der Art ihres Verhältnisses zu Jarosław Kaczyński - ob es eine stetige Verbindung gibt -, antwortet Beata Szydło: "Aber selbstverständlich. Die Regierung ist eine Emanation der Partei. Die Regierung geht aus der Partei hervor. Es wäre unnatürlich, wenn ein Vorsitzender der Partei, die die Regierung gestellt hat, nicht stets den Kontakt zum Chef der Regierung gehalten hätte. Genauso wie zu anderen staatlichen Gremien. In derselben Weise funktioniert dies doch auch in den westlichen Demokratien¸ eine Regierung ist eine Emanation der parlamentarischen Mehrheit und es ist schwer vorstellbar, dass sie ihr Programm außerhalb dieser Mehrheit realisieren könnte."

Rechtsstaatlichkeit und Eliten 


Beata Szydło lehnt ein Referendum über einen möglichen Austritt aus der EU ab. Polen ohne die EU sei schwach. 

In der EU wird Polen unterdessen misstrauisch betrachtet. Der Vizepräsident der EU-Kommission Frans Timmermans sorgt sich um die Rechtsstaatlichkeit in Polen. In einem Interview für Die Zeit sagt er: „In Polen wird die Demokratie aber derzeit dazu benutzt, den Rechtsstaat auszuhöhlen. Die Richter sollen ausführen, was die politische Mehrheit will. Wenn in unseren europäischen Gesellschaften der Gedanke gewinnt, dass derjenige, der die Mehrheit hat, alles bestimmt, dann gibt es keine EU mehr.“

Auf diese Vorwürfe reagiert Beata Szydło mit Unverständnis: "Ich weiß nicht, wieso er sowas behauptet. Der polnischen Rechtsstaatlichkeit geht es sehr gut. Wir sind für eine meritorische und ehrliche Diskussion offen. Der Missbrauch der EU-Kommission zum politischen Kampf führt zur institutionellen Krise der Europäischen Union.“ 

Alle eingeführten Änderungen entsprechen der polnischen Konstitution. Die von der OSZE kritisierte Reform des Gerichtswesens sei nötig. "Wie jede Änderung, die die PiS-Partei einführt, schmerzt sie diese Gremien, die ihre Privilegien verlieren. Für uns ist das Wohlwollen der Allgemeinheit wichtig und nicht lediglich jenes der Eliten. Wir wollen, dass die Gerichte wirklich ihre Rolle erfüllen und dass die Menschen auf zügige, ehrliche und gerechte Entscheidungen in ihren Angelegenheiten hoffen können. Die Gerechtigkeit muss in die Gerichte zurückkehren.“

Dienstag, 2. Mai 2017

Schluckauf oder Leitkultur

Wie ein lästiger Schluckauf kehrt in unregelmäßigen Abständen die Debatte über die Leitkultur wieder. Für mich ist sie ein Zeichen der Angst und der Schwäche. Schaut mal her – will der eine oder andere leitende Kulturelle damit sagen – ich bin besser als Ihr, versucht Euch also nicht mit mir anzulegen, sondern folgt mir widerstandslos. Solch eine leitkulturelle Person fürchtet, dass es Menschen geben könnte, die die leitkulturellen Traditionen und Gewohnheiten zu verändern beabsichtigen. Eine darauffolgende logische Reaktion ist die Abschottung.


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Kann eine Kultur leiten?


Eine grundsätzliche Frage, die man zuerst beantworten müsste, lautet: Kann eine Kultur überhaupt leiten? Oder verlangen, dass man ihr befolgt? Mit welchen Mitteln? Per Dekret? 

Für Thomas de Maizière  gibt es keine Zweifel. Ja, die DEUTSCHE Kultur kann leiten. Wenn man aber Kultur mit dem Adjektiv „deutsch“ versieht, erscheint sie dann noch harmlos, oder zeigt sie schon ihre hässliche nationalistische Fratze?  Lassen wir jedoch den Nationalismus beiseite. Die Ausführungen des Bundesinnenministers sind auch sonst widersprüchlich genug.

Wie offen ist eine geschlossene Gesellschaft?


De Maizière  widerspricht sich selbst, wenn er zum Beispiel behauptet: „Wir sind eine offene Gesellschaft.“ Eine offene Gesellschaft im Gegensatz zu einer alten besserwisserischen Tante setzt per definitionem keine Verhaltensregeln fest. Eine offene Gesellschaft ist neugierig auf das Neue, das Unbekannte. Eine offene Gesellschaft ist wissbegierig und bereit, stets zu lernen. Dagegen zeichnet eine geschlossene Gesellschaft nicht nur im hohen Grad Misstrauen bis Feindlichkeit dem Unbekannten gegenüber, solch eine Gesellschaft lässt meist keine gleichberechtigte Behandlung und Mitarbeit zu. 

Deutschland ist trotz anders lautenden Bekundungen – darunter auch der von Thomas de Maizière – lediglich bedingt offen und auch dann oft an der falschen Stelle. 

Leistung über alles?


De Maizière behauptet, dass der Leistungsgedanke nach wie vor die Geschicke in Deutschland antreibt. Da muss ich sehr laut widersprechen. Wäre dies der Fall, hätten wir kaum Probleme hierzulande. Es gäbe überall gerechte Löhne, die zum Leben reichen, Wohnungen, die bezahlt bleiben, Kinder, die entsprechend ihren Bedürfnissen und Talenten gefördert wären. Da der Leistungsgedanke auch den ebenso wichtigen Solidaritätsgedanken beinhalten muss, gäbe es keine Korruption, keinen Machtmissbrauch und keine Machtarroganz. Wir hätten nicht täglich zusehen müssen, wie Menschen in den Abfällen kramen, weil niemand schätzen will, was sie geleistet haben. Ferner gäbe es kein menschenverachtendes Hartz IV, weil sich dabei nicht um die fehlende Leistung handelt, sondern um eine künstlich erhaltene Kolonne der Verlierer, damit der Rest spurt.

Ein Leistungsgedanke ist vom Gerechtigkeitsprinzip nicht zu trennen. Und dieses vermisse ich schmerzlich, geehrter Herr De Maizière. Daher bitte ich Sie, faseln Sie nicht über Leistung, sonst wird mir schlecht.

Doch Burka


„Wir sind nicht Burka“, verkündet unser aller Minister. Tatsächlich? Wer sich hinter hehren Parolen versteckt, Probleme verschweigt und Menschen dreist ignoriert, der ist sowas von Burka, bis zum Geht-nicht-mehr.