Sonntag, 19. März 2023

Ein Persilschein für einen perversen Verbrecher

 Eine Passage im Buch über Psychopathen*) erschütterte mich dermaßen, dass ich rot sah. Jetzt schreibe ich mir meine Wut von der Seele.

Ein Kind bleibt ein Kind, egal ob es noch an die Zwerge glaubt oder nicht.


Unter Schutz


Die Autoren schildern darin den Fall einer Psychopatin und berufen sich dabei auf die Psychologin Lydia Benecke. Es geht um die Geschichte von Emily H., einer Multibigamistin. 

„Als sie zwölf Jahre alt ist, hegt ihre Mutter den Verdacht, sie habe mit ihrem Vater ein einvernehmliches inzestuöses Verhältnis. Nach der Trennung der Eltern lebt sie zuerst bei ihrer Mutter, dann bei dem Vater. Bald setzen verschiedene Verhaltensauffälligkeiten ein.“

Huch!

Schauen wir uns diese Zeilen näher an. Zuerst sticht ins Auge, dass das alles begann, als Emily H. zwölf Jahre alt war.  ZWÖF  JAHRE! Sie war ein Kind, das von ihren Eltern Schutz, Geborgenheit und Liebe erwarten durfte. Ihre Eltern trugen die Verantwortung für sie, eine Schutzbefohlene. 

Ihre Mutter bemerkte das Verhältnis zwischen der eigenen Tochter und dem Ehemann, dem Vater des Kindes? Das Verhältnis?! Das nennt sich Missbrauch.  KINDESMISSBRAUCH! Wieso aber nahm Mutter an, dieser sexuelle Missbrauch geschah einvernehmlich? Weil sich das Kind nicht gewährt hat? Vor dem eigenen Vater, der das Kind in das Leben einführen sollte und dem das Kind vertraute? Und überhaut, seit wann wurde das Kind wirklich missbraucht? Ab dem zwölften Lebensjahr oder (wahrscheinlich) viel früher?

Wieso schrillen an diesem Punkt nicht Alarmglocken bei den Autoren des Buches und - wahrscheinlich auch nicht – bei der Psychologin? Ich verwende das Adverb „wahrscheinlich“, weil ich das Buch über Psychopathinnen von Frau Benecke nicht gelesen habe und wenn das obige Zitat ihre Sichtweise wiedergibt, will ich auch nicht tun. 

Derart krasse Täter-Opfer-Umkehr macht mich fassungslos. 

Ohne Halt


Stellen wir uns jetzt vor, was es aus der Sicht von Emily passierte. Wie jedes Kind sehnte sie sich nach Liebe, stattdessen wurde sie zum Objekt von perversen Gelüsten des eigenen Vaters. Der wahre Psychopath in dieser Familie vernichtete damit unwiderruflich das Urvertrauen des Kindes und zerstörte seine ganze Welt. Seitdem hat Emily keinen Halt mehr. Denn die Mutter, die „das Verhältnis“ sogar aufgedeckt hat, schien in der Tochter eine Konkurrentin um die Gunst des Mannes zu sehen. 

Die Erwachsenen, die Emily - wie jedes Kind - als Vorbilder wahrnimmt, präsentieren perverse, egoistische und egozentrische Verhaltensmuster. Der Vater ist ein Verbrecher, der ins Gefängnis gehört, aber nur Emily wird, schon als Erwachsene, vor Gericht gezerrt. Was für eine verkehrte Welt!

Versteht mich bitte nicht falsch, jedes Verbrechen soll und muss bestraft werden. Trotzdem liegt hier die Schuld woanders.



*) „Die Masken der Psychopathen“ von Heinz Schuler und Dominik Schwarzinger, Verlag C.H. Beck, 2022.


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