Sonntag, 5. Oktober 2025

Wahlen in Tschechien mit den Aufklebern des ÖRR

 In einer idealen Welt begegnen sich Menschen mit Respekt und diskutieren anständig miteinander. Verschiedene Meinungen sind in solch einer Welt selbstverständlich. 

Die Realität holt uns auf den Boden der Tatsachen zurück. Hier lügt man, betrügt und trickst. Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit sagt man vielleicht vorm Gericht. Im Alltag ist sie eher selten. Gewöhnlich behelfen wir uns mit kleinen und großen Tricks. Unter Trick verstehe ich dasselbe wie der Duden:  

„listig ausgedachtes, geschicktes Vorgehen; [unerlaubter] Kunstgriff, Manöver, mit dem jemand getäuscht, betrogen wird.“

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Medaille mit einer Stimme

Eine Medaille hat zwei Seiten, genauso wie eine schwarzweiße Welt. Das ist verdammt wenig, um unseren wunderbaren Blauen Planeten zu begreifen und zu beschreiben. 

Macht nichts, denkt man sich im ÖRR, und bedient sich mit dem simplen Trick der schlichten Zweiseitigkeit, wie neulich in der Tagesschau beim Bericht über Wahlen in Tschechien.  

„Bei der Parlamentswahl hat der Rechtspopulist und ehemalige Ministerpräsident Babiš mit seiner ANO-Partei einen deutlichen Sieg angefahren. Die Bewegung kommt auf 35% der Stimmen. Babiš geht als erklärte EU-Skeptiker und will künftig die nationalen Interessen des Landes stärker in den Mittelpunkt rücken. (...) Das Wahlergebnis bedeutet das Ende der liberal-konservativen Koalition unter Peter Fiala. (...) Fiala hat immer wieder gewarnt, dass die Wahl eine Richtungswahl zwischen Ost und West sei. Entschieden habe aber die Innenpolitik. (..) Sein (Babiš) Sieg stärkt Kräfte im Osten Europas, die Brüssel kritisch sehen, und durfte es damit auch der EU schwerer machen, gemeinsam mit einer starken Stimme zu sprechen.“

Aufkleber für die chinesische Stärke

Bereits in der Anmoderierung verwendet man den ersten Trick – ich nenne ihn Etikettierung. Babiš wird in erster Linie als Rechtspopulist vorgestellt, also einer, den man als eine zwielichtige Figur sehen soll. Dass er ein Ex-Premier war, erscheint weniger wichtig als das „richtige“ Etikett. Im Bericht ergänzt man die Vorstellung mit dem nächsten Aufkleber: EU-Skeptiker.

EU-Skeptiker oder EU-Kritiker sind zu Lieblingswarnzeichen geworden: ihnen darf man nicht glauben und am besten überhaupt nicht zuhören. Mit drin versteckt  sich eine weitere Gedanken-Verrenkung. Es wird nämlich suggeriert, dass die EU unantastbar sei und ihre Kritiker sich beinahe strafbar machen.

Der Bericht endet mit einem lauten Akkord: Politiker wie Babiš seien dafür verantwortlich, dass die EU nicht mit EINER starken Stimme spreche. Wie das beispielsweise in China üblich ist, wo die Kritik eben als eine strafbare Gefahr verstanden wird? 

Ich fürchte dagegen eine EU, die Kritik zu verhindert versucht und eine Zukunft als zentralistisches Monster auf chinesische Art anstrebt. Völlig schleierhaft erscheint mir dabei die Vorstellung, wie man Stärke durch Schwächung von den einzelnen Mitgliedsstaaten erreichen will. Derartiger Chor mag vielleicht mit einer Stimme singen, der Gesang wird aber keineswegs stark. 


Freitag, 3. Oktober 2025

3. Oktober: am Tag der deutschen Einheit zwischen Freiheit und Rechtfertigung

 Heute wird die Einheit gefeiert. Am 3. Oktober 1990  haben die Deutschen „in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet“ (Präambel des Grundgesetzes).

Dieser Tag strahlt vor Freiheit.

Hier stand die Berliner Mauer 1961 - 1989

Gegen das Volk

Viele riskierten ihr Leben für die Freiheit. Kurz vor dem Ende flohen Menschen massenhaft aus der DDR, aus einer Diktatur, die ihre Bürger im Land wie im Gefängnis einsperrte und überwachte. 

