Sonntag, 24. Juni 2018

Europa ohne Herz

Seid bitte solidarisch, appelliert Merkel in diesen Tagen an die EU-Länder. Die Solidarität ist eine schöne Idee. Sie kann die Welt wirklich verändern. Dies bewiesen vor einigen Jahrzehnten spektakulär die Polen. Sie erfanden die Solidarität aufs Neue, könnte man sagen, und erschütterten damit (die Arbeiterbewegung, die diesen Namen trug) den Ostblock dermaßen, dass  er zusammenbrach.


                                                             Deutschland als Apostel der Solidarität?


Gleiche unter Gleichen?


Wer heute erwartet, dass sich die Geschichte widerholt, wird leider enttäuscht. Bei den Polen stößt Merkel jedenfalls auf taube Ohren. Wieso eigentlich? Weil sie herzlos geworden sind? Ich hätte eher gesagt, dass sie zu braven Schülern Merkels zählen. 

Erinnert Ihr Euch an die Troika und die Grausamkeiten, die sie durchsetzte? Es ist nicht so lange her, als es hieß: es existiert kein Gott außer Ökonomie; die Wirtschaft ist alles. Es gab keine Gnade, ganze Nationen zwang man in die Knie. Na gut, die Menschen haben irgendwie überlebt. Zugegeben: nicht alle, einige haben Freitod gewählt, weil er ihnen gnädiger vorkam, als dieses Europa ohne Herz. C'est la vie!

Damals hat sich Merkel nicht solidarisch, sondern oberlehrerhaft gezeigt. Sie peitschte die EU an: Wer nicht spurt, bekommt kein Geld. Dazu kam das ganze Gerede über das Europa der zwei Geschwindigkeiten. Also nicht Gleiche unter Gleichen, sondern die Musterschüler und die Hinterbänkler, die sich eigentlich schämen sollten, weil sie zu wenig leisten. 

Solch ein Europa hat vielen Menschen ihren Stolz - ja, Stolz setze ich hier mit Würde gleich, obwohl ich mir im Klaren bin, wie sehr dieser Begriff für nationalistische Zwecke missbraucht wird - weggenommen. Die sogenannten Rechtspopulisten erkannten, was es Menschen auf den Nägeln brannte, und gaben ihre Antwort darauf. 

Apostel der Solidarität?


Daher erscheint mir der Vorwurf, den man den Ostländern macht, sie seien nicht solidarisch, einfach hirnrissig. Sie beobachteten nämlich, was in Deutschland, das sich zum Oberlehrer stilisiert hat, in Sachen Integration vorgeht, und haben geantwortet: Nein, danke. Ganz pragmatisch. Weil genauso wie in der EU, so auch zu Hause, verhält sich Deutschland nicht solidarisch. Der deutsche Aufruf klingt also mehr als heuchlerisch.

Dieses Deutschland, das noch in der dritten Generation ihre Bürger mit dem sogenannten Migrationshintergrund als Fremde behandelt; dieses Deutschland, das die Ostländer als nicht demokratisch maßregelt, aber selbst ganze Bevölkerungsschichten von der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ausschließt; dieses Deutschland, das das geltende Recht tagtäglich bricht und nach wie vor institutionell diskriminiert; dieses Deutschland, das sich an ihrem viel zu oft nur gut gespielten Mitleid für die Flüchtlinge beinahe verschluckt, aber hierzulande keine Verantwortung für sie übernimmt, und derb gesagt, sie verrecken lässt; dieses Deutschland wirkt als Apostel der Solidarität einfach nicht glaubwürdig.. 

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