Freitag, 9. März 2018

Polen, Juden und das Jahr 1968

Andrzej Duda hat sich für eine antisemitische Hetzkampagne im Jahr 1968 in Polen entschuldigt: "Bitte verzeihen Sie, verzeihen Sie der Republik und den Polen, dem Polen von damals." Das ist eine wichtige und richtige Geste. Der polnische Präsident hielt seine Rede in der Warschauer Universität, wo alles begann.


                                                                                                                Screenshot


Vor 10 Jahren schrieb ich über die Ereignisse aus dem Jahr 1968. Darunter folgt jener Text:


Die Revolte 1968 hat Europa verändert. Der neue Wind fegte über die Länder. Die Jugend lehnte sich gegen die alte bürgerliche Ordnung auf. In Paris besetzten Studenten die Sorbonne. Sie wurden von Arbeitern mit einem Generalstreik unterstützt. In Berlin lieferten sich Rebellen Schlachten mit der Polizei und schockierten damit die Gesellschaft, die damals die körperliche Züchtigung der Kinder erlaubte und die Selbstbestimmung der Frau verweigerte.

Auch in Polen hinter dem Eisernen Vorhang brodelte es. Die Protestierenden, vorwiegend Studenten, sammelten sich zuerst im Theater von Warschau.


Ein romantisches (= zur Romantik gehörendes) Spektakel 


Polen unter kommunistischer Herrschaft war von den Sowjets abhängig und ferngesteuert. Den Jahrestag der russischen Oktoberrevolution (nach dem Julianischen Kalender) feierte man im November (nach dem Gregorianischen Kalender) jedes Jahr im ganzen Land. Aus diesem Anlass bereitete im Jahre 1967 Kazimierz Dejmek in Warschau ein Stück für die Bühne vor. Er wählte „Ahnen“ von Adam Mickiewicz. Mickiewicz, ein polnischer Romantiker und Prophet, hat für Polen einen Rang inne, der nur mit Johann Wolfgang Goethe in Deutschland vergleichbar ist.


Die Lesart 


Das Spektakel hat angeblich dem russischen Botschafter missfallen; besonders störte ihn die Reaktion des Publikums. Die Zuschauer vergaßen den historischen Abstand zum Inhalt und applaudierten frenetisch Passagen, die sich gegen den Zaren und seine Macht richteten, als ob es sich um die Gegenwart gehandelt hätte. Dichterische Worte aus den Zeiten als Polen nicht existierte, aufgeteilt zwischen den Nachbarländern, wirkten auf einmal aktuell. Wie diese:

„Wen wundert’s, wenn man uns hier beleidigt,

Seit einem Jahrhundert

schickt Moskau nach Polen

Nichts mehr als Gauner“ *)

                   oder

„Wenn jemand die Herrschaft erträgt,

Sage nicht, dass er ihr folgt,

Gott legt eben manchmal die Macht

In eines bösen Geistes Hand“ *)

Vom Theater zu Demonstrationen


Die Entscheidung der Zensur, das Stück abzusetzen, kam nicht überraschend. Im Nachhinein wundert es aber, dass man vorerst noch ein paar Vorstellungen zugelassen hatte. Am 30. Januar 1968 gab es dann die angekündigte letzte. Nach dem Spektakel, im überfüllten und tosend applaudierten Theater, formierte sich ein nicht zu großer Zug und marschierte zum Denkmal von Adam Mickiewicz. Die Demonstranten protestierten gegen die Absetzung des Spektakels und skandierten Parolen, wie „Freiheit ohne Zensur“ und „Freie Kunst - freies Theater“. Die Miliz nahm daraufhin 35 Personen fest.

Im Februar begehrten hiernach die Schriftsteller auf. Eine Petition an den Sejm, das polnische Parlament, unterschrieben über Dreitausend Menschen.

Am 8. März, auf einer Kundgebung im Hof der Warschauer Universität, traten Demonstranten für die inzwischen relegierten Studenten auf und wurden durch Miliz und deren Helfer brutal geschlagen und verschleppt. Als Reaktion auf diese Vorkommnisse breitete sich in den Tagen danach der studentische Protest auf alle größeren Universitäten im Land aus.


Innerparteilicher Kampf 


Neben dem studentischen Protest lief ein interner Parteikampf um die Macht. Die Kulissen dieses Kampfes bildete der Sechstagekrieg. Polnische Kommunisten haben sich, genauso wie die Sowjets, im Nahost-Konflikt im Jahre 1967 auf die Seite von Arabern gestellt und ihnen Hilfe angeboten. Israel wurde hart verurteilt, diplomatische Kontakte abgebrochen.

Diesen Konflikt nutzte man für die Säuberungen in den eigenen Reihen. Władysław Gomułka, der damalige polnische Ministerpräsident und Parteichef der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PZPR), warf den polnischen Juden Zionismus und Sympathie für den Aggressor vor. Infolgedessen entfernte man aus Partei, Militär und Medien Menschen mit jüdischer Abstammung und ihre Getreuen.

Im März 1968 erreichte die antisemitische Kampagne ihren Höhepunkt. Den „Zionisten“ schob man die Verantwortung für die Märzunruhen zu. Im ganzen Land organisierte die kommunistische Partei Kundgebungen gegen "die zionistischen Feinde des Volkes".

Die Bedeutung


Der Protest im März 1968, und die Ereignisse danach zerrütteten die Schicksale der Beteiligten: Sie wurden vor Gericht gestellt, von den Universitäten relegiert, ins Gefängnis gesteckt. Über 12.000 Polen jüdischer Abstammung verließen das Land und begaben sich in die erzwungene Emigration.

Aber die Generation '68 hat ihre Lektion gelernt. Sie bildete die spätere Opposition der 70er und 80er Jahre. Und sie trug zum Erfolg von Solidarność bei und somit zum Niedergang des Kommunismus.

*) meine Übersetzung

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen