Donnerstag, 11. Juni 2015

Recht oder Bauch

Demokratie bedeutet die Herrschaft des Volkes: Die Mehrheit bestimmt, wer im Lande regiert. So weit, so gut. Darf aber diese Mehrheit einer Minderheit die geltenden Rechte verwehren? Wie zum Beispiel ein Recht auf Eheschließung? Das ist die Frage.





Das christliche Menschenbild als Basis?


Die Gegner der sogenannten Ehe für alle berufen sich hierzulande auf das christliche Menschenbild. Es ist ein ziemlich dehnbarer Begriff. Was da alles reinpasst! Alle Sünder mit ihren schlimmen Sünden zum Beispiel. Sie sind dabei, nicht wahr? Eine Frau, die sich aber von der traditionellen Rolle loslöst, gehört dorthin nicht wirklich. Die Position der Frau hat sich in der Gesellschaft am meisten verwandelt. Daher müssen wir das christliche Menschenbild dahingehend korrigieren. Die meisten von uns haben es längst getan. 

Jetzt ist an der Zeit, den mutigen mehrheitlich katholischen Iren zu folgen und das christliche Selbstverständnis zu erweitern. Diese  Aufgabe wäre besonders für Menschen wie der CSU-Politiker Thomas Goppel wichtig. Für ihn stellt das christliche Menschenbild die Basis des Grundgesetzes dar. Das stimmt aber nicht. Im Artikel 1 Abs. 2 GG lesen wir:

„Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen
und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage
jeder menschlichen Gemeinschaft des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“

Das Grundgesetz beruft sich also auf die Menschenrechte als die Basis und jene sind von der Religion unabhängig. Sie stehen über jede Religion. Auch die christliche. Vor allem, wenn eine Religion diese Rechte missachtet. Die katholische Kirche tut sich beispielsweise nach wie vor schwer mit der Gleichberechtigung der Frau und man kann sagen, dass sie in dieser Hinsicht nicht verfassungskonform ist.

Was ist eine richtige Ehe?


Soll man die Richtigkeit einer Ehe an dem Ziel der Zeugung von Kindern festmachen? In diesem Fall bekämen wir auf einen Schlag unzählige ungültige Ehen, die das Ziel, aus welchem Grund auch immer, verfehlt haben. Dazu gehört auch unsere Kanzlerin, die bekanntlich keine Kinder geboren hat. Und ausgerechnet sie spricht den Homosexuellen ihr Recht auf die Ehe ab. Der Grund dafür scheint sehr wichtig zu sein – es ist das Bauchgefühl der Kanzlerin, das sie zu dieser Stellungnahme animiert. Wie kann man dagegen argumentieren? Dass mein Bauchgefühl mir sagt, dies sei ein völliger Blödsinn, der mit Recht und Gerechtigkeit nichts zu tun hat?

Normal oder nicht?


In der Debatte über die gleichgeschlechtliche Ehe geht es aber eigentlich um die Frage, ob die Homosexualität als normal oder nicht verstanden wird. „Sie gehört zur Gesellschaft“, lautet die Antwort von Herrn Goppel, normal ist sie für ihn nicht. Seine Erwiderung veranschaulicht sehr gut die moderne Art der Herabwürdigung und Diskriminierung: Wir lassen euch doch leben, seid dankbar, aber kommt bloß nicht auf die Idee, gleiche Rechte zu verlangen. 

Derartige Äußerung  entblößt  eine Weltanschauung, die sich an der Diktatur der Mehrheit stützt. Aus der Prämisse, dass die Mehrheit in Hetero-Beziehungen lebt, schlussfolgert man die Pflicht der Minderheiten, dieser Norm sich anzupassen. 

Handelt es sich hier jedoch wirklich um eine Norm, der die Mehrheit befolgt? Dem widerspricht die SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi. Die Mehrheit der Familienmodelle sieht anders aus: Kinder wachsen inzwischen in Familien, wo "Partner nicht miteinander verheiratet sind, oder Kinder aus einer anderen Ehe mitbringen, oder Kinder außerehelich gezeugt werden, was auch unter prominenten Politikern und Künstlern vorkommen soll."

Eben, die Gesellschaft ist bunt, manche Politiker aber – farbenblind. 

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