Mittwoch, 31. Juli 2024

Imagine Paris 2024. Teil 2

 Vier Tage brauchte Polens Premier Donald Tusk, um sich seine Reaktion zu überlegen. Unterdessen kommentierten die Suspendierung von Przemysław Babiarz Medien weltweit, wie z. B. "Washington Post."

An der Seine in Paris

Fechten oder nicht fechten

Dem Kommentar von Babiarz über "Imagine" während der Eröffnungsfeier folgte die Suspendierung des Journalisten. TVP - der polnische ÖRR - verkündete ihre Entscheidung unverzüglich:

„Gegenseitiges Verständnis, Toleranz, Versöhnung - das sind nicht nur olympische Ideen, sondern auch das Fundament, auf dem sich die Standards des neuen polnischen Fernsehens (nach der Machtübernahme von Tusk) stützen. Wir lassen nicht zu, dass sie gebrochen werden.“ 

Jetzt versucht Tusk auf "X" (Twitter) salomonisch zu urteilen:

"Man weiß nicht, was dümmer war: der Kommentar von Herrn Babiarz oder die Entscheidung seiner Vorgesetzten. In beiden Fällen - olympisches Niveau. (..) Zum Glück bedeuten die wahren Olympischen Spiele Fechterinnen und Volleyballer und nicht Redakteure und Direktoren. Bravo meine Damen und Herren!"

Worauf Tusk anspielt, sind die neuesten sportlichen Ergebnisse: Die polnischen Fechterinnen haben in Paris Bronzemedaille gewonnen; Volleyballer besiegten Brasilien 3:2 und sicherten sich damit den Platz im Viertelfinale. 

Tusks Kommentar klingt nobel, ist schlau, löst aber das Problem mitnichten. Das weiß er natürlich und lenkt ab.

Dumme Andersdenkende

Unterdessen ändert sich für Babiarz nichts, trotz Proteste von Journalisten, Sportler und Zuschauern. Über 100 Personen, darunter auch Mitarbeiter von TVP, haben einen offenen Brief an die TVP-Behörden unterschrieben. Darin lesen wir:

„Wir bitten - Wir, die Kollegen, aber auch Wir, die Zuschauer, Fans und Sportler, dass Przemysław Babiarz weiter von den Olympischen Spielen in Paris berichten darf. Przemysław Babiarz arbeitet vor allem für die Fans. Sie sind es, die auf sportliche Feste warten, auf polnische Erfolge, auf Freudentränen und ergreifende Geschichten, Sie warten auf den Kommentar von Przemysław Babiarz.“

Die Unterzeichner des Briefes erinnern, worum es geht:

„Die Olympischen Spiele läuten eine Zeit des Friedens ein. Es ist eine Zeit der Einigkeit im Geiste des Fair Play. Es ist eine Zeit der Einigkeit durch den Sport, der schön ist, weil er verbindet und nicht trennt.“ 

Sie bitten um Toleranz: 

„Es ist gut, wenn man Respekt für jemanden hat, der anders denkt“. 

Ja, das ist gut und schön. Tusk dagegen nennt das dumm.

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Update vom 1.08.2024: Der polnische Sender TVP (ÖRR) hat die Suspendierung von Przemysław Babiarz aufgehoben. Ende gut, alles gut? 

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Update vom 11.08. Am vergangenen Freitag meldete sich Przemysław Babiarz zu Wort: Er werde die Abschlussfeier der Olympischen Spiele nicht kommentieren. Also doch eine Suspendierung?


Dienstag, 30. Juli 2024

Imagine Paris 2024 und das laute Schweigen der EU

 Ach, das waren Zeiten! Noch nicht so lange her stand Polen stets in den Schlagzeilen. In den negativen, wohlgemerkt. Polen war das Schreckgespenst der EU, besonders ihre konservative Regierung, wie auch die PiS-Partei und ihr Leader Jarosław Kaczyński. Öffentlich und genüsslich schürte man Hass gegen diese „Monster“ und hielt die Flamme der Empörung hoch. Alles vorbei, nachdem am 15. Oktober 2023 ein Machtwechsel stattfand und am 13. Dezember die neue Regierung unter Donald Tusk vereidigt wurde. 


John Lennon, der Heilige


Es entsteht der Eindruck, dass die EU, nachdem sie ihren Wunschkandidaten in Polen installiert hat, nichts Negatives im Tusk-Land entdecke. Die beunruhigenden Berichte, die die aktuelle Opposition liefert, und ihre lauten Hilferufe nimmt man nicht mal zur Kenntnis, geschweige denn derartigen Informationen Glauben zu schenken. Donald Tusk kann schalten und walten, wie er will. Die EU ist wild entschlossen in ihm einen Retter der Demokratie zu sehen. Das Pflicht-Narrativ lautet: Tusk macht mit undemokratischen Mitteln den Staat Polen wieder demokratisch.

