Sonntag, 29. Mai 2016

Wer keine Visionen hat, muss zum Arzt

Die Zeiten, in denen Helmut Schmidt das Gegenteil behauptete, sind längst vorbei. Wir brauchen Visionen mehr denn je. Das hat Christian Kern, der neue Kanzler bei unseren Nachbarn, erkannt: „Im Jahr 2016 bedeutet keine Visionen zu haben, dass man tatsächlich einen Arzt braucht."


                                                                                    Foto: Autorin

Ansprechen und mitreißen


Eine politische Vision ist immer vorwärtsgerichtet.  Darin geht es nicht ums Kochen des eigenen Süppchens, sondern um das Erschaffen eines Entwurfs für die ganze Gesellschaft. Jener Entwurf soll alle ansprechen und alle mitreißen. Um eine Vision zu kreieren braucht man genauso viel Mut wie Gefühl. Oder anders gesagt: Kopf und Herz. Eine Vision beantwortet die wichtigsten Fragen, die sich Menschen stellen, und zeigt die Wege in die Zukunft. Eine Vision gibt nicht nur die Richtung vor, sie bringt vor allem auch die Hoffnung.  

Somit ist eine Vision viel mehr als ein Programm einer Partei oder ein Koalitionsvertrag der Regierung. Derartiges Konzept kann ich in den politischen Darbietungen zurzeit nicht erkennen.

Tafeln gegen Überfluss?


Wie wird die Gesellschaft in der Zukunft aussehen? Noch mehr Tafeln und Obdachlosen einerseits und vor Überfluss verblödete wenige Individuen anderseits?

Was für ein Arbeitsmarkt erwartet uns, wenn die Digitalisierung die Arbeitnehmer von ihren Arbeitsplätzen verdrängen wird? Noch mehr Hartz IV, noch mehr Sanktionen? Und demzufolge noch mehr Armut und Obdachlosigkeit?

Wie definiert man in der Zukunft den Zusammenhalt der Gesellschaft?

Was für eine Welt!


Sollen wir in einer Welt leben, in der nur die Reichen Recht haben und die Armen sich vor dem kriminell agierenden Staat fürchten müssen? 

„Kriminell“ in Verbindung mit dem Staat zu bringen, ist das nicht übertrieben und populistisch? Leider nicht. Das ist die heutige Realität. Der Staat nutzt seine Machtposition gegenüber den Hilflosen und agiert mit der Härte eines Mafia-Paten. Die Armen können sich eine Auseinandersetzung  mit der Macht nicht leisten und verzichten meist auf ihre Rechte. Der Staat, der ein Vorbild und ein Schutzpatron der Nicht-Privilegierten sein müsste, zockt sie schamlos ab. 

Diese Härte vermisse ich an dem anderen Ende der Hierarchie. Die Privilegierten behandelt man wie ein rohes Ei. Das neueste Beispiel bietet der Autokonzern VW: Nach dem Diesel-Skandal und hohen Verlusten kassieren Manager hohe Boni. Die Altlasten sind nicht weniger brisant: Der Ex-Chef Bernd Pischetsrieder soll nach seiner Ablösung 50 Millionen erhalten haben.

Der Staat kann nichts dafür? Doch! Er muss endlich gerechte Rahmenbedingungen schaffen und zum Beispiel die Managergehälter an die niedrigsten Löhne koppeln. 

Wir leben längst in einer Zwei-Klassen-Gesellschaft. Es wundert mich nicht, dass die Populisten solch einen enormen Zulauf bekommen. Wenn die politische Klasse an der Macht mit der Wirklichkeit fremdelt und die Gier die wirtschaftlichen Eliten verblendet, suchen Menschen verzweifelt einen Ausweg aus der Misere und riskieren einen Ritt auf der Rasierklinge. 

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