Montag, 7. November 2016

Im Niqab bei Anne Will

Es nützt nichts, sich von der Wirklichkeit beleidigt zu fühlen. Sie bleibt trotzdem real. Daher wäre es notwendig, eine Antwort auf die Frage zu finden, wieso sich Jugendliche radikalisieren. Dass sie es tun, ist eine Tatsache. Das Thema der Sendung von Anne Will am Sonntag, den 6.11., ist deshalb wichtig für uns alle.

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Ins Schwarze getroffen


Niemand darf erwarten, dass eine Talkshow Lösungen von Problemen präsentiert. Dafür ist diese Plattform nicht gedacht und nicht geeignet. Sie bietet lediglich einen Raum für Diskussionen, die eigentlich die Politik führen müsste, was sie leider zu selten tut. Dafür ist sie zu sehr mit der Nabelschau beschäftigt.  

Anne Will nimmt sich harte Brocken an. Dabei führt sie auf ihre unaufgeregte Art genauso gut durch wildes Wasser wie auch im undurchsichtigen Labyrinth. Dass sie mit ihrer letzten Sendung ins Schwarze getroffen hat, zeigen unter anderem die heftigen Reaktionen auf Twitter. Noch lange danach konnte sich die Online-Gemeinde nicht beruhigen und twitterte munter weiter.

Das Spiel des Gesichts


Schwarz wurde uns vor Augen auch während der Sendung: Nora Illi, Frauenbeauftragte des "Islamischen Zentralrats Schweiz", trat im Niqab auf, was sowohl einige Gäste als auch viele Zuschauer als Provokation empfanden.  Eines der Argumente gegen derartige Verkleidung, vorgetragen von Ahmad Mansour, einem Islamismus-Experten und Psychologen, hob die Bedeutung der nonverbalen (außersprachlichen) Kommunikation hervor. 

Die Mimik - das Spiel des Gesichts - bringt mit sich selbstverständlich zahlreiche Informationen, die eine sprachliche Aussage ergänzen, oder ihr widersprechen. Wir haben gelernt, derartige Hinweise zu interpretieren und zu nutzen.  Wir haben uns auch daran gewöhnt, dass uns ein Gesprächspartner sein Gesicht zeigt. Das ist aber mitnichten eine gültige Regel: Am Telefon oder im Radio hören wir nur, was jemand zu sagen hat, und stören uns nicht daran.

Wo liegt also das Problem? Ich hätte gesagt: nicht in der Verschleierung selbst, sondern in ihrem radikalen Hintergrund und in unserer Angst.  Wir haben meistens Angst davor, was wir nicht verstehen. Umso mehr, seitdem grausame Taten unsere Vorahnungen bestätigen.  Spätesten nach dem 9.11.2001 befürchten wir radikale Ideologien und Richtungen, weil wir gesehen haben, wohin sie führen. 

Beides trifft auf Frau Illi zu: Wir verstehen ihre Entscheidung nicht, sich gänzlich hinter einem schwarzen Stoff zu verstecken, und vermuten dahinter eine radikale und gefährliche Weltanschauung.

Worthülsen und Seelenfänger


Wieso agiert eine junge und anscheinend intelligente Frau dermaßen befremdlich? Wieso ignoriert sie alles, was uns wichtig und heilig ist? Oder sollte man die Frage doch umformulieren? Wieso ist uns nichts wichtig und heilig? Das ist eine Frage nach den Werten, die uns zwar stets glatt über die Lippen gehen, sich aber meist als absolut leere Worthülsen entpuppen. 

Die Radikalisierung von Jugendlichen ist ein Symptom kranker Gesellschaft. Ein Symptom und gleichzeitig eine Antwort auf nicht gelöste Probleme. Seelenfänger, die nach Unerfahrenen und Enttäuschten Ausschau machen, nützen jene Lücken, die wir nicht geschlossen haben. Sie suchen sich die Schwachen aus, diejenigen, um die wir uns nicht gekümmert haben. 

Ich habe auch kein Rezept, wie man dagegen vorgehen soll. Dennoch glaube ich, dass eine ehrliche Diskussion ein Schritt in die richtige Richtung ist.

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