Mittwoch, 15. Juni 2016

Unser aller Korpsgeist

An einem Gemeinschaftsgefühl hat man gewöhnlich wenig auszusetzen, außer wenn der Zusammenhalt zu einem beinahe religiösen Gebot erklärt wird. Der Korpsgeist entwickelt sich in diesem Fall meist zum Kadavergehorsam.


                                                                                                                    Foto: Autorin

Klappe halten


Dazuzugehören ist uns, Menschen, sehr wichtig. Wir werden zu Menschen nur unter den Menschen. Darum strengen wir uns an, ein Teil von etwas – Familie, Team, Gesellschaft - zu werden. Jede Generation definiert aufs Neue ihre Vorbilder oder Ziele und erlebt eigene Abhängigkeiten und Unterwerfungen, die sich genauso schwer austreiben lassen wie Drogensucht. 

Was bedeutet für ein Individuum, zu einer Gruppe zu gehören? Dass man sich den Stärkeren unterwirft? Denen also, die sich durchgesetzt hatten, weil sie besser führen oder manipulieren können? Wie geht man mit den unterschiedlichen Begehrlichkeiten und Forderungen untereinander um? Wer gibt nach und wer nur an? 

Natürlich existieren verschiedene Formen und Konstruktionen des Zusammenhalts mit positiven und negativen Auswirkungen und mit ihrem Preis. Eine Gruppe entsteht nie als eine einfache Summe der einzelnen Personen. Sie entwickelt stets ihre eigene Dynamik. Egal jedoch, ob sie streng oder locker-flockig organisiert ist, verlangt sie uns einiges ab. Manchmal muss man als ihr Teil relativ schnell lernen, die Klappe zu halten, wenn man nicht den Mainstream vertritt.  Der Preis der Zugehörigkeit für die Mitglieder ist mitunter sehr hoch und kann auch den Verzicht auf die Freiheit im Tun und Denken bedeuten. 

Individualisten in der Klick-Gesellschaft


Diesem gemeinschaftlichen Druck sich zu widersetzen, fällt dem Einzelnen selbstverständlich nicht leicht. Das Bestehen auf eigene Meinung kann im Endeffekt den Ausschluss aus der Gemeinschaft bedeuten. Eine harte Strafe für ein soziales Wesen, egal ob die Maßnahme ohne oder mit allen Formalitäten erfolgt.  Ein Individualist erscheint eben vielen als eine Bedrohung. 

Und überhaupt: Wozu braucht eine Gesellschaft Individualisten? Auf jene Frage antworten die Diktatoren eindeutig klar: Die Individualisten gehören nicht dazu. Sie werden als Feinde und Verräter abgestempelt. Damals wie heute

Leider scheinen sie in der angeblich demokratischen Welt genauso unerwünscht  zu sein. Die Masse-statt-Klasse-Gesellschaft - oder Klick-Gesellschaft - hält wenig von den Sonderlingen, die gegen den Strom schwimmen, und sortiert sie aus. Der Korpsgeist macht sich stets bemerkbar, einerlei ob online oder offline. Der Gruppenzwang funktioniert nach wie vor und bildet die Grundlage der sozialen Interaktionen. Die Devise „Wenn du nicht für uns bist, bist du gegen uns“ beherrscht das politische und gesellschaftliche Leben. 

Wir beobachten zurzeit eine beunruhigende Entwicklung zur Spaltung von den Gesellschaften, die eben nur diese zwei Möglichkeiten zu kennen scheinen. 

Deswegen spreche ich mich gegen den Korpsgeist und für die Individualisten aus. Ich verlange den Artenschutz für Nonkonformisten.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen