Wer hat Angst vor dem Islam?
Die kurze Antwort auf die obige Frage lautet: die Mehrheit. Eine Bertelsmann-Studie zählte im Jahr 2012 53 Prozent, zwei Jahre später schon 57 Prozent der beängstigten Bevölkerung.
Mehmet Gürcan Daimagüler, Rechtsanwalt und Autor, versuchte bei Anne Will dafür eine Erklärung zu finden: Tagtäglich werden wir mit den bedrohlichen Nachrichten bombardiert, die den Vormarsch und Gräueltaten der Islamisten übermitteln. Dazu komme noch die fehlende Differenzierung zwischen den radikalen Kräften und dem Islam. Die überwiegende Mehrheit der hier lebenden Muslime sei friedlich. Die Religion spiele in ihrem Leben eine genauso geringe Rolle wie bei den christlichen Bürgern und beschränkt sich zur festlichen Tradition. Eine reale, von diesen Muslimen ausgehende, Bedrohung existiere nicht.
Die weit verbreitete Angst kümmert sich in diesem Fall nicht um die Fakten und hat mit dem rationalen Denken nichts zu tun. Dies beweist ebenfalls die erwähnte Studie: Am meisten fürchtet man die Muslime dort, wo sie am wenigsten vertreten sind.
Führen wir eine Ersatzdiskussion?
Wieso dämonisieren wir jedoch überhaupt eine Religion, die doch ausschließlich eine private Angelegenheit sein sollte? In einem Staat, wo die Trennung von Kirche seine Fundamente bildet, müsste man kaum eine Notiz von den unterschiedlichen religiösen Überzeugungen nehmen. Weil sich in seinen Strukturen kein Platz für eine mitentscheidende Religion findet.
Für dieses Phänomen gibt es unzählige Gründe. Der wichtigste liegt darin, dass wir beim Glauben den Bereich der Logik verlassen. Ein Staat, der sich von einer Religion (egal welche) führen lässt, entzieht sich der Kontrolle des Menschen. Denn alles geschieht angeblich in Gottes Namen.
Wir erschrecken vor den Islamisten, die eben dieses Modell eines Gottesstaates anstreben, übersehen aber zugleich, dass sich auch in Deutschland die Religion dort einmischt, wo sie nichts zu suchen hat.
Ist die Trennung von Staat und Kirche wirklich vollzogen?
Reflexartig bejahen wir die Trennung von Staat und Kirche und verstehen jene als eine zivilisatorische Errungenschaft. Den Beweis, dass dies der Wirklichkeit entspricht, sind wir dennoch schuldig.
Besorgt um den Einfluss des Islams übersehen wir die Macht der eigenen Kirchen. Ist die Trennung also eine Illusion? Regieren die Kirchen nach wie vor mit?
Den christlichen Glauben schreiben die regierenden Parteien CDU und CSU in ihren Namen fest. Dieser Umstand reicht nicht als Beweis für eine Vermischung vom Glauben und der Politik. Vielmehr geht es um die weltlichen Interessen der Kirchen und ihre Stellung im Staat: oft ist das nämlich eine Stellung über dem Gesetz.
Kirchen sind gleicher
Die Gesetze müssen in einem demokratischen Staat für alle gleich gelten. Die Kirchen scheinen trotzdem gleicher als gleich zu sein. Als Arbeitgeber beuten sie Menschen aus und ignorieren Arbeiter- und Menschenrechte. Sie lehnen die Gleichstellung von Frau und Mann (besonders die katholische Kirche) und verstoßen somit gegen das Grundgesetz. Ihre Finanzen verheimlichen sie und entziehen sich der Kontrolle des Staates. Ihr Vermögen ist dabei riesig groß. Der Kirchenkritiker Carsten Frerk schätzt sie auf 430 Milliarden Euro.
Unsere Kirchen scheinen keinen Staat zu brauchen. Sie erheben sich über ihn und seine Gesetze, folgen stattdessen ihren eigenen. Sie sind der Staat im Staate.
Die Angst vor der Vermischung des Staatlichen und des Kirchlichen (oder allgemein: Religiösen - unabhängig davon, um welche Religion sich handelt) - diese Angst ist durchaus berechtigt.