Sonntag, 21. Juli 2024

Geht es nicht ohne Stress?

 Über Mangel kann man sich diesbezüglich nicht beklagen, daher hätte ich die Titelfrage mit einer kurzen Antwort erledigen können: anscheinend nicht. Es lohnt sich aber genauer hinzuschauen. Denn Stress ist nicht gleich Stress. Es gibt einen guten und einen, der uns zerstört. 


Wie Schnee in der Sonne


Der normale Stress begleitet uns auf dem Weg zu einer Herausforderung, einer neuen Situation, einem großen Ereignis. Wer kennt kein Lampenfieber? Na gut, es soll ein paar Psychopathen geben, die keine Ahnung davon haben; der Rest fiebert jedoch dem Unbekannten entgegen, auch wenn mit unterschiedlicher Intensität. 

Im Laufe der Zeit legt sich die Aufregung und die Routine hält den Einzug. Das bedeutet also, dass derartiger Stress langsam schmilzt, wie der Schnee in der Sonne. 

Wozu braucht man jedoch  einen derartigen eingebauten „Mechanismus“? Bestimmt  erfüllt diese „Alarmbereitschaft“ unseres Organismus eine Schutzfunktion und schärft unsere Sinne für die bevorstehenden Aufgaben. Sobald wir jedoch den Ablauf verinnerlicht haben, brauchen wir keine Warnung mehr. Der gute Stress darf verschwinden. 

 Die Steine, die uns treffen


Mögt ihr beschimpft, beleidigt, belügt oder betrogen werden? Nein? Ich auch nicht. Natürlich sind wir, Menschen, keine Engel, und jeder von uns hat schon jemanden beschimpft, belogen usw. „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein …“ Da hatte Jesus auf den Punkt getroffen. 

Wo liegt also das Problem? In der Verletzlichkeit. Denn die verschiedenen schmerzenden Ereignisse können Spuren hinterlassen. 

Bei Wiederholung von gleichen oder ähnlichen Situationen wird unsere Reaktion stärker ausfallen, anders als im Fall des „guten“ Stresses. Allerdings sollten wir uns nicht darüber wundern. Wenn jemand auf eine frische Wunde eingeschlagen hätte, würde er unser Leid vergrößern. Wer tut so was? Ein Perversling, ein Sadist, kein normaler Mensch.  Dieses Schwein hätten wir sofort wegen Körperverletzung angezeigt. 

Psychische Wunden sieht man aber nicht. Daher entgeht uns oft, dass wir unbeabsichtigt jemandem wehtun. Wir wundern uns danach über eine für uns unverständlich heftige Reaktion. Dabei haben wir sie doch selbst mit unseren „Steinen“ verursacht. Kein Wunder, dass sich die Betroffenen so verhalten, wie sie sich verhalten. Die Psychologen sprechen in diesem Fall über Sensitivierung, die Außenstehenden - über Verrücktheit. 

Was unsere Seele verletzt, macht uns also nicht stärker, sondern empfindlicher, dünnhäutiger. Das Leben wird dadurch bestimmt nicht leichter. 


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