Die SED – Sozialistische Einheitspartei Deutschland – erschuf ein Regime des Unrechts. Sie zählte im Oktober 1989 2,3 Millionen Mitglieder, also 14% der Bevölkerung (16,43 Mio.).

Im Nachhinein wundert man sich, dass die relativ Wenigen über das ganze Volk bestimmten. Damit das Regime bestehen konnte, unterjochten die Machthaber eigene Bevölkerung mit Gewalt, Mord und Bespitzelung.

Merkel jammert uns etwas vor

Angela Merkel zeigt sich im letzten Interview mit Marietta Slomka bedrückt. Nein, nicht über das vergangene Unrecht. 

„Da zeigt sich etwas, was mich bedrückt und was viele Menschen in Ostdeutschland bedrückt, weil sie den Eindruck haben, dass sie vielleicht wie zwei monolithische Blöcke angesehen werden - die einen waren die Opfer, die anderen waren die Täter, aber dass überhaupt nicht gesehen wird, wie jeder einzelner Mensch sein Leben geführt hat.“

Sie will damit sagen, das System sei egal. Es gehe darum, wie man zurechtkomme. In meinen Ohren klingt das nach Verteidigung einer Mitläuferin. 

Ihre oft wiederholte Forderung, eine individuelle Lebensleistung anzuerkennen, und zwar unabhängig von den geschichtlichen Gegebenheiten, mutet mich befremdlich an. Darum geht es doch nicht. Sie klagt, weil sie den Eindruck habe, sich „immer wieder rechtfertigen zu müssen“, aber im Grunde versucht sie das Unrechtssystem auf diese Weise zu verharmlosen, also - es eben zu rechtfertigen.

Laut Merkel war das Leben in der DDR „ein Slalom um die Hürden“ unter widrigen Umständen. Aus derartiger Lesart der Geschichte erfährt man, dass man damals viele nützliche Dinge lernen konnte, „wie mit Unsicherheit umzugehen, zwischen den Zeilen zu lesen.“ Ähem?

Heute denken wir …

An heutigem Tag denke ich an Menschen, die mit der unmenschlichen Diktatur nicht einverstanden waren:

„Heute denken wir an alle Opfer des SED-Regimes, an die Ermordeten an der Mauer, an alle, die gefoltert und gequält wurden in den Kellern und Kerkern der Staatssicherheit in Bautzen und in Hohenschönhausen, an alle Bürgerrechtler, an die Demonstranten in Leipzig, die ihr Leben riskierten. Sie alle sind deutsche Helden. 

Wir denken an alle so freiheitsliebenden Deutschen im Osten, die so viel ertragen mussten und denen so viele Chancen verwehrt blieben. Sie sind die besten unter uns“, Max Mannhart auf „X“.

Donnerstag, 25. September 2025

UNO-Generalversammlung: Trumps Frage nach dem Zweck und Nawrockis Analyse

 „Welchen Zweck erfüllen Vereinigte Nationen?“ Diese Frage stellt Donald Trump vor der UNO-Generalversammlung. Er beantwortet sie selbst auf seine sehr direkte Art:

“All they seem to do is write a really strongly worded letter, and then never follow that letter up. It’s empty words — and empty words don’t solve war.”

Leere Worte, Worthülsen, Lippenbekenntnisse statt Taten und Verträge, die zum Frieden führen, Zelebrierung ersetzt echte Handlung. Trumps Kritik ist doch berechtigt, nicht wahr?

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Zerfallene Ordnung

Donald Trump weist auf das ungenutzte enorme Potenzial der UN hin. Dieses Potenzial hätte man für die Befriedung einsetzten müssen.

Das Hauptorgan – die Generalversammlung – besteht aus 193 Staaten. Bereits aus der Größe ergeben sich verständliche Erwartungen bezogen auf den Einfluss auf die Weltpolitik. 

Der polnische Präsident Karol Nawrocki liefert in seiner Rede vor der Generalversammlung eine gute Analyse des aktuellen Zustands: 
„Die russische Invasion auf die Ukraine ist nicht nur der folgenschwerste Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg, sondern auch ein Wendepunkt. Die bisherige internationale Ordnung zerfällt vor unseren Augen. Es beginnt eine neue gefährliche Ära, in der Großmächte miteinander rivalisieren, Regeln brechen und testen, wie weit sie gehen können, bevor jemand deutlich sagt: „Genug, Stopp!“. Das Prinzip der Souveränität? Immer häufiger mit Füßen getreten. Das Verbot der Aggression? Totes Recht. Anstelle von Gesetzen versucht man unverhüllte und brutale Gewalt anzuwenden. 

Wir befinden uns an einem Wendepunkt der Geschichte, Die heute von uns getroffenen Entscheidungen werden sich auf die nächsten Jahrzehnte auswirken. Dessen müssen wir uns alle bewusst sein. Denn wir alle tragen dafür die Verantwortung. Ebendeswegen müssen wir alle als Gemeinschaft demokratischer Staaten oder auf dem Weg in die Demokratie die aktuelle Situation als einen Kampf um Prinzipien verstehen. Die Einhaltung dieser Prinzipien kann über die Zukunft unserer Zivilisation entscheiden. Ich denke, dass dies der letzte Moment ist, um konkrete Maßnahmen zu ergreifen.“

Fest entschlossen

Ich wiederhole also Trumps Frage: Welchen Zweck erfüllen Vereinigte Nationen? Bereits aus der Präambel zur UN-Charta lassen sich die Ziele unmissverständlich herauslesen:

„Wir, die Völker der Vereinten Nationen – fest entschlossen, 

künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat,

unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen, ob groß oder klein, erneut zu bekräftigen,

Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können,

den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit zu fördern.“

Dass der Anspruch an der Realität scheitert, sieht man mit bloßem Auge. 

Mittwoch, 24. September 2025

Meinungsfreiheit zwischen Trump und Kimmel

 Erinnert Ihr Euch, wie Merkel vor fast zehn Jahren dem bis dato außerhalb von Deutschland unbekannten Komiker Jan Böhmermann zu internationalem Ruhm verhalf? Zwar war nicht sie persönlich das Ziel der Satire, dennoch handelte es sich um einen von ihresgleichen (Recep Erdoğan), also einen Machthaber. Ich schrieb damals:

"Sie (Merkel) übte sich auf einmal als eine Literaturkritikerin und interpretierte eindeutig den Inhalt. Das Werk von Böhmermann sei "bewusst verletzend", meinte Merkel und teilte ihr literarisches Urteil telefonisch dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu mit. In diesem Moment überschritt sie die Grenze zwischen einer immer subjektiven artistischen Ansicht und den konkreten politischen und rechtlichen Konsequenzen. Dieser Spagat ist eine Zerreißprobe. Sie hätte es sein lassen sollen.“

Der Fall Kimmel ist etwas anders gelagert, weil es um das Attentat auf Charlie Kirk geht, und sich Donald Trump eben auch persönlich angegriffen fühlt. Und doch entfaltet die Reaktion auf die Satire – die kurzfristige Absetzung der Show - die gleiche Wirkung. Jimmy Kimmel wird zum Weltstar. 

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Satire versus Macht oder umgekehrt


Wahrscheinlich sind sie – Satire und Macht – gleich alt. Im Mittelalter entwickelte sich eine besondere Form der Verspottung, die die Hofnarren repräsentierten. Sie genossen Narrenfreiheit und durften die Wahrheit dem König direkt in die Augen sagen. Allerdings riskierten sie dabei manchmal ihren Kopf – das Berufsrisiko sozusagen.  Einige gingen in die Geschichte ein, wie der polnische Hofnarr Stańczyk. Ob er so ausgesehen hat, wie auf dem Bild von Jan Matejko (oben), weiß man nicht. Und auch sonst ist wenig über ihn bekannt, obwohl er bereits zu Lebzeiten berühmt war und seine Sprüche die größten polnischen Schriftsteller zitierten. 

In einer Chronik wurde ein folgendes Ereignis beschrieben:
„Stańczyk ergriff die Flucht vor einem aus der Kiste freigelassen Bären, König Sigismund der Alte bemerkte dazu: „Du hast dich nicht wie ein Ritter (angeblich diente Stańczyk zuerst eben als Ritter), sondern wie ein Narr verhalten.“ Darauf antwortete Stańczyk: „Ein größerer Narr ist derjenige, der den Bären bereits in der Kiste hatte, aber ihn zu seinem eigenen Schaden freilässt.“ Während dieser Jagd stürzte tatsächlich die schwangere Königin Bona vom Pferd und verlor ihr Kind, was sich als folgenschwer für das weitere Schicksal der gesamten Dynastie und des Landes erwies. Das konnte Stańczyk zu der Zeit nicht wissen, dennoch glaubte man später an eine Prophezeiung.“

Mister President, be cool!


Zurück zur Gegenwart: Der Comedian trat gestern wieder auf. Die Spannung im Vorfeld war groß. Auch jene, die sonst nicht auf die Idee gekommen wären, schauten zu. „Jimmy Kimmels Tränen-Comeback“ - titelte die Bild ihren Bericht. Ja, die Tränen flossen auch. 

Obwohl ich nicht zu seiner Fangemeinde gehöre, stimme ich vorbehaltlos dieser Botschaft von Kimmel zu:
„Wenn wir keine freie Rede haben, dann haben wir kein freies Land. So einfach ist das.“
Lieber Donald Trump, das ist doch auch ihre Maxime, oder? Mister President, be cool!

Samstag, 20. September 2025

Der ÖRR und die Meinungsfreiheit

 Den Status der Beziehung zwischen dem ÖRR und der Meinungsfreiheit hätte man als sehr kompliziert beschreiben müssen. Den neuesten Beweis dafür liefert der Fall Ruhs. 

„All the President’s Men“ (1976), „State of Play“ (2009). Screenshots

Der NDR als ein Intrigantenstadl?

Julia Ruhs wurde vom NDR abgesetzt. Statt im Stillen zu weinen, posaunt die Journalistin aber ihren Rausschmiss auf allen Kanälen heraus. „Cicero-Online“ glaubt den Grund für die Entscheidung vom Rundfunk zu kennen: Es war „eine ideologisch motivierte Intrige aus den Reihen des NDR gegen eine Journalistin, die ihnen offenbar zu konservativ ist.“

In einem Interview mit „Cicero-Online“ bestätigt Julia Ruhs diese Sichtweise:

„Viele sagen seit Jahren: „Der ÖRR cancelt Stimmen, die nicht ins Weltbild passen.“ Und jetzt passiert genau das – in meinem Fall. (…)

Ich glaube, dass SPD und Grüne beim NDR sehr genau hingeschaut haben. Ihnen gefiel nicht, wie wir das Format umgesetzt haben. Also wurde die Ansage gemacht: Meinungsvielfalt ist schön und gut – aber wir bestimmen, wo sie aufhört.“

Die vierte krampfhafte Gewalt 

Medien spielen in einer Demokratie eine wichtige Rolle. Die Bundeszentrale für politische Bildung formuliert dies folglich:

„Medien wie Zeitungen, Fernsehen, Radio und Internet sollen einerseits über das Handeln des Staates und seiner Institutionen informieren. Andererseits aber kontrollieren die Medien durch ihre Berichterstattung auch das staatliche Handeln. Sie informieren, geben kritische Kommentare und regen dazu an, sich mit dem staatlichen Handeln auseinanderzusetzen. Diese Kontrolle der Regierenden durch die freien Medien ist ein wesentlicher Grundzug von demokratischen Gesellschaften.“
Es klingt in dieser Definition der alte Mythos nach, in dem sich ein Journalist (oder eine Journalistin) als ein unerschrockener Kämpfer (meist Einzelkämpfer) für die Wahrheit einsetzte und mit den Mächtigen anlegte. So ungefähr wie Bob Woodward und Carl Bernstein von „Washington Post“ – gespielt in „All the President’s Men“ von Robert Redford und Dustin Hoffman -, oder die fiktiven Figuren Cal McAffrey und Della Frye  - Russell Crowe und Rachel McAdams - aus dem Film „State of Play“ (neulich im Fernsehen wiederholt).

Diese Personen – ob echt oder nicht – sahen ihre Aufgabe in der Wahrheitsfindung. Ich wage zu behaupten, dass jenes Ziel heute nicht zu Prioritäten von Medien gehört. Vielmehr geht es darum, aus welchem Denklager die Wahrheit kommt, und ob sie nach der Feststellung ihrer Herkunft noch als solche gelten darf. 

Denn die vierte Gewalt will sich vor allem behaupten. Sie versteht sich nicht mehr als Kontrolleur der Macht, sondern als Mitspieler in dem Machtpoker. In diesem Sinne betreibt sie den Ablasshandel und bestimmt, wessen Stimme Gehör verdient und welche man bekämpfen muss. Deswegen mutiert sie zu einem undemokratischen krampfhaften Wesen, das vor allem um den Mammon und eigene Position kämpft. 