Die Kommunisten (es geht hier auch um sie) haben auch behauptet, im Namen einer guten Sache zu handeln, bevor sie 1989 untergingen. Sie nahmen sich genauso die Freiheit über den Rechten, auch Menschenrechten, und Gesetzen zu stehen. 

Tusks Strategie spiegelt sich in einem aktuellen Fall wieder, wie im Brennglas. Ein bekannter Sportjournalist - Przemysław Babiarz, der im Tusk-kontrollierten polnischen  ÖRR arbeitet, wurde suspendiert, weil er sich während der Eröffnungsfeier von olympischen Spielen in Paris erlaubte, Lennons Lied „Imagine“ zu kritisieren. 


 Das nicht letzte Abendmahl

Die Feier verursachte auch sonst weltweit heftige Reaktionen unter Christen, die ihre religiösen Gefühle verletzt sahen und das karikierte Letzte Abendmahl als unerträglich empfunden haben. 

Die Bibel hat ebenso in Polen ausgedient und wurde von Tusk durch eine neue Heiligkeit ersetzt : John Lennon: Am Anfang war das Wort und das Wort stammt von Lennon.

Die Frage nach der Meinungsfreiheit wurde in diesem Kontext, verneint.

Damit bestätigt Tusk auch meine mehrmals geäußerte These, dass diejenigen, die Religion ablehnen, wie jetzt die Woken, Ersatz-Götter erschaffen und mit dem Eifer der ersten Kreuzritter gnadenlos durchsetzen. 

(Es tut nichts zur Sache, trotzdem will ich nicht unerwähnt lassen: Ich mag das Lied wirklich sehr.)

Sonntag, 21. Juli 2024

Geht es nicht ohne Stress?

 Über Mangel kann man sich diesbezüglich nicht beklagen, daher hätte ich die Titelfrage mit einer kurzen Antwort erledigen können: anscheinend nicht. Es lohnt sich aber genauer hinzuschauen. Denn Stress ist nicht gleich Stress. Es gibt einen guten und einen, der uns zerstört. 


Wie Schnee in der Sonne


Der normale Stress begleitet uns auf dem Weg zu einer Herausforderung, einer neuen Situation, einem großen Ereignis. Wer kennt kein Lampenfieber? Na gut, es soll ein paar Psychopathen geben, die keine Ahnung davon haben; der Rest fiebert jedoch dem Unbekannten entgegen, auch wenn mit unterschiedlicher Intensität. 

Im Laufe der Zeit legt sich die Aufregung und die Routine hält den Einzug. Das bedeutet also, dass derartiger Stress langsam schmilzt, wie der Schnee in der Sonne. 

Wozu braucht man jedoch  einen derartigen eingebauten „Mechanismus“? Bestimmt  erfüllt diese „Alarmbereitschaft“ unseres Organismus eine Schutzfunktion und schärft unsere Sinne für die bevorstehenden Aufgaben. Sobald wir jedoch den Ablauf verinnerlicht haben, brauchen wir keine Warnung mehr. Der gute Stress darf verschwinden. 

 Die Steine, die uns treffen


Mögt ihr beschimpft, beleidigt, belügt oder betrogen werden? Nein? Ich auch nicht. Natürlich sind wir, Menschen, keine Engel, und jeder von uns hat schon jemanden beschimpft, belogen usw. „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein …“ Da hatte Jesus auf den Punkt getroffen. 

Wo liegt also das Problem? In der Verletzlichkeit. Denn die verschiedenen schmerzenden Ereignisse können Spuren hinterlassen. 

Bei Wiederholung von gleichen oder ähnlichen Situationen wird unsere Reaktion stärker ausfallen, anders als im Fall des „guten“ Stresses. Allerdings sollten wir uns nicht darüber wundern. Wenn jemand auf eine frische Wunde eingeschlagen hätte, würde er unser Leid vergrößern. Wer tut so was? Ein Perversling, ein Sadist, kein normaler Mensch.  Dieses Schwein hätten wir sofort wegen Körperverletzung angezeigt. 

Psychische Wunden sieht man aber nicht. Daher entgeht uns oft, dass wir unbeabsichtigt jemandem wehtun. Wir wundern uns danach über eine für uns unverständlich heftige Reaktion. Dabei haben wir sie doch selbst mit unseren „Steinen“ verursacht. Kein Wunder, dass sich die Betroffenen so verhalten, wie sie sich verhalten. Die Psychologen sprechen in diesem Fall über Sensitivierung, die Außenstehenden - über Verrücktheit. 

