Sonntag, 4. Februar 2018

Deutsche Kastengesellschaft – eine Bestandsaufnahme

Unter Bestandsaufnahme verstehe ich hier eine Vorstellung des allgemeinen Stroms oder eher lediglich seiner Richtung. Meiner Meinung nach sieht es folglich aus: wir sind hier schön voneinander abgegrenzt. Bloß sich nicht vermischen! So leben wir doch mitten in Europa im 21. Jahrhundert. Egal, ob wir es Schichten oder Kasten nennen. Die Grenzen, die uns trennen, sind deutlich höher als die Mauer, die Donald Trump jemals bauen könnte.


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Jeder Einzelne ist ein König?


Angeblich funktioniert unsere Gesellschaft nach dem Leistungsprinzip. Damit ist gemeint – so will der Duden -,  eine Auffassung, „nach der sich die materiellen und sozialen Chancen des Einzelnen allein nach der Qualität und dem Umfang seiner Leistung bemessen sollen.“

Moment mal. Da stimmt es etwas nicht. Materielle und soziale Chancen wären ausschließlich vom Einzelnen abhängig? Aus welchem Märchen oder Witz kommt denn diese Überzeugung?

Es läuft doch ganz anders ab. Entscheidend sind:

- die Herkunft. Die sogenannten Biodeutschen werden nach wie vor bevorzugt,
- das Geldbeutel. Vom ersten Atemzug erhöhen sich die Chancen von Kindern der Vermögenden.
- die Zugehörigkeit zur richtigen Kaste (Schicht). Im Allgemeinen geht es um die Frage: Entscheidest du über dein Leben, oder wird es über dich entschieden? Die Sache mit den Kasten ist aber viel komplizierter.

Wie misst man sie denn?


Die Definition des Leistungsprinzips setzt die Messbarkeit unserer Leistung voraus. Wie misst man aber die Leistung? Im Sport erscheint dies auf den ersten Blick einfach: Wer schneller, höher oder weiter ist, der gewinnt. Berücksichtigt man aber die Komponente „Doping“, wird es schon komplizierter.

Außerhalb der Stadien oder Pisten zeigt sich lediglich die sprachliche Erklärung der Leistung als klar und eindeutig: „geleistete körperliche, geistige Arbeit; unternommene Anstrengung und das erzielte Ergebnis.“ Mit dem Geleisteten muss man also das Resultat mitzudenken. So weit, so gut.

Was passiert aber, wenn beispielsweise in der Schule die Leistung eines Kindes schlechter benotet wird, weil dieser Schüler aus einer sogenannten bildungsfernen Familie kommt? Was geschieht in diesem Moment? Das Leistungsprinzip wird aufgehoben und die Sippenhaft aktiviert. Mein Beispiel ist keineswegs theoretisch. Die viel zu vielen schlechten Lehrer (es gibt auch viele wunderbare!) sorgen dafür, dass die Praxis schlimmer wird als jede Theorie.

Ich habe aber auch einen Lösungsvorschlag: die Tests und Prüfungen anonymisieren und durch ein unabhängiges Gremium kontrollieren lassen. Ja, es kostet ein paar Groschen mehr. Aber weitsichtig gesehen lohnt es sich wirklich.

Bist du noch brav oder schon in der richtigen Kaste?


Das Leistungsprinzip wird nicht nur in der Schule für nichtig erklärt. Die erwachsene Welt verpasst den Arbeitnehmern Kopfnoten und beurteilt ihr Benehmen in den Arbeitszeugnissen. Das ist eine ziemlich verrückte Angelegenheit, weil sich jene Beurteilung zwischen den Zeilen versteckt und eine ganze Wissenschaft entstanden ist, um diesen Code zu deuten. Es geht hier nicht um die Leistung, sondern um die Disziplinierung. Entweder bist du brav oder unten durch. Die Leistung setzt dagegen einen Freiraum und selbständiges Denken voraus.

Darüber muss man sich allerdings keine Gedanken machen, wenn man zur richtigen Kaste gehört, der oberen natürlich. Ein neues Beispiel dafür liefert die Deutsche Bank, die ihren Managern riesige Boni bezahlt, obwohl das Unternehmen Verluste schreibt. Es gibt also viel Geld für eine Nicht-Leistung.

Nein, die Deutsche Bank ist in dieser Hinsicht nicht allein. Sie stellt sich nur doof an. In dieser oberen Kaste gelten überall die gleichen Regeln. Die Zugehörigkeit zählt. Geld ist Macht. Wieso soll man sich noch um die Leistung kümmern?

Ich hätte auch hier einen längst woanders erprobten Vorschlag: die Gehälter der Manager an die niedrigsten Löhne in der Firma koppeln. Wie schön dann die Löhne steigen würden! Ich gehe jede Wette ein.

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