Samstag, 10. Dezember 2016

Wir und ihr oder umgekehrt

Die Zugereisten haben es überall schwer. Meist wissen sie nicht, wie der Hase an dem neuen Ort läuft. Die Sache erschwert der unbequeme Umstand, dass der gemeine Hase im Land des Neuankömmlings nicht unbedingt lange Ohren hat. Da haben wir schon das Problem und die Quelle der Missverständnisse. Vielleicht habe ich ja auch ein falsches Tier jetzt kurz vor Weihnachten gewählt. Schwamm drüber und weiter so!


                                                             „Fremd“ oder „Wer bist du?“ Foto: Autorin

Zurück in das Mittelalter


Ich will mitnichten behaupten, dass früher alles besser war. Ein Blick ins Geschichtsbuch reicht für eine dauerhafte Ernüchterung. Dennoch hätte ich dies und das aus der Vergangenheit mit Haut und Haaren übernommen, wenn sie nicht davor auf dem Scheiterhaufen – Haut samt Haaren – abgefackelt wurden. Meine Begeisterung für diese durchaus ökologische Wärmezufuhr hält sich in sehr engen Grenzen. Die Hitze bekommt mir nicht. Wirklich wahr, ich schwör's. 

Was will ich also in die Gegenwart übertragen? Ich hätte die Zeit gern eingefroren in der Phase, in welcher sich noch keine nationale Identität entwickelt hat. Zuerst dachte man doch in den gemütlichen Kategorien wie Familie und Verwandtschaft. In dieser Hinsicht war das eine schöne Zeit, besonders im Vergleich mit der sich in Europa ausbreiteten Epidemie des nationalen Wahnsinns. 

Im Mittelalter wird man eines nicht feststellen können: „die Ablehnung des ›Ausländers‹ aus einem Bewusstsein nationaler Identität heraus."*) Anders gesagt, die Kritik war in hohem Maße konkret und nicht pauschal. Außerdem bedeutete dieser Terminus lediglich, dass jemand aus einer anderen Gegend – zum Beispiel aus einer anderen Stadt – hierher kam.

An dieser Stelle muss man unbedingt erwähnen, dass es in Bayern auch weiter wie anno dazumal läuft: Dort sieht man Bürger aus anderen deutschen Bundesländern nach wie vor als Ausländer.

"Fremd" ist eine Frage


Die Sprache ist ein Fluss, der nie stehen bleibt, und eine Schatzkammer mit vielen Kostbarkeiten aus der Vergangenheit zugleich. Das deutsche Adjektiv „fremd“ gehört dazu. „In seinen geschichtlich ältesten Formen“*) enthält es schlicht und ergreifend eine Frage: „Wo kommst du her?“ 

Den genervten Ausländern, neumodisch Migranten genannt, die sich mit dieser Frage viel zu oft konfrontiert sehen und auf sie durchaus allergisch reagieren, erkläre ich eilig, dass die obige alte Erkundigung nichts gemeinsam mit der gegenwärtigen abschottenden-vorwurfsvollen Grenzziehung zwischen Wir und Ihr hat.

Damals, in den vor-nationalen und vor-nationalistischen Zeiten, fragte man auf diese Art genau genommen danach, wer der andere ist. 

Halten wir dies fest: „Fremd“ bedeutete zu Beginn im Grunde genommen soviel wie „Wer bist du?“ *) und diente der Erweiterung des Horizonts, nicht der Ausgrenzung.

So ändern sich die Zeiten!

*) Ernst Schubert, Fremde im mitteralterlichen Deutschland, (in:) https://www.imis.uni-osnabrueck.de/fileadmin/4_Publikationen/PDFs/imis07.pdf

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