Dienstag, 16. September 2025

Polens Präsident Karol Nawrocki – ein Gast wie kein anderer

 Polens Präsident Karol Nawrocki hat sich heute mit Frank-Walter Steinmeier und Friedrich Merz getroffen. Die Themen standen noch vor dem Besuch fest: die Sicherheit und aktuelle Entwicklung an der NATO-Ostflanke, außerdem Reparationen für Kriegsschäden im II. Weltkrieg.

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Der Ton macht die Musik

In Polen hat man den rauen Ton der deutschen Medien registriert. Dass z. B. das „Handelsblatt“ Nawrocki als „einen unbequemen Gast“ und „rechten Nationalist“ bezeichnet.

Der Spiegel schlägt in die gleiche Kerbe und schreibt über „den polnischen Rechtspopulisten Nawrocki“. Die Zeitschrift beschäftigt sich im Vorfeld des Besuchs vor allem mit den aus deutscher Sicht ungerechten Forderungen und titelt den Artikel entsprechend: „Polen fordert Reparationszahlungen – und Deutschland bietet Sicherheitsgarantien.“ 

Die Gastgeber selbst – Präsident Steinmeier und Kanzler Merz – zeigten dem Gast dagegen Freundlichkeit und Respekt.

Abschließend geklärt?

Laut letzter Umfrage befürwortet die Mehrheit - 54% - von Polen Nawrockis Forderungen nach Reparationen. Anders als die aktuelle polnische Regierung von Donald Tusk, die die deutsche Sichtweise übernimmt.

Für Frank-Walter Steinmeier sei „diese Frage aus deutscher Sicht rechtlich abschließend geklärt“. 

In der Pressemitteilung vom Bundeskanzler Merz kommt das Reizwort überhaupt nicht vor, stattdessen betont man die wichtige Rolle des Nachbars:
„Der Bundeskanzler würdigte Polen als wichtigen europäischen Nachbarn und engen Freund Deutschlands. Polen spiele eine Schlüsselrolle in der Europäischen Union und bei der Stärkung des europäischen NATO-Pfeilers. Die Versöhnung mit Polen nach den Gräueln des Zweiten Weltkriegs und der deutschen Besatzung zu befördern, bleibe für die Bundesregierung historische Verantwortung."

Abstrakte Vorstellungen

Gestern erschien in der polnischen Zeitung „Rzeczpospolita“ eine interessante Meinung zu diesem Thema von Marek A. Cichocki, einem polnischen Philosophen und Politikwissenschaftler. Seine Hauptthese lautet: Reparationen können über die deutsch-polnischen Beziehungen entscheiden. Er konstatiert, dass man in Berlin immer noch nicht den radikalen Wechsel der polnischen gesellschaftlichen Stimmung bemerkt hat.
„Die Frage der Reparationen, Entschädigung und Wiedergutmachung hat angesichts der fürchterlichen Verbrechen und Zerstörung, die Polen während des Zweiten Weltkriegs durch Deutschland erlitten hat, ein enormes moralisches und emotionales Potenzial in den polnisch-deutschen Beziehungen. Die Versäumnisse der deutschen Seite bei der Wiedergutmachung sind enorm und offensichtlich. Es stimmt  auch nicht, dass deutsche Politiker dessen nicht bewusst sind. Aus diesem Grund reagieren sie derart emotional und nervös auf die polnischen Forderungen und fürchten vor allem Imageverluste. Der „Reparationsdruck” ist aber deshalb nicht nur ethisch richtig, sondern auch ein notwendiger und wesentlicher Bestandteil der polnischen Politik gegenüber Deutschland bei der Verwirklichung konkreter Ziele. Und es gibt absolut keinen objektiven, rationalen Grund, warum Warschau darauf verzichten sollte, nur im Namen irgendwelchen abstrakten Vorstellungen von einer „polnisch-deutschen Interessengemeinschaft”.

Sonntag, 7. September 2025

Deutschlands Finanzpolitik oder das Kasino der Politik

 Prof. Lars Feld wirft der aktuellen Regierung vor, die verfehlte Finanzpolitik der Vorgänger fortzuführen.*) Aus seiner Kritik lässt sich aber herauslesen, dass er genauso an Behauptungen und Überzeugen festhält, die schon in der Vergangenheit versagt haben. Wer jetzt denkt, dass ich die Merz-Regierung und besonders ihren Finanzminister verteidigen will, der irrt gewaltig.


