Mittwoch, 2. März 2016

Wo bleibt das deutsche Spotlight?

„Spotlight“, gerade als der beste Film mit dem Oscar ausgezeichnet, erzählt gründlich solide eine wahre Geschichte. Es ist ein Enthüllungsdrama. Bei dieser Bezeichnung erwartet man eine Story, die weitgehend der Öffentlichkeit unbekannt ist. Daher bedarf es mutiger und unermüdlicher Menschen, die jenen Stoff Schicht für Schicht enthüllen.


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Wieso nicht?


Dem ist aber nicht so. Die Story wird zwar tatsächlich mühsam aufgedeckt und veröffentlicht. Wirklich unbekannt ist sie aber nicht. Irgendwie wusste man darüber schon viel früher, nur wollte man sich nicht damit beschäftigen. Wieso? Weil es einen nicht persönlich betrifft? Weil das kein geeignetes Thema für die Profilierung ist? Weil so viele ein Auge zudrücken und an der Wahrheit nicht interessiert sind? Weil die Täter in allen Gremien und auf allen Ebenen zu finden sind? Weil die Scheinheiligkeit der sogenannten christlichen Werte und deren Eliten dadurch bedroht wären?

Tatsächlich stellen sich die entschlossenen Entdecker im Film eben diese Frage, ohne sie zu beantworten: Wieso haben sie nicht früher auf die bekannten Vorfälle und Informationen reagiert?

Keine Einzeltäter, sondern das System


Marty Baron, der neue Herausgeber von The Boston Globe und Initiator der ganzen erfolgreichen Recherche begnügt sich nicht mit den Einzeltätern. Er will das ganze System bloßstellen. Das System, in dem man „die ein paar faulen Äpfel“ gerne verschweigt und deckt. Das System, in dem man sich die Schutzlosesten unter den Schutzlosen aussucht: Es handelt sich meist um die Kinder aus den armen, zerrütteten Familien. Das System, in dem eine Hand so gut die andere Hand wäscht.

Fokus auf die Betroffenen gerichtet


Was den Film einzigartig macht, ist die Fokussierung auf die Betroffenen. Sie sind fast ausschließlich männlich. Das hängt mit dem Milieu zusammen, in dem die Verbrechen geschehen. Die Täter sind pädophile Priester, als Bühne fungiert die katholische Kirche, die den Kindesmissbrauch vertuscht. 

Mit seltener Klarheit erfahren wir über die Konsequenzen des Missbrauchs, welche Folgen daraus für das Schicksal von den Kindern resultieren. Auch wenn einige von ihnen Glück hatten und es ihnen gelang, einen Beruf zu finden oder eine Familie zu gründen, werden sie nach den Jahrzehnten von den Erinnerungen überwältigt und brechen in den Gesprächen mit den Journalisten zusammen. Die anderen verfallen dem Alkohol oder den Drogen und versuchen auf diesem Weg das eigene Gedächtnis zu überlisten.

Denn wer sich nur auf das Verbrechen konzentriert, der übersieht – wissentlich oder unbeabsichtigt -, dass die missbrauchten Kinder – brutal, aber wahrheitsgemäß gesagt – doppelt gefickt wurden. Das erste Mal vom Täter, das zweite Mal von der Gesellschaft, die sie mit den Auswirkungen des Missbrauchs allein lässt und sie dafür anprangert und ausschließt.

Kindesmissbrauch in Deutschland


Der Film spielt weit weg in Boston, in Amerika. Das ist kein Trost für uns. Der Missbrauch von Kindern passiert überall. Auch in Deutschland findet er massenhaft statt. In den Familien, Vereinen und Institutionen. Dieser Herausforderung hat sich die Politik noch nicht hinreichend angenommen, mahnt Johannes-Wilhelm Rörig, der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung. Wann also kommt das deutsche Spotlight?


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