Mittwoch, 30. April 2025

Inflation des Faschismus

 Glaubt man den lauten Unkenrufen, versinken wir soeben im Ozean des Faschismus, oder stehen kurz vor der Katastrophe. 

Unterdessen widerspricht der gesunde Menschenverstand: Man kann nicht jede Person, die einem nicht in den Kram passt, zum Faschisten erklären. Die ganze Menschheit bestehe doch nicht ausschließlich aus Faschisten.

Dennoch warnen auch gemäßigte Beobachter der Realität ebenso vor der Gefahr: Wehret den Anfängen. Ja gut, wie sehen die Anfänge aber aus? 

Screenshot, Quelle: YouTube

Am Anfang war ein Symbol


Der Begriff selbst hat eine ziemlich harmlose Herkunft:

„Das Wort Faschismus hat seine Wurzeln im italienischen fascio, Rutenbündel. Es stammt aus dem lateinischen fasces, jener von einem Bündel hölzerner Ruten umschlossenen Axt, die bei öffentlichen Aufzügen zum Zeichen der Macht und der Einheit des Staates vor dem Magistrat von Rom hergetragen wurde. Vor 1914 wurde die Symbolik der fasces gewöhnlich von der Linken verwendet.“

Am Anfang stand also ein Symbol, das u.a. in der Französischen Revolution sowie am Lincoln Memorial in Washington vorkam - absolut unverdächtig.

Fascio bedeutete für italienische Revolutionäre des  XIX Jh. so viel wie Bund und gegenseitige Solidarität und setzte somit Empathie und Verantwortung füreinander voraus. Ehrbar!

Dann kam Mussolini


Der Faschismus – der italienische zumindest – wurde offiziell am 23. März 1919 geboren (die Bewegung existierte jedoch schon ab 1915). 

„An diesem Morgen trafen sich etwa mehr als einhundert Personen, darunter Kriegsveteranen, Syndikalisten, die den Krieg unterstützt hatten, und Intellektuelle aus der Bewegung des futurismo sowie einige Reporter und Neugierige im Sitzungssaal der Mailänder Industrie- und Handelskammer, von dem aus man die Piazza San Sepolcro überblicken konnte, um „dem Sozialismus den Krieg zu erklären … denn er hat sich dem Nationalismus entgegengestellt“. Hier nannte Mussolini seine Bewegung erstmals Fasci di combattimento, frei übersetzt also etwa „Kampfbund“.

Nach zwei Monaten erschien das Programm – eine Beschreibung des Faschismus der ersten Stunde: 

„Das Programm (…) war eine kuriose Mischung aus Veteranenpatriotismus und radikalem sozialen Experiment, eine Art „nationaler Sozialismus“. Auf der nationalen Seite forderte er die Erfüllung der expansionistischen Ziele Italiens auf dem Balkan und im Mittelmeerraum, die nur wenige Monate zuvor auf der Pariser Friedenskonferenz gestoppt worden waren. Auf der radikalen Seite stand die Forderung nach dem Frauenwahlrecht, dem Wahlrecht mit achtzehn Jahren, der Abschaffung des Oberhauses, der Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung (vermutlich ohne Monarchie) , dem Acht-Stunden-Arbeitstag, Arbeiter-Mitbestimmung beim „technischen Management der Industrie“, der „Teilenteignung aller Art von Reichtum“ durch eine hohe und progressive Kapitalsteuer, der Einbeziehung der Kirchenbesitztümer und der Konfiszierung von 85 Prozent der Kriegsgewinne.“

In diesem Potpourri hätte wahrscheinlich jede Partei etwas für sich entdecken können. Hinzu kam aber als Unterscheidungsmerkmal enormer Durst nach Gewalt. 

Mittel zum Zweck


Denn die gewaltsamen Aktionen – das Zerstören, Schlagen und Morden – sollen als Mittel zum Zweck und eindeutiger Ausdruck des Faschismus nach außen hin dienen. Und zwar seit seiner Entstehung.

„Am 15. April 1915 nach der Gründung der faschistischen Bewegung an der Piazza San Sepolcro, stürmte eine Gruppe von Freunden Mussolinis (…) die Mailänder Büros der sozialistischen Tageszeitung Avanti, deren Chefredakteur von 1912 bis 1914 Mussolini selbst gewesen war. Sie zertrümmerten Druckerpressen und die übrige Einrichtung. Dabei wurden vier Personen getötet, darunter ein Soldat, und 39 verwundet. Der italienische Faschismus brach also mit einem Gewaltakt in die Geschichte ein – sowohl gegen den Sozialismus als auch gegen das bürgerliche Rechtssystem, im Namen eines behaupteten höheren nationalen Gutes.“

Das ist für mich das wichtigste Merkmal des Faschismus: die Anwendung der Gewalt. Somit definiere ich Faschismus als eine Verbindung von rücksichtslosen Verbrechern, von Kriminellen, die sich als Politiker zwar tarnen, aber das Rechtssystem ablehnen und als Mafiosi agieren.  

Folglich bezeichne ich jemanden als Faschist, wenn er (oder sie) eine unabdingbare Voraussetzung (Conditio-sine-qua-non) erfüllt: die absolute Bereitschaft, Menschen und demokratische Regeln zu brechen und zu zerstören. Außerdem existiert ein Faschist (eine Faschistin) ausschließlich im Rudel.


Alle Zitate stammen aus dem Buch „Anatomie des Faschismus“ von Robert O. Paxton.

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