Donnerstag, 10. März 2016

Das Verfassungsgericht: zwei Länder, ein Szenario

Die Empörung über die Missachtung des Verfassungsgerichts durch die polnische Regierung ist sowohl intern wie auch international groß. Soeben haben die polnischen Verfassungsrichter die letzte Justizreform für verfassungswidrig erklärt. Die Entscheidung der Venedig-Kommission wird noch erwartet. Dieser Empörung steht die Wut der gescholtenen Politiker gegenüber.

Fällt uns aber nicht zu leicht, sich über die anderen aufzuregen, als selbstkritisch zu sein? Sieht man hierzulande wirklich den Balken im eigenen Auge nicht?


                                                                                                                                         Screenhot

Der Rebell und die Rebellin in uns


Wer mag schon all die Aufpasser, die Beobachter, all diejenigen, die immer recht haben? Da wacht in uns beinahe zwangsläufig ein Rebell oder eine Rebellin auf.  Damit lassen sich die zum Teil wütenden Reaktionen der Politiker auf die Entscheidungen des Verfassungsgerichts leicht erklären, aber nicht entschuldigen. Die Politiker müssen doch besser wissen, dass die Kontrolle für eine Demokratie unerlässlich ist. Wer denkt, dass ich jetzt über Polen spreche, irrt leider.

Das gleiche Szenario auf den beiden Seiten der Grenze


Die polnische Regierung vollzog lediglich ein Szenario, das in den deutschen Köpfen seit langem spuckt. So wollten vor kurzem die Politiker aus der CDU/CSU-Fraktion mehr Einfluss auf die Wahl der Verfassungsrichter haben, weil sie sich über „linke“ Urteile und zu viel Verständnis für die Minderheiten ärgerten. 

Jene Richter wurden bis jetzt mit Zweidrittelmehrheit von beiden Kammern des Parlaments gewählt: „Das Bundesverfassungsgericht besteht aus sechzehn Richterinnen und Richtern. Die eine Hälfte wählt der Bundestag, die andere der Bundesrat, jeweils mit Zweidrittelmehrheit. Die Amtszeit beträgt zwölf Jahre. Eine Wiederwahl ist ausgeschlossen.“

Mit mehr Einfluss bei dieser Wahl erhoffen sich die Politiker solche Richter, die ihnen nach dem Mund reden. Unser Bundesinnenminister Thomas de Maizière träumt auch, wie der Spiegel online berichtet, über mehr Einfluss und die Beschneidung der Zuständigkeit des Verfassungsgerichts.

Sie mischen sich ein!


Der am häufigsten geäußerte Vorwurf der Einmischung in die Politik ist - vorsichtig ausgedrückt – absurd. Wie sollen sich denn die Verfassungsrichter nicht in die Politik einmischen? Kann etwas mehr politisch als die Prüfung von Gesetzen sein? Die Politiker verabschieden Gesetze. Das Bundesverfassungsgericht prüft ihre Verfassungsmäßigkeit, dadurch nimmt das Gericht seine Aufgaben wahr.

Theoretisch sollen sich alle politischen Spieler an die Verfassung – das Grundgesetz – halten: "Gemäß Art. 20 III GG müssen alle drei Gewalten (Gesetzgebung, Verwaltung, Rechtsprechung, Anm. GG) die verfassungsmäßige Ordnung von vornherein schützen. Das Bundesverfassungsgericht kann dabei immer noch rückwirkend korrigierend eingreifen, wobei es nur auf Antrag tätig wird." Aber nur das Bundesverfassungsgericht verfügt über das Entscheidungsmonopol.

"Mund der Verfassung“ oder mundtot


Die mehr oder weniger berechtigte Kritik am Verfassungsgericht - dem "Mund der Verfassung" - zu äußern ist eine Sache, seine Kompetenzen durch die Änderung des Grundgesetzes zu beschränken steht auf einem anderen Blatt. Wenn derartige Pläne der Bundestagspräsident Norbert Lammert schmiedet, sieht es ganz erst aus. Muss man seine Äußerungen als eine Warnung an das Verfassungsgericht verstehen? 

Wer sich danach sehnt, die Arbeit einer unbequemen Instanz unmöglich zu machen und sie auszuschalten, soll sich in Polen umsehen. Die polnische Regierung hat es vorgemacht.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen