Dienstag, 31. Oktober 2023

Wenn die Bild manifestiert und der Spiegel kritisiert

 Diskussionen zu den besonders brenzligen Themen führt man in Deutschland nach dem Prinzip der Pawlowschen Hunde. Es werden konditionierte Meinungen verkündet, gefolgt von konditionierten Reaktionen.  Das Thema bleibt dabei meist weitgehend unberührt. Diesmal läuft es etwas anders ab, obwohl sich die üblichen Denk-Lager gegenüber stehen.


"Das gilt es zu verteidigen"

Die Bild hat sich mit einem Manifest (sie sind neulich in Mode) zu Wort gemeldet. Der Spiegel kritisiert es bereits mit der Schlagzeile: „Wie die »Bild«-Zeitung Vorurteile und Hass schürt“. So weit, so gut; es bleibt alles, wie gehabt - die "Guten" gegen die "Bösen". 

Den Anlass zur Bild-Aktion glaubt der Spiegel zu kennen: die propalästinensischen Demonstrationen in den vergangenen Wochen. 

„Das Manifest soll »Nein« sagen zu diesen Menschen, die die »Bild«-Zeitung nicht klar benennt. Es soll »Eine Leitidee für das, was unsere freie Gesellschaft zusammenhält« sein. Und: »Der Text richtet sich an alle Menschen, die in Deutschland leben.« (Spiegel)

Der Vorwurf, den der Spiegel u.a. erhebt, lautet: die Bild lässt die alte Leitkultur-Debatte wiederaufflammen.  

Nein, das tut sie nicht. Der Begriff „Leitkultur“ erhöht eine, während er die anderen Kulturen als weniger wertigen abzustempeln scheint. Anders verhält es sich mit dem Ausdruck „Regel“. Regeln gelten, oder zumindest sollten sie, für alle.

„In unserem so ­wunderbaren und umarmenden Land ist die Würde JEDES Menschen unantastbar: Egal, welche Haarfarbe er hat, welche Sprache sie spricht, woran man glaubt. Das gilt es zu verteidigen! Wenn wir jetzt stolpern, dann fallen wir.“ (Bild)

Überlege dir deine Punkte

Die Bild sprang hier über eigenen Schatten und brach mit ihren eigenen alten gewohnten Diskussionsmustern. Sie hat uns, Migranten, in die Gesellschaft einbezogen.

Über jeden der 50 Punkte des Bild-Manifests kann man und hoffentlich wird man auch streiten. Nicht aber über den ersten:

„1. Für jeden, der in ­Deutschland lebt, gilt Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“!“

JA! Hoch lebe das Grundgesetz!


Dienstag, 10. Oktober 2023

Die Naiven und die Diktaturen

 Das Sprengel Museum in Hannover erinnerte neulich an die "naiven" Künstler der 1920er und 1930er-Jahre, auch „moderne Primitive“ oder „Outsider Art“ genannt, und an eine Schau, die die Pariser Weltausstellung 1937 begleitete. Die hier präsentierten Werke wurden eben dort ausgestellt. Damals sollten sie „ein bewusstes Gegenbild zu den totalitären Staaten Deutschland und der UdSSR“ setzen.

Edith Dettmann, Mädchen am Fischteich, 1931


Adolf Dietrich, Hermelin und tote Möwe 
in Mondscheinlandschaft, 1908

Camille Bombois, Akt


René Margritte, Das Vergnügen, 1927


Camille Bombois, Ohne Titel, 1935


August Macke, Fingerhüte im Garten, 1912

Zwischen den „naiven“ Künstlern sticht mit ihrem ungewöhnlichen Werdegang und Lebenslauf Séraphine Louis hervor. Ihr Entdecker, der deutsche Kunsthändler Wilhelm Uhde, zählte sie zu den von ihm genannten "fünf primitiven Meistern" (Rousseau, Vivin, Bombois, Bauchant, Seraphine). Sie war zuerst Nonne, dann arbeitete sie als Putzfrau. So lernte sie Uhde kennen.

Séraphine Louis, Blumentrauben auf einer Wiese, 1927

Sobald man das Sprengel Museum verlässt, blickt man wieder auf die 30er Jahre: auf den 2,4 Kilometer langen, 180 bis 530 Meter breiten und nur rund zwei Meter tiefen Maschsee. Nazis posaunten den See propagandistisch als "völkische Tat" raus. Sie logen, wie immer. Denn das Projekt existiert bereits 1876 und "die technischen Details legt 1925 Otto Franzius fest, Professor an der Technischen Hochschule Hannover."



Was ist aber mit der Kunst drumherum?  Die Skulpturen stammen aus der Nazi-Zeit und entsprechen den damaligen Vorstellungen. 

Die 20 Meter hohe Säule mit dem Fackelträger hat Fritz Beindorff gesponsert. Er gehörte 1932 "zu den Unterzeichnern einer Eingabe von Industriellen und Bankiers an Paul von Hindenburg, die die Kanzlerschaft Hitlers forderte"(Wikipedia).



"Fackelträger" von Hermann Scheuernstuhl.

Die beiden Bronzelöwen kommen aus der Hand Arnos Breker. dem durch Hitler geförderten Bildhauer.



"Das Menschenpaar" erschuf Georg Kolbe, dessen Werke Hitler kaufte. Dennoch ließ er sich nicht wie die „Staatsbildhauer“ Arno Breker und Josef Thorak vereinnahmen (Wikipedia).


Es bleibt die Frage, wer hier naiv ist.