Freitag, 13. März 2015

Arbeitszeugnis - der ganz normale Wahnsinn

Seid Ihr brav und unterwürfig gewesen? Falls nicht, bekommt Ihr kein gutes Zeugnis. So ungefähr könnte man sich mit den Kindern unterhalten, wenn man kein guter Pädagoge ist und den Kleinen Angst einjagen will.

Aber hier handelt es sich nicht um die Kinder, die man erziehen muss. Wir reden über erwachsene (!) Menschen, die ihrem zukünftigen Arbeitgeber ein Zeugnis vorlegen müssen, dass sie sich artig benommen haben. Ist das nicht verrückt?


                                                                                 Rainer Sturm  / pixelio.de

Wie voll ist die Zufriedenheit?


Die Arbeitnehmer haben das Recht auf ein wohlwollendes Zeugnis. Die Arbeitgeber dürfen sich darin nicht über die Gesundheit oder persönliche Probleme des Beschäftigten äußern. So sehen die Rahmenbedingungen, grob skizziert, aus. Ziemlich einfach, könnte man meinen. In der Wirklichkeit ist es aber eine komplizierte Wissenschaft für sich, die nicht selten die Gerichte beschäftigt, wie im Fall einer jungen Frau, die wegen einer Formulierung klagte, die nur auf den ersten Blick unverdächtig erscheint: Sie habe ihre Aufgaben „zu unserer vollen Zufriedenheit" erledigt. Wie voll die Zufriedenheit war und vor allem wie oft sie vorkam, erscheint von großer Bedeutung zu sein. Darüber musste schließlich das Bundesarbeitsgericht entscheiden.

Wem nutzt ein Zeugnis?


Grundsätzlich dem Arbeitgeber, nicht dem Arbeitnehmer. Es ist ein geeignetes Instrument, um die Beschäftigten über das Arbeitsverhältnis hinaus zu disziplinieren. Man kann es auch als Ausdruck von  Macht der Vorgesetzten sehen. Ein Arbeitnehmer wird immer den Kürzeren ziehen und in den Streitfällen, genaue Gründe beweisen müssen, die für eine bessere Beurteilung sprechen.  Nur bei einer unterdurchschnittlichen Bewertung liegt die Beweislast bei dem Arbeitgeber.

Verstehen Sie die Geheimsprache?


Was im Endeffekt auf dem Papier steht, ist mitnichten mit dem Gemeinten gleich. Da beginnt erst der ganze Zirkus. Die Sprache des Arbeitszeugnisses ist verklausuliert. Einige bezeichnen sie deshalb als Geheimcode. Mit unzähligen Tricks verwendet man die verschiedenen Möglichkeiten der Sprache, um die negativen Botschaften in das Zeugnis einzuschmuggeln.

Zu den Verschlüsselungstechniken gehört unter anderem die gekonnt verwendete Mehrdeutigkeit oder ein verneintes Gegenteil (die Formulierung „nichts zu beanstanden“ soll eben das Gegenteil signalisieren) oder die Auslassung des Wichtigsten (z. B. bei einem Verkäufer fehlt ein Hinweis über sein Verhältnis zu den Kunden) und so weiter und so weiter.

Staatlich verordnete Schizophrenie? 


Wann macht die Nutzung eines Geheimcodes Sinn? Natürlich nur dann, wenn derjenige, vor dem man etwas verheimlichen will, ihn nicht versteht. Wenn also die Arbeitgeber wirklich eine exklusive Chiffre gebraucht hätten, könnte man das ganze Kabarett noch rechtfertigen. Dem ist aber nicht so. Die betroffenen Arbeitnehmer beherrschen inzwischen auch die geheime Sprache und entziffern ohne Mühe Phrasen wie „Er verstand es, alle Aufgaben stets mit Erfolg zu delegieren“ als eine unvorteilhafte Mitteilung, die so viel bedeutet wie: „Er drückte sich vor der Arbeit, wo er nur konnte.“ Im Internet wimmelt es von den Ratgebern, die das Geheime öffentlich darlegen.

Außerdem soll es auch Chefs geben, die die ausscheidenden Mitarbeiter auffordern, sich das Zeugnis, bitte schön, selbst zu schreiben, und die damit die ganze Angelegenheit ad absurdem führen.

Wieso tun wir uns das verrückte Spiel an? Weil es eine Tradition ist? Solch eine Begründung erscheint wirklich zu dürftig, um den ganzen Aufwand samt der Bürokratie und der zweifelhaften Durchführung zu verteidigen.  Auf der einen Seite stehen die Arbeitgeber, die ihren Mitarbeitern etwas vorgaukeln, auf den anderen – die abhängigen Beschäftigen, die eine gute Miene zu bösem Spiel machen und nur so tun, als ob sie nichts verstanden hätten. Spätestens aber vor dem Gericht beweisen sie, dass sie das idiotische Match sehr wohl durchschauen. Was für ein surrealistisches Spektakel!

Wieso schafft man das sogenannte qualifizierte Zeugnis endlich nicht ab?

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