Mittwoch, 15. Juni 2022

Mit dem 9-Euro-Ticket ganz nah: Synagoge in Celle. Teil 3

 Die Synagoge befindet sich – in Celle nicht überraschend - in einem Fachwerkhaus. Ich laufe an ihr vorbei und suche weiter, bis ich mich entschließe, eine Cellerin zu fragen. Sie nimmt sich mein Anliegen zu Herzen und begleitet mich zurück, als ob sie absolut sicher sein wollte, dass ich die Synagoge diesmal nicht verfehle.

Von außen wirkt die Synagoge unscheinbar: 


Drinnen kann man die  Schmuckstücke der Tora bewundern: Thoraschild (Tass) und Thorakronen (Rimonim):


Und die Geschichte der Celler Gemeinde kennen lernen. (Alle folgende Zitate stammen von den Infotafeln)

Der Anfang:

"Nach dem Regierungsantritt von Herzog Georg Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg (1665-1705) begann die "Ansetzung" einzelner Juden. Von 1673 bis 1690 erhielten Isaak Maintz, Philipp Ahrendt, Daniel Ahrendt, Salomon Gans und Assur Marx mit ihren Familien und Gesinde Schutzbriefe auf die Altenceller Vorstadt (Blumlage, Masch und Im Kreise). Assur Marx ging schon 1691 nach Halle, die vier anderen wurden zu Gründungsvätern der Celler jüdischen Gemeinde." 

"Die Celler Schutzjuden gaben sich 1738 die erste, schriftlich niedergelegte "Rechtliche Verordnung" und errichteten um 1740 auf dem Hinterhof der angekauften Häuser Im Kreise 23 und 24 die im Stil des Spätbarocks ausgestaltete Fachwerksynagoge."

Salomon Philipp Gans (unten) gehörte zu den ersten Juden, die Zulassung als Advokaten und Prokuratoren (Staatsanwälte) erhielten. Er "baute sich am Distrikttribunal eine Praxis auf. Als erster Celler Jude bezog er eine Stadtwohnung." 



"Isaak Nathan Cassler gehörte zu den ersten jüdischen Künstlern mit akademischer Ausbildung im Kurfürstentum bzw. Königreich Hannover (...) Nach Celle kam er 1820 auf "ehrenvolle Aufforderung verschiedener Honoratioren". Hier war er Zeichenlehrer an der Höheren Töchterschule, Privatlehrer, Porträt- und Samtmaler sowie Restaurator."

Er hat das obige Ölporträt von Salomon Philipp Gans und die unten gezeigten Porträts gemalt:


Das Jahr 1933 setzte eine Zäsur.

Damals begann die systematische Vernichtung von Juden und ihrer Kultur.

"Im Celler Bürgervorsteherkollegium stellte die NSDAP seit Februar 1933 die größte Fraktion und beschloss am 6. April 1933, keine städtischen Aufträge mehr an jüdische Firmen zu vergeben (...) Die sogenannten "Nürnberger Gesetze" schufen im September 1935 die rechtliche Grundlage für die Judenverfolgung. Ab 1937 erschienen in Celle Schilder mit der Aufschrift "Juden nicht erwünscht".


Die Synagoge heute:






An diesem Ort atmet man die Geschichte. Ich setze mich im Hof hinter der Synagoge ...


... und ordne meine Gedanken. "Diejenigen, die sich nicht der Vergangenheit erinnern, sind verurteilt, sie erneut zu durchleben“, (George de Santayana)

Die Erinnerung wachzuhalten reicht jedoch nicht aus, wie uns der Krieg in der Ukraine soeben zeigt. Wir alle tragen die Verantwortung für das Getane und das Unterlassene. Weil jede und jeder von uns die Wahl hat und sich bewusst entscheiden kann, wofür und wogegen er oder sie steht. 

Daher frage ich: Wo waren alle die Gutmenschen, als die Jagd auf unsere Schwestern und Brüder begann?


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