Sonntag, 5. Februar 2017

Anpassung – das Prinzip fürs Überleben?

Neulich erschien auf Spiegel Online ein Bericht – ich nehme an, dass er echt ist – von einem Studenten. Ich finde diesen Text in vielerlei Hinsicht sehr interessant. Darin schildert ein 25-jähriger, was er alles unternimmt, um voranzukommen.


                                                                                                                      Foto: Autorin

Der Chancen beraubt


Gnadenlos ehrlich, aber natürlich nicht unter eigenem Namen,  beschreibt er seine Tricks und Kniffe: er spickt in jeder Klausur, er fälscht sein Praktikumszeugnis und er gesteht auch, dass seine Hausarbeiten Plagiate sind. Sein Vorgehen rechtfertigt er damit, dass ihn seine bisherige Ehrlichkeit vieler Chancen beraubt hat:

„In der Schule habe ich es verachtet, wenn Klassenkameraden gespickt haben und nicht durch eigene Leistung eine Arbeit absolvierten. Bis zum Abschluss meines Abiturs habe ich kein Mal geschummelt. Das Resultat war ein deutlich schlechteres Abi als das meiner Klassenkameraden. Es war meine Eigenleistung. (…)Ich musste mich mit dem zufriedengeben, was meiner Abiturnote entsprach, während meine Kumpels freie Wahl hatten.“

Der Ehrliche ist nach wie vor immer der Dumme - Willkommen im Erwachsenenleben  - Das ist doch nichts Neues unter der Sonne: man hätte auf diese Weise die Beichte des Studenten schnell abtun können.  Ich will mir jedoch dieses Geständnis näher anschauen.

Direkte Einladung zu Manipulationen


Was bedeutet zum Beispiel, dass die Schule ein Monopol auf die Beurteilung hat? Wenn die von den Lehrern gegebenen Noten über die Zukunft der Schüler entscheiden, erhält eine Berufsgruppe – eben die Lehrer – eine enorme und unverdiente Macht. Das ist eine direkte Einladung zu Manipulationen: sowohl seitens der Lehrer als auch der Schüler.  

Es ist umso schlimmer,  als die Schule kein Ort der gleichen Chancen ist. Trotz einigen kosmetischen Verbesserungen und der hochgepriesenen Inklusion selektiert die Schule nach wie vor die Schüler meist nach dem Status – anders gesagt: nach dem Vermögen – ihrer Eltern.

Somit spielt die Schule eine wichtige Rolle beim Erhalt der existierenden feudalen Strukturen. Kaum jemand scheint wirklich daran interessiert zu sein, die wahren Begabungen der Schüler zu erkennen und sie zu fördern. Sonst hätte man viel mehr in die Bildung investiert. 

Was das Studium betrifft, hätte man längst durch anonymisierte (und gut kontrollierte!) Aufnahmeprüfungen  allen Willigen die Chance auf das Studium ermöglichen und die meist Talentierten auswählen können. Darum – wie schon gesagt – geht es aber nicht.


Das Spiel, das alle spielen


Die Selbständigkeit und Unabhängigkeit stehen nicht hoch im Kurs. Weder in der Schule noch im Studium und auch nicht danach im Beruf. Jene Eigenschaften gefährden doch die verkrustete und veraltete Ordnung, in der auf dem Papier bescheinigte Fähigkeiten  viel mehr zählen als die tatsächlichen Talente. Wie zu Zeiten der österreichisch-ungarischen Monarchie.

Die Anpassung wird dagegen zu den wichtigsten Tugenden erklärt.  Dass dabei Rückgräte der Bürger brechen, nimmt man billigend in Kauf. 

Der 25-jähriger Student hat seine Lektion gelernt: „Wer in der Gesellschaft seinen Platz finden will, der muss mitspielen.“

Dürfen wir uns also eine Leistungsgesellschaft nennen? Nur dann, wenn wir Potemkinsche Dörfer für Realität halten.

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