Fundamentaler Fehler

Der Bundeshaushalt und die Finanzpolitik wirken mutlos, schreibt Lars Feld. In diesem Punkt hat er recht. Wenn Lars Feld echte Reformen verlangt, stimme ich ihm auch zu. Der Teufel steckt aber im Detail. Von der Forderung nach Entwirren, Umbau und Einsparrungen in den staatlichen Strukturen geht der Wirtschaftswissenschaftler nahtlos zur „Kürzung familienpolitischer Transfers“ über, als ob es um die gleiche Materie ginge. 

Es ist einfach falsch zu glauben, dass der Staat reich bleibt und der Wohlstand erhalten, wenn immer mehr Bürger in die Armut abrutschen. Dieser perverse Gedanke bildet das verfaulte Fundament der hiesigen Politik seit Jahrzehnten (ungefähr seit Einführung Hartz-Gesetze). Dafür hetzt man auch genauso lang verschiedene Gruppen oder Schichten der Gesellschaft gegeneinander: meistens diejenigen in der Mitte gegen jene ganz unten. Dabei übersieht man geflissentlich, dass von dem „sozialen“ Geld ganz wenig unten ankommt, weil das meiste davon dem Erhalt des Systems – also der Bürokratie des Staatsapparats – dient.  

Vom Kopf auf die Füße

Prof. Feld definiert Finanzpolitik folglich:
„Die Finanzpolitik hat vielfältige Aufgaben. Ausgabenwirksame öffentliche Leistungen müssen finanziert werden. Wenn der Staat tut, was er soll, korrigiert er dadurch Marktversagen, stellt öffentliche Güter, wie die Landesverteidigung, und Infrastruktur bereit – nicht zuletzt als Vorleistung für private Investitionen. Hinzu kommen Verteilungsziele, die in der Sozialen Marktwirtschaft deutscher Ausprägung in den Sozialversicherungen und der Grundsicherung verfolgt werden. Schließlich hat die staatliche Finanzpolitik eine makroökonomische Stabilisierungsfunktion. Zur Finanzierung dieser Aufgaben erhebt der Staat Steuern, Beiträge und Gebühren, die so ausgestaltet sein sollten, dass möglichst wenige Verzerrungen privater Investitions-, Arbeitsangebots- und Konsumentsentscheidungen auftreten. Über größere Zeiträume werden diese Verzerrungen minimiert, wenn außerordentliche Ausgabenbedarfe temporär durch Verschuldung finanziert und so die Steuerlasten über die Zeit geglättet werden.“
Der Staat soll also das Marktversagen korrigieren. Demnach ist der Markt fehlerhaft und braucht Kontrolle. Die Verteilungsziele erscheinen aber in dieser Definition wie eine ungewollte Last, auf die man am liebsten verzichtete. Das ist ein verkehrtes Bild. Die Verteilung (oder eher Umverteilung) findet in jedem Moment statt: Wenn ein Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für seine Arbeit so wenig zahlt, wie in Deutschland, dann verteilt er (verteilt er um) schon das Erwirtschaftete ungerecht zu seinem Vorteil. 

Stellen wir also das Bild auf die Füße. Die gerechte Verteilung ist in einer Demokratie entscheidend. Sonst mutiert die Finanzpolitik zum Spiel in einem politischen Kasino.

Sportlicher Staat

Ein Staat muss schlank, sozusagen sportlich sein. Gleichzeitig braucht man extrem kurze Entscheidungswege. Wie passt das zusammen? Sehr gut, unter folgenden Voraussetzungen: 

    - radikaler Abbau der Bürokratie, besonders notwendig ist eine extreme Verschlankung des Staatsapparats(denn ein aufgeblähter Staat beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Selbsterhalt, also Selbsternährung), 
    - zum Minimum reduzierte Vorschriften: was nicht verboten ist, gilt als erlaubt,
    - die Daseinsvorsorge bleibt in der staatlichen Hand, private und genossenschaftliche Säulen werden gleichgestellt.
    - das Bedingungslose Grundeinkommen wird eingeführt, was die große Armee von Bürokraten und Anwälten, die sich mit dem Thema Bürgergeld oder Grundsicherung herumschlagen und davon leben, überflüssig macht. Genauso wie Arbeitsamt und Jobcenter. Diese Institutionen sollte man auflösen.
    - durch die direkte Demokratie, also Volksentscheide, wird die Richtung kontrolliert und eventuell korrigiert.


*) Lars Feld: „Solide Haushaltspolitik sieht anders aus“, FAZ Nr. 197, 26.08.25.