Was unsere Seele verletzt, macht uns also nicht stärker, sondern empfindlicher, dünnhäutiger. Das Leben wird dadurch bestimmt nicht leichter. 


Donnerstag, 4. Juli 2024

Wer zwinkert den Nazis zu? Oder wie faschistisch ist die Luft?

 Wer jetzt denkt, dass ich die AfD meine, irrt. Natürlich schielt diese blaue Partei, die sich in Wirklichkeit ziemlich braun präsentiert, in diese Richtung. Daran haben wir uns aber inzwischen gewöhnt. 

Ich meine diesmal andere Akteure dieses Trauerspieles. 


Wo das Reich reicht

Noch 1989 ließ der CSU-Politiker Theo Waigel keinen Zweifel daran, dass er unter „vereintes Deutschland“ auch die ostdeutsche Gebiete jenseits von Oder und Neiße meint. Denn:

"Mit der Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 ist das Deutsche Reich nicht untergegangen", Theo Waigel.

Ich stelle mir soeben den Aufschrei vor, wenn sich heute die AfD derart zu Wort gemeldet hätte. Die Zeiten ändern sich, obwohl die Nazi-Tradition unverändert hochgehalten wird. Mitnichten nur von der AfD. Die Parteien, die sich demokratisch nennen, distanzierten sich zwar wortgewaltig und andauernd von Faschisten, praktisch aber handeln sie nicht selten eindeutig in diesem Geist.

Was schwebt in der Luft?

Waigel hatte eigentlich recht: Es gab kein Ende des Reiches und Nazis durften unbehelligt vielerorts leben und arbeiten. Sie bekleideten hohe Ämter und bildeten neue Generationen aus, sodass die Demokratie lediglich aus einer dünnen Schicht zu bestehen schien; darunter steckte das braune Gedankengut, auch wenn diese Tatsache nicht in jedem Fall bewusst wahrgenommen wurde. 

Aber auch heute knüpft man ganz offen an die Nazi-Tradition an, wie das der Herbert-Quandt-Medien-Preis beweist. Dieser Preis, der an einen Nazi erinnert, wird seit 1986 jährlich an Journalisten und Publizisten aller Medien vergeben. Was für eine Kontinuität! Und was für eine Wirkung! Die ausgezeichneten Journalisten arbeiten im ÖRR und in den Zeitungen und Zeitschriften, die jeder und jede kennt. 

Da fragt man sich schon, ob die breiten Schichten wirklich das Ausmaß der Nazi-Verbrechen begriffen haben, oder im Gegenteil, alles rechtfertigen und bagatellisieren, und in den Familienvorfahren nur Opfer sehen. Wo sind dann die Täter geblieben?  Die Verbrecher, die durch das Morden an die Macht kamen und mordend und vernichtend die Länder und Menschen ihre Macht befestigten. Gauland mit seinem „Vogelschiss der Geschichte“ hat laut das ausgesprochen, was leider leise in viel zu vielen immer noch schlummert.

Die Luft ist ziemlich Nazi-trächtig, findet Ihr nicht?

Die Pilgerstätte der Politiker 

Es ist keine religiöse Pilgerstätte, sondern eine kulturelle: Bayreuther Festspiele. Gerhard Schröder war der erste Kanzler, der dorthin eilte. Angela Merkel hat den Staffelstab übernommen und genüsslich diese Veranstaltung zelebriert.  Es wimmelte auf dem Grünen Hügel von Politikern aller Couleur. Und niemand störte sich daran, was für eine Tradition dort auflebt:

„Noch zum Jahreswechsel 1932/33 hatte Hitler an Winifred Wagner geschrieben, die Zeit werde kommen, da er seine „dankbare Anhänglichkeit nicht mit Worten, sondern mit Taten beweisen“ werde. Vielleicht erlaube ihm das Schicksal, zum Gelingen des Festspielwerks „doch noch etwas beitragen zu können“. Wie ein Tagebucheintrag von Joseph Goebbels aus dem Mai 1932 zeigt, konnte es die nationalsozialistische Führung kaum erwarten, die Festspiele als kulturelles Forum für den neuen Staat zu nutzen“, Holger R. Stunz: Hitler und die „Gleichschaltung“ der Bayreuther Festspiele.

Später notierte Winifred Wagner: „Bayreuth wurde im Dritten Reich durch den Führer der Platz zuerkannt, den es in kultureller Beziehung einzunehmen berufen war.“

Er zwinkert nicht

Scholz bricht zum Glück mit dieser Tradition. Er zwinkert den Nazis nicht zu.

Olaf, ich danke Dir dafür!